Weltraumbilder und die Demokratisierung der Außenpolitik

Der Fall des nordkoreanischen Raketenstützpunkts, Position 40° 51' 17'' Nord, 129° 39' 58'' Ost

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Jedes Mal, wenn Nordkorea mit einem Raketenversuch droht, dreht man in Washington durch. Im August 1998 überraschten die Nordkoreaner den Rest der Welt, als sie eine dreistufige Rakete zündeten, die über Japan hinweg flog. Jüngsten Berichten zufolge wird Nordkorea in wenigen Jahren über Langstreckenraketen verfügen, deren Reichweite Alaska und Hawaii einschließt.1 Mitarbeiter des Pentagons und der CIA schätzen diese potentielle Bedrohung außerordentlich hoch ein und räumen dem Thema einen entsprechend privilegierten Stellenwert innerhalb der amerikanischen Außenpolitik ein.

Raketenabschußrampe. Ein größeres Foto der Anlage.

In der gegenwärtigen Debatte über das geplante Raketen-Abwehr-System (National Missile Defense) ist der Fall Nordkorea ein Hauptargument für die Befürworter eines Raketenschutzschildes. Deren Position könnte jetzt allerdings in Frage gestellt werden. Neues kommerzielles Bildmaterial, das kürzlich öffentlich zugänglich gemacht wurde, scheint nämlich eine erheblich nüchternere Sicht auf die Dinge nahe zu legen. Die politische Bedeutung der Satellitenfotos geht jedoch über diese unmittelbaren Folgen weit hinaus: Kommerziell nutzbare und damit öffentlich zugängliche Weltraumbilder werden breite demokratische Debatten über entscheidende Themen der Außen- und Sicherheitspolitik ermöglichen, wie sie bislang undenkbar waren. Gleichzeitig aber, und darauf verweisen Kritiker immer wieder, entstehen neue Bedrohungen für die Privatsphäre von Individuen.

Monopolisierter Information und die Einschätzung militärischer Bedrohung

Über Ausmaß und Zielstellung des undurchsichtigen nordkoreanischen Nuklear- und Raketenprogramms ist nicht viel an die Öffentlichkeit gedrungen und das Pentagon hat bisher wahrlich nichts getan, um diesen Zustand zu ändern und etwa eine öffentliche Diskussion über die tatsächliche Bedrohung anzuregen. Regierungsunabhängige Rüstungsexperten konnten bis jetzt nicht auf die notwendigen Informationen über Testgelände, technologische Ausstattung und benutzte Abschussrampen zugreifen, die für ein ausgewogenes und kritisches Urteil unerlässlich sind. Ihnen fehlten genau die Satellitenbilder mit hoher Auflösung, die lediglich Geheimdienstkreisen zur Verfügung standen. Die Nationale Aufklärungsbehörde, verantwortlich für Planung und Betrieb der Spionagesatelliten der USA, hat zwar Bildmaterial vom Testgelände angefertigt, aber niemals veröffentlicht.2 Das gilt nicht nur für Nordkorea, sondern auch für Indien, Pakistan, Libyen, Syrien und andere Länder, von denen angenommen wird, dass sie fortgeschrittene Raketentechnologien entwickeln. Bis vor kurzem waren unabhängige Experten von den Informationskrümeln abhängig, die das Pentagon vom Tisch fallen ließ. Das wird sich jetzt dramatisch ändern. Grund dafür ist das frei verkäufliche Bildmaterial, das dem von Militärsatelliten qualitativ sehr nahe kommt.

Montagehalle

Das Gebrüll einer Maus

Die Federation of American Scientists (FAS), eine Washingtoner Organisation für die zivile Rüstungskontrolle, erwarb für $ 2000 von der Firma Space Imaging Inc. mit Sitz in Colorado Bilder des nordkoreanischen Testgeländes - auf dem freien Markt. Der Satellit vom Typ IKONOS, mit dem die Aufnahmen gemacht wurden, befindet sich seit letztem Herbst auf der Umlaufbahn. Die Bilder wurden entwickelt von Kodaks Commercial & Government Systems. Deren Präsident Carl Marchetto hatte zur Bedeutung von Weltraumbildern gesagt, dass " Bildmaterial mit einer Auflösung von einem Meter (...) die Art und Weise, wie Regierungen, Unternehmen und Individuen ihre Welt wahrnehmen, einschneidend ändern wird."3 Er hat Recht behalten.

Als sich die Wissenschaftler an die Auswertung der Bilder machten, erwartete sie eine Überraschung: Das ominöse und bedrohliche Testgelände auf der Position 40° 51' 17'' Nord 129° 39' 58'' Ost war in Wirklichkeit nur minimal ausgestattet - es fehlten sowohl geteerte Straßen, Transportverbindungen, Treibstofflager und Wohnungen für die Beschäftigten als auch die notwendigen Zulieferindustrien. Damit schien es denkbar ungeeignet für die Durchführung eines ehrgeizigen Raketenprogramms zu sein. Die Bilder wurden auf der FAS-Website veröffentlicht und auf CNN ausgestrahlt, was sofort eine Interpretationsschlacht um die Bedeutung der Entdeckungen zur Folge hatte. John Pike von der FAS sprach von einer "Maus, die sich im Brüllen geübt hat (...) Wenn wir Angst vor einem nordkoreanischen Angriff haben, dann jedenfalls nicht deshalb. Die Rakete wird schon auf dem Weg zur Abschussrampe im Schlamm stecken bleiben. (...) Da werden Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe [für ein Raketenabwehrsystem] ausgegeben und eine Reihe von Prioritäten nationaler Politik verschoben, und alles wegen dieser unfassbar bescheidenen und lächerlichen Raketenabschussbasis."4

Diese Reaktion stieß wiederum auf Gegenkritik. Frank Gaffney vom Center for Security Policy in Washington, ein früherer Angestellter des Pentagon, fragte: "Was haben die erwartet, Cape Canaveral? Die Straßen mögen nicht gepflastert sein, aber die Nordkoreaner hatten einen erfolgreichen Raketentest mit ausreichender Reichweite. (...) Und das ist alles, was zählt."5

Ähnlich äußerte sich Pentagon-Sprecher Kenneth Bacon in einer Presseerklärung: "Wir wussten immer, dass die Technologie der nordkoreanischen Anlagen weit hinter unserer hinterherhinkt. Nichtsdestotrotz werden dort riesige Summen (...) für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen aufgewendet. Es ist ein Militärstaat (...), in dem das Militär Vorrang hat vor der Versorgung der Bevölkerung. (...) Es ist keineswegs überraschend, dass (...) sie es geschafft haben, Langstreckenraketen herzustellen und von derartig primitiven Rampen abzufeuern."6

Dennoch beharrte Pike auf einer alternativen Bewertung der Gefahr. Seine Schlussfolgerung ist, dass hinter dem Raketenprogramm nicht so sehr ein Programm mit dem Ziel eines tatsächlichen Angriffs auf die USA stehe, sondern dass es den Nordkoreanern in erster Linie um die Abschreckungswirkung auf die Amerikaner gehe, die mehr als 38 000 Soldaten in Südkorea stationiert haben. Für die Zukunft plant F.A.S. weitere Ankäufe von Fotomaterial, diesmal von Testgeländen in Indien und Pakistan - beide Länder führten 1998 Nukleartests durch und unterhalten umfassende Raketenprogramme.

Schnappschuss mit einer Auflösung von einem Meter des IKONOS vom Monument in Washington

Spionagefotos auf dem Freien Markt: Internationale Beziehungen, das Militär und die Privatsphäre

Welcher Art die Bedrohung durch Nordkorea auch immer ist: Der Fall macht deutlich, dass Militär und Entscheidungsträger nicht länger in der Lage sind, ihre Informationen unter Verschluss zu halten. Der kommerzielle Zugriff auf preiswertes und hochauflösendes Fotomaterial wird es Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Humanitären Organisationen erleichtern, die Einhaltung von Abrüstungsverträgen und die Existenz von Massengräbern zu überprüfen, Flüchtlingsbewegungen zu verfolgen und umweltschädigende Aktivitäten aufzudecken.

Es wird enorme Folgen auf die Weltpolitik haben, wenn Bilder von russischen Truppen in Grozny und indonesischem Militär in Osttimor, von israelischen Nuklearanlagen und brennenden kurdischen Dörfern in Pressekonferenzen herumgereicht werden. Der ständige Nachschub von neuen oder widersprüchlichen Weltraumbildern wird so für Kontroversen wie für breite öffentliche Debatten über die Gestaltung von Außenpolitik sorgen. NGOs haben jetzt ihr eigenes 'Auge im All', das ihnen dieselben Informationen liefert, über die ihre Gegenspieler in Regierungen und Verwaltungen verfügen. Die Bilder der nordkoreanischen Raketentestanlage haben demonstriert, wie man eine Diskussion anheizt und das Pentagon zum Laufen bringt. Der öffentliche Zugriff auf kommerzielle Satellitenbilder ist ein wirkungsvolles und die Demokratie förderndes Instrument.

Satellitenbilder sind natürlich schon länger von amerikanischen (Aerial Imagery Inc.), französischen (SPOT), russischen (SOVINFORMSPUTNIK) und indischen Firmen frei erhältlich - aber bislang in minderwertiger Qualität und zu extrem hohen Preisen. Außerdem dauerte es oft mehrere Monate, bis die Aufnahmen tatsächlich erhältlich waren. Der neu installierte private Satellit IKONOS dagegen liefert Bilder mit einer Auflösung von einem Meter und ist damit fast so leistungsfähig wie die Satelliten des Pentagons. "Man kann die Autos auf einem Parkplatz zählen", preist ein Sprecher der Firma das Produkt. Sobald der Satellit die gewünschte Stelle überflogen und die Bilder übermittelt hat, können diese vom Kunden einfach per Internet runtergeladen werden. Der Satellit umrundet die Erde 14 Mal am Tag.7

Doch nicht nur NGOs profitieren vom freien Handel mit Satellitenbildern - einer der größten Abnehmer wird das US-Militär selber sein. Der Erwerb von kommerziellen Fotos rangiert hoch auf der Prioritätsliste der National Imagery and Mapping Agency, der nationalen Behörde für Bildmaterialien und Kartographie. Kommerzielle Bilder können schneller zu Truppenverbänden oder Verbündeten gelangen, weil der umständliche Vorgang der Freigabe wegfällt. Bereits 1994 hob die Clinton-Regierung jahrelange gesetzliche Beschränkungen auf und vergab an 12 US-Firmen Lizenzen für den Betrieb von Satelliten mit einer Auflösung von nahezu einem Meter.

Trotzdem betrachtet eine Reihe von Leuten aus dem Umkreis der Verteidigungsbehörden kommerziell gehandelte Satellitenbilder als Gefahr für die nationale Sicherheit. Dabei haben sie gar nicht so sehr die NGOs und deren erweiterte Möglichkeiten, "öffentlichen Lärm" (eine Formulierung aus einem Dokument der Air Force) zu erzeugen, im Visier. Viel mehr Unbehagen bereitet ihnen die Tatsache, dass nicht nur das US-Militär auf Einkaufstour gehen wird. Besonders Armeen ohne eigene Überwachungssysteme werden begierig darauf sein, sich für wenig Geld die Jagdflieger, Panzer und Kriegsschiffe ihrer Nachbarn aus der Nähe anzuschauen. Darüber hinaus gibt es kein Gesetz, dass es den Firmen verbieten würde, aus einer Höhe von mindestens 400 Meilen auch Bilder von US-Militäranlagen oder anderen für die Öffentlichkeit unzugänglichen Orten machen. Und ausländische Firmen können davon sowieso nicht abgehalten werden. Dennoch haben sich die Amerikaner ein Hintertürchen offen gehalten: US-Firmen, die bis heute die beste Bildqualität liefern können, sind verpflichtet worden, eine Liste ihrer Kunden und deren Wünsche zu führen - auf diese Weise erfahren die US-Militärs wenigstens, was die Anderen wissen wollen.

Die Entwicklung wird an dieser Stelle nicht Halt machen. In den kommenden Jahren wird das technologische Potential weiter entwickelt werden, so dass es dann nicht nur möglich sein wird, die Autos auf dem Parkplatz zu zählen, sondern zudem den Fahrer zu identifizieren. Bei einer Auflösung von weniger als 85 Zentimetern endet die Privatsphäre, so wie wir sie kennen. Die Auswirkungen auf Politik, Militär und unser Leben werden weitaus dramatischer sein, als es bei der gegenwärtigen Entwicklung der Fall ist. Oliver Morton wagte in der Zeitschrift Wired vor zwei Jahren eine Vorausschau: "Die Spionagesatelliten der Welt werden kommerziell genutzt und die Kontrollfreaks von den Behörden für Nationale Sicherheit verlieren die Nerven. Bereiten Sie sich vor auf den nächsten großen Verfassungsstreit darüber, wer was sehen kann und darf. Und wenn Sie nach oben schauen - bitte lächeln!"

Frei verkäufliche Fotos sind hier erhältlich:
Space Imaging
US-Firma, die einen eigenen IKONOS-Satelliten mit einer Auflösung von einem Meter betreibt.

Terraserver
Eine gemeinsames Projekt von SOVINFORMSPUTNIK, Digital Equipment, Microsoft, Kodak, US Geological Survey und Aerial Images Inc., das den Zugriff auf ein Archiv von sowjetischen Spionagefotos ermöglicht.

Olivier Minkwitz ist Gründungsmitglied der "Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik" (FoG:IS und Mitarbeiter der Arbeitsstelle transatlantische Aussen- und Sicherheitspolitik.