Welche Medikamente können bei Covid-19 helfen?

Seite 2: Virushemmende Medikamente

Zunehmende Kenntnisse in der Pathophysiologie von Covid-19 machen verständlich, warum in klinischen Studien die Therapie mit antiviralen Wirkstoffen bei symptomatischen Patienten zunächst enttäuschend verlaufen ist. Die Lungenschäden stehen bei fast allen schweren Verläufen im Vordergrund und heute weiß man, dass beim Beginn von Lungensymptomen die Viruslast schon deutlich abgenommen hat.

Remdesivir war das erste Medikament, das in der EU für die Behandlung von Covid-19 in der Frühphase der Erkrankung zugelassen worden ist, aber bisher in wissenschaftlichen Studien keinen überzeugenden Nutzen erbracht hat.3

Auch die Kombination von Lopinavir und Ritonavir, die seit Jahren erfolgreich zur Behandlung der HIV-Infektion eingesetzt wird, ergab in mehreren klinischen Studien bei Covid-19 keinen Benefit.4 Aber zwei hoffnungsvolle neue virushemmende Medikamente, Molnupiravir und Paxlovid, sind in den letzten Wochen in die Diskussion gekommen.5

Das angesehene British Medical Journal (BMJ) hat Ende Oktober 2021 unter der Überschrift "Sicherheit und Wirksamkeit von antiviralen Medikamenten gegen Sars-Cov-2 – wir benötigen Evidenz und nicht Optimismus" ein kritisches Editorial zu den beiden neuen Wirkstoffen veröffentlicht.6

In Ermangelung gut wirksamer Arzneimittel, die eine Vermehrung von Sars-Cov-2 intrazellulär verhindern und dadurch Symptome einer Infektion reduzieren sowie einen schweren Verlauf von Covid-19 mit Krankenhausaufenthalt vermeiden können, wird verständlicherweise große Hoffnung auf diese beiden Arzneimittel gesetzt.

Obwohl derzeit noch keine Ergebnisse klinischer Phase-II/III-Studien in medizinischen Fachzeitschriften publiziert worden sind, soll kurz über die bisher mitgeteilten Erkenntnisse zu diesen beiden Wirkstoffen informiert werden.7

Molnupiravir

Dieses Arzneimittel wurde ursprünglich zur Behandlung der Grippe entwickelt und hat bislang keine Zulassung in Europa oder Nordamerika erhalten. Der Wirkstoff wird nach oraler Einnahme erst durch die Verstoffwechselung im Körper aktiviert. Er schleust RNA-ähnliche Bausteine ins Erbgut des Virus ein. Diese verbinden sich mit den Nukleinbasen Adenin und Guanin, was zu Mutationen in der viralen RNA führt und dadurch die Replikation des Virus blockiert.

Anfang Oktober 2021 veröffentlichte das Pharmaunternehmen MSD in einer Pressemitteilung erste klinische Ergebnisse aus einer placebokontrollierten Phase-III-Studie. Demzufolge konnte Molnupiravir in einer Dosierung von 800 mg zweimal täglich über fünf Tage – in einer Zwischenanalyse von 775 nicht hospitalisierten Patienten mit milden oder moderaten Symptomen – eine Krankenhausaufnahme oder Tod an Covid-19 bei 7,3 Prozent der Probanden gegenüber 14,1 Prozent in der Placebogruppe vermindern.

Bis zum Tag 29 nach Beginn der Studie war kein Patient in der mit Molnupiravir behandelten Gruppe gestorben, jedoch 8 Patienten in der Placebogruppe. Aufgrund dieser positiven Ergebnisse wurde die Phase-III-Studie vom Datenüberwachungskomitee vorzeitig beendet.

Detaillierte Ergebnisse zur Sicherheit bzw. den Nebenwirkungen von Molnupiravir wurden von MSD bisher noch nicht veröffentlicht. Diese Ergebnisse sind jedoch essenziell, u.a. aufgrund des mutagenen Potenzials von Molnupiravir, das eine sehr gründliche Nachverfolgung der behandelten Patienten erfordert, beispielsweise hinsichtlich des Auftretens von Tumorerkrankungen, Geburtsfehlern bzw. Fehlgeburten, sagt der Arzneimittelbrief.

Diese Ergebnisse zu Molnupiravir wurden von einem renommierten Infektiologen und früheren Leiter der University Clinical Research Unit in Oxford, Peter Horby, wie folgt kommentiert:

Die Risikoreduktion für eine Aufnahme ins Krankenhaus oder Sterben an Covid-19 ist eindrucksvoll. Wichtig ist es jedoch, daran zu erinnern, dass das absolute Risiko von 14 Prozent auf 7 Prozent reduziert wurde und somit sehr viele Patienten behandelt werden müssen, um eine Krankenhausaufnahme oder einen Tod zu verhindern.

Dies bedeutet, Molnupiravir müsse sehr sicher und sein Preis bezahlbar sein, sagt Peter Horby und wies auf die auch von anderen antiviralen Arzneimitteln bekannte Resistenzentwicklung hin, die häufig eine Kombinationstherapie mit verschiedenen antiviral wirksamen Arzneimitteln erforderlich macht, wie das z. B. bei der HIV-Erkrankung der Fall ist.

In Großbritannien hat Molnupiravir bereits Anfang November 2021 eine bedingte Zulassung erhalten. Auch in der EU bzw. in den USA haben bei den zuständigen Arzneimittelbehörden Verfahren zur Beurteilung und Zulassung von Molnupiravir bereits begonnen.

Paxlovid

Dieses Medikament mit diesem Handelsnamen ist ein Kombinationspräparat von einem von der Pharma-Firma Pfizer entwickelten Proteaseinhibitor (PF-07321332) und Ritonavir in niedriger Dosis, von dem erste Studienergebnisse bisher nur in einer Pressemitteilung des pharmazeutischen Unternehmens veröffentlicht wurden, teilt der Arzneimittelbrief mit.

Ritonavir wirkt für den Proteaseinhibitor, wie bei der Kombination mit Lopinavir (siehe oben), als pharmakokinetischer Verstärker (Booster), indem es Zytochrom P450 im endoplasmatischen Retikulum der Leber und somit die Metabolisierung dieses Arzneistoffs hemmt.

Laut Pressemitteilung reduziert das Arzneimittel im Vergleich zu Placebo das Risiko für Krankenhausaufnahme und Tod signifikant bei Menschen mit Covid-19, wobei Probanden untersucht worden sind, die ein hohes Risiko für eine schwere Erkrankung aufweisen.

Vorgestellt wurden Ergebnisse einer geplanten Zwischenanalyse einer Phase-II/III-Studie, in die bis zum 29. September 2021 insgesamt 1.219 Erwachsene eingeschlossen wurden. Voraussetzung für die Teilnahme der Patienten war eine im Labor bestätigte Diagnose einer Sars-Cov-2-Infektion innerhalb der 5 Tage zuvor mit leichten bis mittelschwere Symptome sowie mindestens einem Risikofaktor für einen schweren Verlauf von Covid-19.

Jeder Patient erhielt in einem randomisierten eins-zu-eins-Setting fünf Tage lang alle zwölf Stunden oral Paxlovid oder Placebo. Primärer Endpunkt war eine Krankenhausaufnahme aufgrund von Covid-19 beziehungsweise Tod aus jeglicher Ursache.

Von den innerhalb von drei Tagen nach Auftreten der Symptome behandelten Patienten wurden aus der Paxlovid-Gruppe 3 von 389 (0,8 Prozent) bis zum 28. Tag nach der Randomisierung ins Krankenhaus eingeliefert, wobei es keinen Todesfall gab. Aus der Placebogruppe wurden dagegen 27 von 385 (sieben Prozent) Patienten stationär aufgenommen und sieben Patienten starben. Es wird eine relative Risikoreduktion von 89 Prozent angegeben sowie eine hohe statistische Signifikanz der Ergebnisse.

Zur Beurteilung der Sicherheit des Arzneimittels wurden Daten von 1.881 Patienten analysiert. Der Anteil von Patienten, bei denen unerwünschte Ereignisse auftraten, war in beiden Gruppen ähnlich hoch (19 Prozent versus 21 Prozent). In der Paxlovid-Gruppe traten weniger schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf als in der Placebogruppe (1,7 Prozent versus 6,6 Prozent).

Aufgrund dieser positiven Ergebnisse wurde die Studie vom Datenüberwachungskomitee vorzeitig beendet, ähnlich wie bei Molnupiravir. Pfizer kündigte an, die Daten so bald wie möglich für eine Notfallzulassung des Arzneimittels bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA einzureichen.

Bereits bestellt

Die britische und die japanische Regierung haben sich bereits eine große Anzahl von Dosen beider Arzneistoffe für eine Bevorratung bei den Herstellern gesichert, berichtet der Arzneimittelbrief. Dies verwundere angesichts der vorläufigen Ergebnisse zu den Arzneimitteln sowie der fehlenden unabhängigen Begutachtung in einem Peer-Review-Verfahren der Publikationen zu diesen Studien.

Die Autoren des Arzneimittelbriefs kommen zu folgendem zurückhaltendem Urteil über diese neuen virushemmenden Wirkstoffe8:

Antivirale Therapien sind aus pathophysiologischer Sicht sehr wahrscheinlich nur in der frühen Krankheitsphase von Covid-19 sinnvoll, solange das Virus in Zellen der infizierten Person noch repliziert wird. Außerdem sollten antivirale Medikamente aus Gründen der Nutzen/Risiko-Abwägung in erster Linie bei Personen eingesetzt werden, die mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf haben, wie z.B. Adipositas, höheres Lebensalter, Diabetes mellitus oder eine Herzerkrankung.

Antikoagulantien (Heparin u. a.)

Im Septemberheft des Arzneimittelbriefs9 wurde über zwei Artikel im renommierten New England Journal of Medicine berichtet, in denen die Ergebnisse zur Antikoagulation bei zwei unterschiedlichen Schweregraden von Covid-19 aus großen, zu einer Plattform zusammengeschlossenen Studien publiziert wurden.10 Über die ersten Zwischenergebnisse dieser Studien wurde schon in Telepolis im März 2021 berichtet.11

Die damals zentrale Schlussfolgerung bleibt auch nach der nun erfolgten Publikation der Studiendaten gültig: Bei moderat erkrankten (stationär aufgenommenen) Patienten (ME) scheint eine Antikoagulation mit Heparin in "therapeutischer", also höherer Dosis vorteilhaft zu sein gegenüber einer "prophylaktischen" Standard-Dosierung hinsichtlich der Prävention venöser und arterieller thromboembolischer Covid-19-Komplikationen, während dies bei schwer erkrankten (intensivpflichtigen) Patienten (SE) nicht der Fall ist.

Moderat Erkrankte12: In der ME-Gruppe wurden nach dem vorzeitigen Studienabbruch 2.219 Patienten in die finale Analyse eingeschlossen. Den primären Endpunkt "Überleben bis zur Entlassung ohne Organunterstützung bis Tag 21" erreichten 80,2 Prozent (939 von 1.171 Patienten) in der Hochdosis-Gruppe und 76,4 Prozent (801 von 1.048 Patienten) in der Standarddosis-Gruppe (OR: 1,27).

Dieser (sehr moderate) positive Effekt der Heparinisierung in therapeutischer Dosierung fand sich auch bei verschiedenen sekundären Endpunkten (Überleben bis Entlassung, Intubation oder Tod, thrombotische Ereignisse). Allerdings kam es doppelt so häufig zu schweren Blutungen (1,9 Prozent versus 0,9 Prozent).

Schwererkrankte13: In der SE-Gruppe wurden nach dem ebenfalls vorzeitigen Studienabbruch 1.098 Patienten in die finale Analyse eingeschlossen. Die mediane Zahl der Tage ohne Organunterstützung lag in der Hochdosis-Gruppe bei eins, in der Standarddosis-Gruppe bei vier.

Der Effekt auf das Überleben ohne Organunterstützung war jedoch nicht signifikant. Auch der Prozentsatz von Patienten, die bis zur Entlassung überlebten, war nicht unterschiedlich (62,7 Prozent versus 64,5 Prozent; OR: 0,84). Die Rate schwerer Blutungen war jedoch – bei deutlich höherem absolutem Niveau als in der ME-Gruppe – unter Hochdosis-Antikoagulation erheblich höher (3,8 Prozent versus 2,3 Prozent).

Diskussion: Zur Beantwortung der Frage, weshalb die höher dosierte Heparinisierung – entgegen den ursprünglichen Erwartungen – bei intensivpflichtigen Covid-19-Patienten netto weniger Vorteile bringt als bei den weniger schwer Erkrankten, gibt es weiterhin nur Hypothesen.

Offensichtlich sind die infektionsassoziierten Inflammations- und Gerinnungskaskaden bei intensivpflichtigen Patienten bereits so weit fortgeschritten, dass der positive Heparin-Effekt zu gering ist, um den Erkrankungsverlauf entscheidend zu modifizieren. Gleichzeitig ist bei diesen Patienten auch das Blutungsrisiko deutlich erhöht.

Die Autoren des Arzneimittelbriefs kommen hier zu folgendem Fazit14:

Die Ergebnisse dreier großer "Plattformstudien" zur Antikoagulation bei Covid-19 sind nun in zwei Artikeln hochrangig publiziert. Sie bestätigen vorläufig die damalige Schlussfolgerung, dass moderat erkrankte Patienten im Krankenhaus von einer höheren ("therapeutischen") Heparin-Dosis profitieren, während dies bei schwer erkrankten, intensivpflichtigen Patienten nicht der Fall zu sein scheint. Eine Reihe laufender Studien beschäftigt sich mit weiteren, noch offenen Fragen zu diesem Thema.

Im zweiten Teil dieses Upgrades werde ich mich mit weiteren neuen etablierten Behandlungsprinzipien bei Covid-19 (monoklonale Antikörper, Interleukin-6-Antagonisten und Janus-Kinase-Inhibitoren) und im dritten Teil mit umstrittenen Vorschlägen (z. B. Ivermectin und Vitamin-D) beschäftigen.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.