Welche Interessen vertritt Verdi?
Autoren, die sich in der VG-Wort-Ausschüttungsfrage alleine auf Informationen der Gewerkschaft verlassen, sind möglicherweise schlecht beraten
Am 19. Juni bemängelte Cornelia Haß, die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten Union (DJU) in der Gewerkschaft Verdi, dass Telepolis im Rahmen eines Artikels über eine Autoreninitiative, die sich gegen den Ausschüttungsstopp der VG Wort wehrt, eine (klar als solche gekennzeichnete) Einschätzung des Richters Dr. Martin Vogel zur Rolle der Gewerkschaft Verdi bei diesen Zurückhaltungen im Speziellen sowie grundsätzlich bei der pauschalen Ausschüttung der VG Wort an Verlage zum Schaden der Autoren wiedergab. Haß widersprach der Meinung Vogels, und drohte mit "rechtlichen Schritten", wenn diese Behauptung Vogels und eine in diesem Zusammenhang verwendete Formulierung nicht "innerhalb der nächsten zwei Stunden" entfernt oder der Artikel ganz gelöscht würde.
Seltsamerweise ging Haß aber nicht gegen das Portal iRights.info vor, wo sich Vogels Bemerkungen in mindestens genau so scharfer Form im Original finden. Auf Nachfrage erklärte sie dies damit, dass man sich "derzeit diesbezüglich noch in einem politischen und juristischen Abwägungsprozess" befinden würde. Auf die Frage, ob Verdi nun dafür oder dagegen ist, dass die VG Wort ihre 120 Millionen Euro aus dem Jahr 2011 nicht nur an Autoren, sondern auch an Verlage ausschüttet, antwortete sie ausweichend, dass die VG Wort dies "nicht ohne vernünftigen Grund" mache, weil es "die Urheber davor schützen [würde], dass die Verlage sich die Ansprüche gegen die VG Wort vertraglich abtreten ließen". Außerdem sei dies "mehr als ein halbes Jahrhundert durchweg akzeptiert worden". Die pauschale Abzweigung eines Verlagsanteils würde darüber hinaus die Verwaltungskosten senken und so zu höheren Ausschüttungen beitragen. Verdi habe aber "keinen Einfluss auf diese Entscheidungen".
Die letzte dieser Behauptungen wirkt insofern seltsam, als sich der Verdi-Justiziar Wolfgang Schimmel, der auch "Rechtsberater der schöngeistigen Autoren in der VG Wort" ist, in der Debatte immer wieder recht meinungsstark gegen einen Stopp der pauschalen Ausschüttung an Verlage wandte, wie Ilja Braun in seinem sehr lesenswerten Aufsatz Geliebte Apfelbäume anhand vieler Beispiele eindrucksvoll (und von Verdi auch auf Nachfrage hin unwidersprochen) darlegt. Haß selbst gibt auf eine andere Frage hin zu, dass die Gewerkschaft ihre Position zur Ausschüttung "beispielsweise durch ein öffentliches Artikulieren auch in den Publikationen der Gewerkschaft" vertritt und dass diese "durch demokratische Meinungsbildungsprozesse innerhalb [der] Organisation legitimiert" sei.
Braun schildert auch, dass Schimmel und der DJV-Jurist Benno H. Pöppelmann Mitte der Nuller Jahre für die "Initiative Urheberrecht" an einem Gesetzentwurf der Bundesregierung "mitfeilen durften", der den Verlegern noch mehr Rechte einräumt, als sie vor 2002 hatten. Auf die Frage, ob diese Behauptung zutrifft, gibt Haß keine Antwort, obwohl sie kurz vorher noch behauptete, sie stehe "für Rückfragen jederzeit gerne zur Verfügung". Ebenso verhält es sich mit einem wörtlichen Zitat Schimmels, mit dem der Verdi-Justiziar bei Braun zu rechtfertigen versucht, dass "Verlage auch von den Sekundärnutzungen profitieren":
Wenn ein Werk im Copyshop kopiert wird, und darum geht es ja bei der Reprographieabgabe der VG Wort, wird diese Kopie schließlich nicht vom Manuskript angefertigt, sondern vom gedruckten Exemplar. Da spielt die wirtschaftliche Investition des Verlags durchaus eine Rolle. Sie leihen ja in der Bibliothek auch keine Manuskripte aus, sondern vom Verlag hergestellte Bücher. Ohne Verlage gäbe es also auch keine Bibliothekstantieme.
Die Möglichkeit, dass sich Verdi von Zugeständnissen bei der Ausschüttung an die Verlage Verbesserungen in den Tarifverträgen erwartete, bestreitet Haß entschieden. Das eine, so die Funktionärin, habe mit dem anderen nichts zu tun, weil Verdi "nicht als Interessenvertretung in die Gestaltung der Ausschüttungen involviert" sei. Diese sei vielmehr Aufgabe der Wahrnehmungsberechtigten. Das bestätigt Ilja Braun zum Teil. Ihm zufolge entscheidet letztlich nicht Verdi, sondern die VG Wort - aber in den Gremien sitzen auch Gewerkschaftsleute, weshalb er Vogels Anwürfe für "nicht ganz unberechtigt" hält.
Dem Richter in den Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts zufolge hätte Verdi den von ihm auf eigenes Kostenrisiko durchgezogenen Musterprozess "im Interesse der Mitglieder längst selbst führen müssen". Dass man das nicht wollte, wird seiner Meinung nach unter anderem daran sichtbar, dass der DJV die Kostenübernahme für seinen Prozess verweigerte, obwohl er nach eigenen Angaben dort Mitglied ist. Dazu heißt es von Haß nur, man dürfe aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben, wer wo Mitglied ist.
Die Berufung der VG Wort gegen den von Vogel gerichtlich erwirkten Stopp der Ausschüttung an Verlage wurde Haß zufolge "vollkommen zurecht" eingelegt. Das Zurückhalten der bisherigen Autorenanteile hält sie für "nachvollziehbar" weil Autoren theoretisch hundert Prozent ihrer Ansprüche an einen Verlag abgetreten haben könnten, für den sie noch schreiben, bevor sie einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort unterzeichneten. Deshalb bestünde für die VG-Wort-Verantwortlichen ein Risiko, dass sie zwar nicht beziffert, aber stattdessen mit dem WG-Wort-Komplettumsatz in Höhe von 120 Millionen Euro illustriert. Diese Rechtfertigung verbreitet auch der DJV-Justiziar Benno Pöppelmann.
Ein Risiko besteht dem Münchner Rechtsanwalt Stefan Ventroni zufolge allerdings nur, wenn man den § 407 BGB nicht berücksichtigt (oder nicht kennt). Ventroni, der eine Initiative von Synchronfassungsautoren gegen die VG Wort vertritt, hält den kompletten Ausschüttungsstopp darüber hinaus für "völlig unverhältnismäßig", weil die von Haß und Pöppelmann angeführte Konstellation (wenn überhaupt) nur in "seltensten Ausnahmefällen" vorkommt und die Autoren "auf ihre jährlichen VG Wort-Ausschüttungen als wesentlicher Bestandteil ihres Einkommens angewiesen" sind.
Dr. Vogel gibt darüber hinaus zu bedenken, dass solche 100-Prozent-Klauseln nach deutschem AGB-Recht unwirksam sein könnten. Haß dagegen hat auf die Frage, ob sie der Ansicht sei, dass Vertragspassagen, in denen Autoren 100 Prozent ihrer Rechte an Verlage abgetreten haben, eine unzulässige Benachteiligung darstellen, eine ganz klare, aber bemerkenswert arbeitnehmerunfreundliche Antwort: "Nein".
Luksan-Urteil
Eine noch bedeutendere Rolle als dem AGB-Gesetz kommt in dem Fall möglicherweise dem so genannten Luksan-Urteil zu, das der Europäischen Gerichtshofs am 9. Februar dieses Jahres fällte (Az.: C-277/10). In ihm stellen die Luxemburger Richter fest, dass Ansprüche aus Geräteabgaben nach Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe B der EU- Urheberrechtsrichtlinie 2001/29 ausschließlich dem Regisseur als Urheber und nicht einem Filmproduzenten zustehen.
Auf die Frage, ob Verdi Autoren im Zusammenhang mit der VG-Wort-Ausschüttung über diese Entscheidung des EuGH informiert, schweigt Haß. Dabei ist die Meinung, dass das Luksan-Urteil auf den Fall anwendbar ist, keineswegs abwegig, sondern wird von sehr prominenten Juristen vertreten: Zum Beispiel vom Münsteraner Juraprofessor Thomas Hoeren der in der Zeitschrift brand eins unlängst meinte, Verlage würden an den Ausschüttungen der Geräteabgaben beteiligt, "ohne juristisch dazu einen Hauch von Berechtigung zu haben". Auch Joachim von Ungern-Sternberg, ein ehemaliger Richter am Urheberrechtssenat des Bundesgerichtshofs, kommt in der Fachzeitschrift GRUR hinsichtlich der Auswirkungen des Luksan-Urteils zum Ergebnis, dass der "Anteil am Aufkommen aus der Gerätevergütung […] allein dem Urheber zusteht.
Der Urheber- und Medienrechtswissenschaftler Norbert Flechsig von der Universität Tübingen folgert in einem Fachaufsatz über das EuGH-Urteil ebenfalls, es sei europarechtswidrig, "dass Urheber auf den Anspruch auf einen Ausgleich für sogenannte Privatkopieausnahmen verzichten können sollen". Aus diesen Gründen erscheint ihm "ein automatischer Abzug vom Vergütungsanspruch des Urhebers oder Vorenthalt von Urheberrechtsansprüchen zu Gunsten von Verlegeranteilen auf Grund bestehender Verteilungspläne […] unzulässig". Auf iRights-info wird erklärt, was diese Schlussfolgerungen konkret bedeuten:
Die Autoren können ihren gesetzlichen Anspruch auf Einnahmen aus der Kopiergeräteabgabe nicht an die Verlage abtreten, er steht ihnen in vollem Umfang zu. Der Abzug des Verlegeranteils wäre bei den Einnahmen aus Geräteabgaben unzulässig. Die VG Wort hätte Einnahmen in Millionenhöhe systematisch falsch verteilt.
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