Wenn Erdgas zu teuer wird

Seite 2: Glasherstellung und Verarbeitung

Auch die Glasindustrie ist von den Gaspreissteigerungen direkt betroffen. Etwa 1.400 Grad Celsius herrschen in den Glasschmelzöfen der Glashütten, wie sie traditionell im Bayerischen Wald arbeiten. Erreicht wird diese Temperatur in der Regel mit Gasbrennern. Das macht die Glasindustrie zu einer äußerst energieintensiven Branche.

Zwar ist die Auftragslage derzeit ziemlich gut, denn viele Kunden, die bislang in der Ukraine oder in Russland Glas bestellt hatten, leiden derzeit unter den gestörten Lieferketten und suchen kurzfristig Ersatz in Deutschland. Diese Aufträge können jedoch derzeit nicht kostendeckend abgearbeitet werden, weil der durch die zusätzlichen Aufträge gesteigerte Gasbedarf ein Vielfaches der bisherigen Bezüge kostet.

Würden die Gaslieferungen jedoch eingestellt, käme es zu einem Produktionsstillstand, der die Anlagen beschädigen würde. Sind die Schmelzwannen erst einmal abgekühlt, sind sie irreparabel zerstört.

Düngemittelindustrie

Die Düngemittelindustrie könnte sich zwar aufgrund der Sanktionen gegen Russland und Belarus über eine höhere Inlandsnachfrage freuen, aufgrund der Gaspreisentwicklung ist sie jedoch nicht glücklich mit der aktuellen Situation. Große Betriebe wie BASF hatten zuletzt die Produktion aus Kostengründen schon reduziert. Sie befürchten jetzt einen Ausfall der Gaslieferungen.

Dann würde die deutsche Düngemittelproduktion ins Stocken geraten, mit nicht abschätzbaren Folgen für die Landwirtschaft. Joachim Ruckwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, sagt zu diesem Szenario:

"Momentan gibt es zwar erste Engpässe, aber die diesjährige Ernte sehe ich nicht gefährdet. Sollten zukünftig Dünge- und Pflanzenschutzmittel nur noch begrenzt verfügbar sein, würde dies zu massiven Ernteeinbußen führen."

Mittelfristig werden dann auch die Lebensmittelpreise weiter steigen. Die Preise für Diesel, Futter- und Düngemittel treiben die Produktionskosten der Landwirte in die Höhe. Ruckwieds Konsequenz aus der drohenden Gasknappheit: "Deutschland muss nicht nur eine Gasreserve, sondern auch eine Reserve für Düngemittel anlegen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen."

Chemische Industrie

Keine andere Branche hängt so sehr am Gas wie die Chemieindustrie. Gas ist aus zwei Gründen unverzichtbar und lediglich als Energieträger wäre Gas mittelfristig substituierbar. Für die mehr als 2000 chemisch-pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland ist Gas jedoch auch Rohstoff für viele Produkte.

Die 2,5 Millionen Tonnen Ammoniak, die mithilfe von Gas und Wasserstoff jedes Jahr hergestellt werden, sind sowohl Ausgangsstoff für Düngemittel als auch für medizinische Produkte. Im Falle der oben schon erwähnten Chemiegiganten BASF in Ludwigshafen, wird die Problematik einer Einstellung der Gasversorgung deutlich.

"Eine Reduzierung der Erdgasversorgung auf unter die Hälfte des heutigen Bedarfs würde zu einer vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit führen. Bei deutlicher Einschränkung oder Einstellung der Produktion ist mit erheblichen Auswirkungen auf die Grundversorgung der Bevölkerung ... zu rechnen", erklärte BASF- Unternehmenssprecherin Daniela Rechenberger.

Erdgas ist auch Rohstoff für die Herstellung von Acetylen. Das ist Ausgangsstoff für Kunststoffe, Arzneimittel, Lösemittel und Elektrochemikalien sowie hochelastische Textilfasern, die wiederum Vorprodukte für die Automobil-, Pharma-, Bau-, Konsumgüter- und Textilindustrie sind.

Produktionsverlagerung nach Fernost kein Ausweg

Noch vor wenigen Jahren hätte man eine Lösung der anstehenden Probleme in einer Produktionsverlagerung nach Fernost gesehen. Die in China üblichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona sind jedoch mit umfassenden Beschränkungen auch für Ausländer verbunden, so dass die Suche nach Produktionsstandorten im Reich der Mitte auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist.

Zudem ist die Logistik auf der Strecke zwischen China und Europa drastisch gestört und die Verfügbarkeit von See-Containern alles andere als zufriedenstellend.