Weltklima auf der Kippe

Seite 2: Politik zwischen Ignoranz und ökologischen Amoklauf

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Beim jüngsten EU-Gipfel wurde die angepeilte postulierte Klimaneutralität der EU bis 2050, die angesichts der aktuellen klimatischen Entwicklung absolut ungenügend ist, in eine Fußnote verbannt, da keine Einigkeit bezüglich der Klimaziele hergestellt werden konnte. Diesmal ließ Berlin osteuropäischen Länder wie Polen, Ungarn oder Tschechien beim Blockieren der Klimaschutzmaßnahmen den Vorzug.

Und nahezu überall, nicht nur in Polen oder Ungarn, ist es die politische Rechte in all ihren Abstufungen von konservativ, über populistisch bis extremistisch, die inzwischen die Avantgarde dieser Politik der Klimazerstörung bildet: Merkels CDU samt den Klimaleugnern der AfD in Deutschland, der Rechtspopulist Trump in den USA - oder der Rechtsextremist Bolsonaro in Brasilien, dessen Regierung inzwischen einen wütenden Generalangriff auf die Biosphäre des größten südamerikanischen entfacht hat. Gerade in Brasilien sind die desaströsen ökologischen Folgen rechter Politik schon jetzt evident.

Es ist eine Art ökologischer Plünderungsökonomie, die der Rechtsextremist im Präsidentenamt Brasiliens im Interesse der heimischen Agraroligarchie und transnationaler Chemie- und Agrarkonzerne entfacht hat. Der Raubbau an dem Regenwald Brasiliens - der ebenfalls als ein Kipppunkt des globalen Klimasystems gilt - schreitet inzwischen mit einer Geschwindigkeit voran, wie sie in der vergangenen Dekade nicht mehr registriert wurde.

Schon im Januar hat Bolsonaro angekündigt, den Amazonas für die "Ausbeutung von Ressourcen" zu öffnen. Mit Bolsonaro an der Macht fühlten sich "Leute, die den Wald vernichten, sicher, während diejenigen, die ihn beschützen, bedroht werden", klagte ein Greenpeace-Sprecher gegenüber Reuters.

Zugleich machte die rechtsextreme Regierung Brasiliens den Agrarsektor des Landes zu einem Eldorado für die globale Chemiebranche. Knapp 200 vormals verbotene Pestizide und Chemikalien wurden genehmigt, darunter auch "Unkrautvernichter" mit dem umstrittenen, höchstwahrscheinlich krebserregenden Bayer-Herbizid Glyphosat.

Die Folge: Rund 500 Millionen Bienen, unverzichtbar für den Anbau vieler Nutzpflanzen, sind binnen dreier Monate in Brasilien verendet. In einigen landwirtschaftlichen Regionen ist die Bienenpopulation um bis zu 80 Prozent eingebrochen.

Die Agrar- und Umweltpolitik der Regierung Bolsonaro gleicht somit einem ökologischen Amoklauf - an dessen Ende bekanntlich der Selbstmord steht. Für die EU ist der Rechtsextremist aus Brasilia aber ein Mann, mit dem man gerne Geschäfte macht.

Brüssel forciere derzeit seine Bemühungen, mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ein Freihandelsabkommen zu schließen, meldete jüngst die Frankfurter Rundschau (FR). Der brasilianische Präsident Bolsonaro holze den Regenwald ab, gebe indigenes Land für die industrielle Landwirtschaft frei, er drohe mit dem Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und er "behindert die Zivilgesellschaft", so die FR. Die EU belohne ihn dafür "mit einem lukrativen Deal".

Kapitalistischer Wachstumszwang und Weltvernichtung

Die zivilisationsbedrohende Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, der Klimakrise effektiv zu begegnen, kommt klar in dem abermals steigenden CO2-Emissionen zum Ausdruck. Diese sind 2018 um ganze zwei Prozent angestiegen - dies war der größte Anstieg seit dem Jahr 2011. Von einer Reduzierung, einem raschen Abbau der Emissionen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise kann keine Rede sein, dies ist ein empirischer Fakt.

Weite Teile der Welt drohen aufgrund der zunehmenden Erderwärmung schlicht unbewohnbar zu werden, wie etwa die letzte, buchstäblich mörderische Hitzewelle in Indien veranschaulichte, wo lebensfeindliche Rekordtemperaturen von bis zu 50 Grad Celsius zu Tausenden von Toten führten. Die ökologische Krise löste aufgrund des zunehmenden Wassermangels soziale Unruhen aus, bei denen Hunderte von Demonstranten verhaftet wurden. Millionen Menschen laufen derzeit Gefahr, allein auf dem indischen Subkontinent den Zugang zu brauchbarem Trinkwasser zu verlieren.

Und dennoch muss aus Geld mehr Geld gemacht werden. Der Wachstumszwang des Kapitals, das durch eine fetischistische Eigendynamik der höchstmöglichen Verwertung angetrieben wird, verbrennt die konkrete Welt samt den ökologischen Lebensgrundlagen der Menschheit, um abstrakten Reichtum zu uferlos akkumulieren. Deswegen verpuffen auch alle Impulse der Politik, diesen Prozess irrationaler Weltverbrennung zu revidieren - er käme einer Kapitalvernichtung gleich.

Es liegt folglich angesichts der aktuellen Entwicklungen offen auf der Hand, dass eben dieses blindwütig amoklaufende Kapitalverhältnis schnellstmöglich in Geschichte überführt werden muss, sollte die Menschheit mittelfristig noch eine Überlebenschance behalten.