Wem gehört die Mieterstadt?
Seite 2: Schippern zwischen Marx, AfD und Antisemitismus
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Kritik an Ihrer Initiative kommt auch von links. Teile der ortsansässigen Linken haben sich das Argument zu eigen gemacht, dass das Geld, das bei Enteignung als Entschädigung zu zahlen ist, besser für Neubauten zu verwenden wäre.
Michael Prütz: Wir haben eine Berechnung erarbeitet, wonach die Entschädigung, die im Rahmen des Grundgesetzes bezahlt werden muss, völlig haushaltsneutral gestaltet werden kann. Die jetzigen Mieten, die durchschnittlich den Wohnungsbaugesellschaften bezahlt werden müssen, würden eine Entschädigungssumme von 24 Mrd. € rechtfertigen, die die Anstalt öffentlichen Rechts, die gegründet werden soll, als Kredit aufnehmen würde. Wenn die Entschädigungssumme runtergeht, könnten sogar die Mieten sinken. Der Entschädigungspopanz ist ein Argument der Immobilienwirtschaft und auch von Teilen des Senats dahingehend, dass der Haushalt überlastet würde.
Einer Ihrer Marx-lastigen Kritiker schreibt: Ihre Vergesellschaftungskampagne ist ein Strohfeuer, weil die Enteignung an der politischen Ebene, der Landesregierung vorbeigeht. Der Senat ist nur die Aufsichtsbehörde bei durchzuführenden Volksentscheiden, ansonsten ist er aus der Schusslinie genommen. Und wenn ihr Projekt zu Ende ist oder zu scheitern droht, dann löst das bei Mietern, die von Vertreibung bedroht sind, nur Wut und Resignation aus.
Michael Prütz: Ich habe das auch gelesen, und ich sage ganz deutlich. Für mich sind Leute, die so etwas schreiben, Idioten. Denn wir gehen von den realen Verhältnissen aus, und wir haben in dieser Kampagne seit Januar über 150 Veranstaltungen absolviert, und zwar mit Menschen, mit denen diese Art von Linken niemals in Berührung kommen. Was ich erlebt habe, ist eine ungeheure Politisierung.
Man kann sich als engagierter Mensch doch nichts Besseres wünschen, als dass es eine Politisierung auf breiter Front gibt, und dass Leute zu uns kommen und wir Leute ansprechen können, die für die Linke sonst völlig unerreichbar sind und vielleicht noch eine Affinität zum AfD-Milieu haben. Wenn man diese Menschen darüber aufklärt, was die AfD im Programm anzubieten hat, nämlich die Privatisierung aller Wohnungen - das steht im Berliner Programm drin - dann kriegen sie so große Augen.
So wie der Senat die Problemlösung mit dem Mietendeckel angeht, handelt es sich um eine Verteilungsfrage. Vom Profit der privaten Wohnungseigentümer und Wohnungsgesellschaften soll etwas genommen oder eingefroren werden, und dafür haben potentiell die Mieter die Chance, eine tragbare Mietenbelastung, gemessen an ihrem Einkommen, zu erhalten. Aber es ist doch nicht nur eine Verteilungsfrage.
Michael Prütz: Genau so ist es. Man muss sagen, in einem hat diese Fraktion der linken Kritiker recht. Wir können uns nicht darauf beschränken, mit einer Kampagne die Bestandsmieter zu schützen. Wir brauchen öffentlichen Wohnungsbau. Wir müssen sozusagen das Terrain zurückerobern, das die Privaten besetzen.
Das Problem ist nur, dass der soziale Wohnungsbau in der gegenwärtigen Verfassung nicht funktioniert, weil die Wohnungen irgendwann aus der Förderung herausfallen und dann der gleiche Mist wie vorher passiert. Man muss, wenn auch der Weg der politischen Durchsetzung lang ist, zu einem kommunalen Wohnungsbau kommen wie in Wien. Das wäre das strategische Ziel. Mietendeckel, Bestandsmieter durch Enteignungen der Gesellschaften schützen und Neubau in einem Segment, das sich die Leute leisten können - das ist der Dreiklang.
Ihre Gruppe sagt schlicht und einfach: Enteignet Deutsche Wohnen. Vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen wäre zu fragen, was genau meinen Sie mit dem Begriff? Die Alternativen oder Synonyme wären Vergesellschaftung - die komplette Übereignung an die Mieter - es könnte aber auch Verstaatlichung heißen, was irgendwie an die DDR erinnert, und der dritte Begriff wäre Kommunalisierung, im Sinne von Überführung in gemeinwirtschaftliche oder gemeinnützige Unternehmen.
Michael Prütz: Die Enteignungsforderung war zu Anfang eine provokative Idee. Für uns heißt Enteignung Vergesellschaftung. Die neue Wohnungsgesellschaft, die wir anstreben, soll eine Anstalt des öffentlichen Rechts sein, die gemeinnützig ist. In der Satzung muss auch verankert werden, dass diese Wohnungen nicht mehr privatisiert werden dürfen. Sie soll wesentliche Elemente der Mitbestimmung von Mieterinnen und Mietern der Stadtgesellschaft enthalten.
Es geht darum, die Wohnungen in die öffentliche Hand zurückzuholen, aber nicht, wie es in der DDR gehandhabt wurde, als Verstaatlichung, zu der die Leute nichts zu sagen haben, sondern ganz im Gegenteil.
Wie soll in Ihrem Modell die Mitbestimmung der Mieter/innen gewährleistet sein?
Michael Prütz: Die Mieter/innen würden auf verschiedenen Ebenen gewählte Vertreter/innen abstellen, die die Anstalt des öffentlichen Rechts führen. In die Konstruktion sind Vertreter des Senats einzubinden.
Sie haben ihre mediale Strategie symbolisch auf ein ausgewähltes Unternehmen fokussiert. Damit wird die Auseinandersetzung quasi personalisiert und emotionalisiert nach dem Motto: Wir kennen die bösen Streiche dieses Unternehmens und seine Ignoranz uns gegenüber, und wir wissen von dem Reibach, den es macht, auch und gerade an der Mietpreisbremse vorbei. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie die Kritik auf einen Buhmann zuspitzen? Das ist der Unhold, und alles andere wird ausgeblendet. Könnten nicht am Ende, sofern Ihre Bewegung nicht so erfolgreich ist wie gewünscht, antisemitische Untertöne aufkommen?
Michael Prütz: Das sind ja Argumente, die vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen vorgetragen wurden. Die haben zeitweise argumentiert, wir seien Antisemiten, weil bei den zwölf zu vergesellschaftenden Unternehmen eine Gesellschaft dabei ist, die israelische Wurzeln hat. Wir haben gesagt, keiner von uns weiß, wer im Vorstand dieser Gesellschaften sitzt: Christen, Muslime, Atheisten. Das spielt für uns überhaupt keine Rolle. Mit dem Argument wollte man uns in die Enge treiben.
Aber in der Tat muss man auch die anderen in Berlin agierenden Gesellschaften stärker in den Fokus rücken. Die müssen neben "Deutsche Wohnen" benannt werden. Wir versuchen darauf hinzuweisen, dass die Größten von allen nicht einmal die Schlimmsten von allen sind. Es gibt Gesellschaften mit vielleicht vierhundert/fünfhundert Wohnungen, die noch rabiater sind. Unsere Hoffnung ist, dass durch unsere Kampagnen diese Art von Investoren davon abgeschreckt wird, weiter in Berlin tätig zu sein.
Man muss die maximale Forderung aufstellen, um überhaupt etwas zu erreichen. Stellt man die maximale Forderung nicht auf, erreicht man auch nichts.
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