Wenn Ackergifte die Bio-Ernte zerstören
Pflanzenschutzmittel, die auf konventionellen Ackerflächen versprüht werden, belasten auch Bio-Äcker in der Umgebung. Wissenschaftler und Umweltverbände fordern Offenlegung aller Pestizideinsätze
Der Export gefährlicher Pestizide war bisher ein gewinnbringendes Geschäftsmodell. Nun will die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, mit gutem Beispiel vorangehen und ein Exportverbot für gefährliche Pflanzenschutzmittel erlassen. Damit gemeint sind vor allem Pestizide, die in der EU längst verboten sind.
In diesem Zusammenhang kritisierte die SPD-Politikerin das Vorgehen von Agrarkonzernen, in der EU verbotene Pflanzenschutzmittel nach Afrika zu verkaufen: Es sei kein akzeptables Geschäftsmodell, Kleinbauern in Entwicklungsländern mit resistentem Saatgut und dem dazu passenden Pestizid auf Kredit in Abhängigkeit zu stürzen.
Auch die Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordern drastische Beschränkungen beim Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln sowie einen Export-Stopp von in der EU verbotenen Substanzen. Die Menge weltweit eingesetzter Schädlingsbekämpfungsmittel sei seit 1990 um 80 Prozent gestiegen, heißt es in dem zu Beginn des Jahres veröffentlichten Pestizid-Atlas 2022.
Vergiftungsunfälle im Millionenbereich
Marktanalysen zu Folge lag der globale Marktwert für Pestizide 2019 bei nahezu 84,5 Milliarden US-Dollar. Die jährlich ausgebrachte Pestizidmenge liegt bei rund vier Millionen Tonnen weltweit. Fast die Hälfte davon sind Herbizide, knapp 30 Prozent Insektizide und 17 Prozent Fungizide. An der wachsenden Menge Agrochemikalien vergiften sich weltweit Millionen von Menschen. Allein in Asien werden jedes Jahr rund 255 Millionen, in Afrika mehr als 100 Millionen, in Europa rund 1,6 Millionen Vergiftungsunfälle registriert.
Bei sachgerechter Anwendung sei nicht von einem gesundheitlichen Risiko auszugehen, beschwichtigt das Bundesinstitut für Risikobewertung. Dennoch ist Abdrift eben nicht zu vermeiden. So kann der Wind die feinen Tröpfchen direkt beim Spritzen verwehen. Wirkstoffe können sich über Verdunstung ausbreiten – oder indem sie an Staubpartikeln haften bleiben. Zwar soll der Praktiker auf dem Acker mit Hilfe modernster Technik, optimierten Spritzdüsen und verringerter Fahrgeschwindigkeit die Abdrift so gering wie möglich halten.
Ein Arbeitspapier der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen gibt diesbezüglich nützliche Hinweise. Doch scheint dies nicht immer zu funktionieren. Warum sonst werden immer wieder Bio-Äcker mit Ackergiften kontaminiert? Spritzt ein Bauer auf seinem Acker Herbizide, so können diese bei ungünstigem Wind den Acker eines benachbarten Biobauern erreichen. Der Wind kann die Tröpfchen bis zu Hundert Kilometern weit tragen.
So wie im Fall von Franziska Blind, die eine böse Überraschung mit ihrem Fenchel erlebte, geerntet im November 2020 auf einem Feld in der Nähe von Oettingen. Bei einer Laboranalyse wurden im Erntegut drei Wirkstoffe gefunden, die im Ökolandbau verboten sind. Bei einem von ihnen - Pendimethalin - lag der Rückstandswert bei 0,11 Milligramm pro Kilogramm. Damit war der Grenzwert, der bei 0,05 Milligramm liegt, um das Doppelte überschritten. Auch bei den Wirkstoffen Prosulfocarb und DNOC waren die Rückstandswerte relativ hoch.
Die komplette Ernte von zwei Hektar musste vernichtet werden. Unterm Strich blieb die Landwirtin auf einem Schaden von 8000 Euro sitzen. Die Biobäuerin vermutet, dass die Pestizidrückstände als Abdrift von nahe gelegenen konventionell bewirtschafteten Äckern vom Wind übertragen wurden.
Kein Einzelfall: Rückstände durch Abdrift
Der Fall des belasteten Fenchels zeigt, wie schwer die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln zu kontrollieren ist. Seit vielen Jahren ist dem Landwirtschaftsministerium bekannt, dass sich die Wirkstoffe Pendimethalin und Prosulfocarb, die als wassergefährdend eingestuft werden, von konventionellen Äckern verflüchtigen, vom Wind über weite Strecken getragen und als Abdrift auch Äcker belasten, die nach strengen Bio-Richtlinien bewirtschaftet werden.
In Folge der Pestizidbelastung können Gemüse, Kräuter und Tees nicht mehr als Bio-Produkte vermarktet werden. Die betroffenen Bauern bleiben auf hohen Schadenssummen sitzen. Seit Jahren fordert Bioland nationale Anwendungsverbote für die beiden oben genannten flüchtigen Herbizidwirkstoffe. Von 2012 bis 2016 dokumentierte der Anbauverband mehr als 200 Fälle von mit Rückständen belasteten Ernten und Proben.
Nicht in jedem Fall war der EU-Grenzwert überschritten. Bei Naturland etwa wurden nur ein bis zwei Mal im Monat Pestizidrückstände in der Verbandsware festgestellt, wobei hier häufig "nur" die selbst auferlegten strengeren Grenzwerte des Verbandes überschritten wurden. Die Fälle summieren sich, erklärt Harald Ebner, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Von Einzelfällen könne keine Rede sein.
Ackergifte finden sich auch in Naturschutzgebieten
2020 erregte eine Studie des Umweltinstituts München Aufmerksamkeit, die die Verbreitung von Pflanzenschutzmitteln in der Luft untersuchte. An rund drei Vierteln aller untersuchten Standorte wurden mindestens fünf und bis zu 34 Pestizidwirkstoffe beziehungsweise deren Abbauprodukte gefunden. In diversen Sammelmedien fanden sich 124 verschiedene Pestizidwirkstoffe sowie 14 Abbauprodukte von Pestiziden. Rückstände wurden selbst an Orten nachgewiesen, die weit von möglichen Einsatzorten entfernt waren.
Im Dezember 2021 wurden im Rahmen einer weiteren Studie Insekten in 21 Schutzgebieten auf 92 verschiedene Pestizide hin untersucht. Insgesamt wurden 47 Pestizide nachgewiesen, wobei in einem Schutzgebiet durchschnittlich 16 Pestizide gefunden wurden. In einem Fall waren die Tiere sogar mit 27 verschiedenen Stoffen belastet.
An allen 21 Standorten fand man die Herbizide S-Metolachlor, Prosulfocarb und Terbuthylazin sowie die Fungizide Fluopyram und Azoxystrobin. An 16 Standorten waren die Insekten mit dem besonders bienengefährlichen und in der EU verbotenem Neonicotinoid Thiacloprid belastet.
Wenn man bedenkt, dass auch in Naturschutzgebieten Landwirtschaft betrieben und Pestizide eingesetzt werden dürfen, überraschen diese Zahlen kaum. Zwar verbietet die neue Pflanzenschutzanwendungsverordnung den Einsatz einiger bienengefährlicher Pestizide. Allerdings sollen Landwirte in Nordrhein-Westfalen diese auch dann weiter spritzen dürfen, sofern deren landwirtschaftliche Flächen zu 30 Prozent in Naturschutzgebieten liegen.
Selbst nach Inkrafttreten des Insektenschutzgesetzes dürfen Pestizide in Naturschutzgebieten eingesetzt werden, wodurch das ohnehin unzureichende Gesetz noch weiter aufgeweicht wird.
Auch in Obst und Gemüse seien häufig Rückstände von mehreren verschiedenen Pestiziden gefunden worden, weiß Grünen-Agrarpolitiker Harald Ebner. So nimmt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit jährlich bis zu 2500 Proben von pflanzlichen Lebensmitteln. Zuletzt gab es bei drei Prozent der Proben Überschreitungen der Höchstgehalte von Pflanzenschutzmitteln. Allerdings ist die Wirkung des Zusammenspiels der Spritzmittel im menschlichen Körper – sogenannte Cocktaileffekte – kaum erforscht. Was fehlt, ist ein flächendeckendes Monitoring, das die Belastung von Umwelt und Luft mit Pflanzenschutzmitteln untersucht.
Konventionelle Frischprodukte sind oft mehrfach belastet
Die Auflagen für Bioprodukte werden immer schärfer. Es dürfen immer weniger Pestizide in den Lebensmitteln sein, die als "Bio" deklariert werden. Gleichzeitig geht der Einsatz von Pestiziden nicht zurück, sondern wird zum Teil sogar erhöht. Schließlich können auch Bioprodukte nicht sauberer sein als die Umwelt, in der sie produziert werden. Immerhin weisen frische Produkte aus biologischem Anbau im Schnitt 35 Mal geringere Mengen an Pestiziden auf als konventionelle Frischprodukte.
Für bestimmte Produktgruppen ist der Pestizidgehalt sogar 200 bis 500 mal geringer. So lautet das Ergebnis einer Studie des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) vom Mai 2021. Markante Unterschiede gab es nicht nur bei der Häufigkeit und der Konzentration eines Wirkstoffes, sondern auch in solchen Fällen, bei denen Rückstände mehrerer Pestizide bei einem einzigen Lebensmittel auftraten.
So wiesen etwa 50 Prozent der untersuchten Blattsalate und 45 Prozent des Kernobstes aus konventionellem Anbau mehr als ein Pestizid auf. In Produkten aus ökologischem Anbau hingegen gab es Mehrfachbelastungen in weniger als einem Prozent aller Proben.
Als Ursachen indirekter Kontamination nannten die Autoren außer der oben erwähnten Abdrift auch die Art der Verarbeitung oder Lagerung, zum Beispiel von Bioware in Silos, Bahnwaggons oder Containern, in denen zuvor konventionelle Ware transportiert wurde. Trotz sorgfältiger Reinigung sei eine komplette Entfernung aller Pestizide nicht immer garantiert, hieß es. Als Beispiel wird das Lagerschutzmittel Phosphorwasserstoff genannt, das zur Schädlingsbekämpfung bei der Lagerung von konventionellem Getreide eingesetzt wird.
Auch indirekt kann es Rückstände gegen - zum Beispiel wenn der Wirkstoff Dithiocarbamat https://www.gba-group.com/food/analysen/rueckstaende/dithiocarbamate/ auf Verpackungsmaterialien oder Latexhandschuhe gelangt. In den allermeisten Fällen gelangen Rückstände unbeabsichtigt auf ein Bioprodukt. Eine Reduktion der Pestizidrückstände auf Bioprodukten sei nur möglich, wenn alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette mitziehen, auch die Akteure außerhalb der Biobranche, eklären die Autoren der oben genannten Studie.
Eklatanter Mangel an Transparenz
Dass Pestizide die biologische Vielfalt beeinflussen, darin sind sich Wissenschaftler einig. Doch in welchem Ausmaß, ist weitgehend unbekannt. Zwar müssen Landwirte genau Protokoll darüber führen, welche Mittel sie wann und in welcher Menge auf welchem Acker ausbringen. Allerdings werden die Aufzeichnungen nur stichprobenartig kontrolliert. Auch werden sie weder zentral erfasst, noch ausgewertet oder irgendwo veröffentlicht. Nach drei Jahren dürfen die Unterlagen vernichtet werden.
Weder Menschen in der Wissenschaft noch in Naturschutzbehörden erhalten Daten zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Lediglich die jährlichen Verkaufszahlen von Pestizidwirkstoffen werden veröffentlicht. Zwar plant die Ampel-Regierung laut Koalitionsvertrag ein digitales Herkunfts- und Identifikationssystem Nährstoff- und Pflanzenschutz. Dieses Modell würde auch normalen Bürgern ermöglichen, Daten über Pestizide abzufragen. Doch kaum angekündigt, kommt auch schon Gegenwind von Seiten der Agrarlobby.
Pufferzonen könnten helfen
Inzwischen fordern Wissenschaftler und Umweltverbände öffentlichen Zugriff auf entsprechende Daten. Nur dann könnten Wissenschaftler zusammen mit Daten zum Wetter und zur Landschaft lokal berechnen, wie groß das Risiko ist, dass Pflanzenschutzmittel vom Acker auf die naturgeschützten Bereiche geweht werden, erklärte etwa Insektenforscher Thomas Hörren im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Nur so könne man eine weitere Verbreitung von Pestiziden eingrenzen. Pufferzonen zum Beispiel könnten dafür sorgen, dass Pflanzenschutzmittel nicht in Naturschutzgebieten landen.
In einer aktuellen Petition fordert das Umweltinstitut München die Bundesregierung konkret dazu auf, alle Daten über Pestizideinsätze offenzulegen. Ziel sei eine "digitale, schlaggenaue und öffentlich zugängliche Datenbank", aus der sich direkte Erkenntnisse über die tatsächliche Pestizidausbringung in Deutschland gewinnen lassen, erklärt Vera Baumert, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut. Andernfalls sei das Ziel der EU, Pestizide bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren, wohl nichts als ein leeres Versprechen.
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