Weltweiter Export von kampferprobten Islamisten aus dem Irak?

Die Kämpfe mit der sunnitischen Gruppe im Libanon zeigen, dass der Irak nun vom Ausbildungslager für islamistische Terroristen zu einem Exportland werden könnte

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Die sich in im libanesischen Palästinenserlager Nahr al-Bared verschanzte sunnitische Gruppe Fatah al-Islam liefert sich seit mehr als einer Woche Kämpfe mit der libanesischen Armee. Dutzende von Menschen wurden getötet, auch im restlichen Land häufen sich Anschläge. Zwar konnten bereits viele der Bewohner das Lager verlassen, es sollen aber noch immer mehr als 10.000 Menschen zwischen den kämpfenden Verbänden eingeschlossen sein, die ohne Wasser und Strom auskommen müssen. Die bislang unbekannte Gruppe macht eine Entwicklung deutlich, die lange erwartet wurde, nämlich dass der Irak sich nun mehr und mehr von einem Magnet für militante Islamisten zum Exporteur von kampf- und anschlagserprobten Extremisten verwandelt.

Der Führer der Gruppe, Shaker Youssef al-Abssi, ist ein Palästinenser und soll mit dem von den Amerikanern getöteten Sarkawi, dem früheren al-Qaida-Chef im Irak, in Kontakt gestanden haben. Abssi war unlängst aus syrischer Haft entlassen worden. In Jordanien war er in Abwesenheit wegen der Beteiligung an der Ermordung des amerikanischen Diplomaten Laurence Foley im Jahr 2002 zum Tode verurteilt worden. Al-Abssi gründete Fatah al-Islam im letzten November. Obgleich der Großteil der Mitglieder junge Palästinenser sind, soll die Gruppe aus vielen Kämpfern bestehen, die bereits im Irak waren und dort oder in Lagern in Jordanien ausgebildet wurden. Vier der jetzt getöteten Kämpfer seien Saudis gewesen.

Shaker al-Abssi, der Führer von Fatah al-Muslim, in einer von al-Dschasira gesendeten Videobotschaft

Ob Fatah al-Islam tatsächlich mit al-Qaida verbunden ist, wie vermutet wird, ist nicht wirklich klar. Al-Qaida ist ähnlich wie "die Taliban" zu einem Label für islamistisch-sunnitische Militante und Terroristen geworden, das oft genug den Blick auf die vielen, teils auch miteinander konkurrierenden Gruppen verhindert. Vermutlich stehen auch die von Bin Laden und Sawahiri ideologisch geleiteten al-Qaida nahen Gruppen oft in keinem Kontakt, sondern agieren autonom mit einer unabhängigen Organisation und Führerschaft, so dass höchstens von einem transnationalen ideologischen Netzwerk gesprochen werden kann, in das über Medien, vor allem das Internet, hin und wieder Botschaften und viel Propaganda verbreitet wird.

Marwan Bishara, Experte für den Nahen Osten von al-Dschasira, macht deutlich, wie schwer sich solche Gruppen von Unzufriedenen, die vom militanten Islamismus und deren "Erfolgen" angesteckt werden, einordnen lassen. Nach seiner Meinung ist Fatah al-Islam weder eine Widerstandsgruppe noch eine Gruppe von Aufständischen. Die Gruppe sei eine Heimat für diejenigen, die weder materiell noch ideologisch eine Heimat gefunden haben:

Sie versuchen nicht, die libanesische Regierung zu stürzen, und sie sind noch keine Guerilla-Gruppe, die ihr Territorium erweitert. Es ist eine Gruppe, die wir eine asymmetrische Gruppe nennen. Sie gleicht den Gruppen, die in den Favelas in Brasilien, in dem Slums um die kolumbianische Hauptstadt, in den Außenbezirken von Casablanca, in Afghanistan, Somalia, in alle den grauen Regionen dieser Länder gegründet werden, in denen Recht und Ordnung nicht weit verbreitet sind.

Der Sender al-Dschasira hatte am Samstag ein Video von Al-Abssi gesendet, in dem dieser erneut die Entschlossenheit ankündigte, im Kampf sterben zu wollen. "Sunnitische Menschen sind die Speerspitze gegen zionistische Amerikaner", sagte er. Man würde gegen "die Juden, die Amerikaner und ihre Verbündeten" kämpfen, seine Gruppe sei aber keine Bedrohung für die Sicherheit des Libanon. Die USA haben Militärhilfe für die libanesischen Truppen bewilligt. Munition, Panzerwesten, Helme, Nachtsichtfernrohre und andere Ausrüstung wurden bereits in den Libanon eingeflogen. Militärische Hilfe kommt auch aus Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Inzwischen hat sich eine andere Gruppe mit dem Namen "Al-Qaida in Großsyrien" angehängt, die mit blutigen Anschlägen droht, wenn die libanesische Armee sich nicht zurückzieht und ihren "Kreuzzug" beendet. Die Warnung richtete sich besonders gegen die christliche Miliz Lebanese Forces von Samir Geagea und die christliche Freie Patriotische Bewegung von Michel Aoun Um das Bild noch weiter zu verkomplizieren, hatte Seymour Hersh vor kurzem behauptet, dass Fatah al-Islam von arabischen Staaten und indirekt auch von den USA unterstützt worden sei, um eine sunnitische Gegenkraft zur Hisbollah und zum iranischen Einfluss im Libanon aufzubauen (Kämpfe im Libanon). Die Hisbollah, die sich bislang politisch nicht in den Konflikt mit Fatah al-Islam eingemischt hat, warnt indessen, dass die Unterstützung der libanesischen Armee durch die USA das Risiko beschwöre, in den Kampf mit al-Qaida hineingezogen zu werden, weil dadurch mehr Kämpfer in den Libanon kommen könnten. Das Problem könne man politisch und strafrechtlich lösen.

Fatah al-Islam wird von einigen als Beleg dafür genommen, dass der Export von Kämpfern aus dem Irak begonnen hat, während bislang das von den USA und der "Koalition der Willigen" besetzte Land zuvor, sieht man von Nachbarstaaten wie Jordanien oder Saudi-Arabien ab, eher als Ziel von kampfeswilligen Muslimen aus der ganzen Welt galt, das nach dem Sturz der Taliban an die Stelle von Afghanistan rückte. Die New York Times zitiert Mohammad al-Massari, einen saudischen Dissidenten im britischen Exil, der das Dschihadisten-Internetforum Tajdeed.net betreibt:

Jetzt gibt es 50 Kämpfer aus dem Irak im Libanon, aber mit großer Vorsicht kann ich sagen, dass es Hunderte mehr gibt, 5.000 und mehr, die nur auf den richtigen Augenblick warten, um zu handeln. Der Fluss der Kämpfer beginnt bereits hin und her zu gehen, der Kampf wird überall stattfinden, bis die USA zur Kapitulation bereit sind.

Das scheinen nicht nur die blutigen Träume eines Militanten zu sein. So weist die NYT darauf hin, dass allein im letzten Monat 172 Männer in Saudi-Arabien gefangen genommen worden seien, die Anschläge geplant hätten. Ein Teil der Gefangenen sei im Irak ausgebildet wurden. Auch in Europa gibt es Befürchtungen, dass Muslime, die in den Irak gereist sind und dort gekämpft haben, wieder zurückkehren und nun hier weitere Anschläge planen könnten. In einem Bericht für das US-Außenministerium hatte Dennis Pluchinsky, der früher in der Geheimdienstabteilung des Ministeriums gearbeitet hatte, davor gewarnt, dass die Kämpfer, die ihre Erfahrungen im Irak gesammelt haben, für den Westen gefährlicher seien als Aufständische oder Terroristen aus Afghanistan, da der Irak sich in ein Laboratorium für urbane Guerillataktiken verwandelt hat. Dort habe man Erfahrungen bei der Herstellung von Bomben, dem Anlegen von sicheren Unterschlüpfen (safe houses) oder dem Ausspähen machen können:

Es gibt einige operationelle Parallelen zwischen dem städtischen Terrorismus im Irak und den urbanen Regionen in Europa und den USA. Vom Irak sind wichtigere terroristische Fertigkeiten auf Europa übertragbar als aus Afghanistan.

Im Libanon haben Hunderte von Soldaten mit schwerem Gerät das Lager umstellt. Die Regierung hat palästinensischen Organisationen Zeit gegeben, eine politische Lösung des Konflikts auszuhandeln. Angeblich sei dafür keine Frist gesetzt worden. Verteidigungsminister Elias Murr machte aber deutlich, dass sich die Kämpfer von Fatah al-Islam ergeben müssten, sonst würde das Militär das "Notwendige" ausführen.