Wenn Erdgas zu teuer wird

Gaspreise in astronomischen Höhen und die Idee, kurzfristig kein Gas mehr aus Russland zu beziehen, befeuern bei der Industrie Ängste, dass eine Produktion in Deutschland unwirtschaftlich sein wird

Während der Gasverbrauch der Haushalte von 2010 bis 2020 um einen Prozentpunkt auf 31 Prozent zurückging, legte der Verbrauch der Industrie im gleichen Zeitraum um zwei Prozentpunkte auf 36 Prozent zu.

Das Erdgas kam im Jahr 2020 zu 55,2 Prozent aus Russland, zu 30,6 Prozent aus Norwegen und zu 12,7 Prozent aus den Niederlanden. Dass sich die aus den Niederlanden gelieferten Mengen in absehbarer Zeit reduzieren, war nicht zuletzt aufgrund der im Raum Groningen auftretenden Erdbeben schon länger bekannt.

Dass jetzt gefordert wird, die Bezüge aus Russland einzustellen und den Haushaltskunden gleichzeitig versichert wird, dass ihre Versorgung mit Erdgas gesichert ist, hat bei der Industrie, die jetzt schon unter den drastischen Preissteigerungen leidet, die allergrößten Befürchtungen ausgelöst, nicht zuletzt, weil die Option der Beschaffung von LNG im Wettbewerb mit anderen Ländern steht und die verfügbaren Transportkapazitäten für die in Deutschland benötigten Mengen bei Weitem nicht ausreichend sind.

In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des e.on-Vorstandsvorsitzenden Leonhard Birnbaum interessant, der kürzlich sagte "Es gibt keinen internationalen Markt, in dem es genügend Gas gibt."

Die heimische Erdgasförderung wird jetzt wieder verstärkt gefordert. In der gegenwärtigen Situation besteht offensichtlich die gestiegene Hoffnung, dass sich die politische Stimmungslage wandelt.

Mit dem Import von Frackinggas aus den USA ist zumindest ein Anfang gemacht und die Vorbehalte von Umweltschützer gegen das Fracking werden inzwischen als russische Propaganda bezeichnet.

Und so scheint Fracking in Deutschland doch noch salonfähig zu werden, weil man jetzt die politische Sicherheit einer Förderung in Deutschland betont und die Risiken als beherrschbar bezeichnet. Gegen Putin scheint der Umweltschutz zurücktreten zu müssen.

Entlastung der Verbraucher von Gaspreissteigerungen

Das von den Koalitionspartnern beschlossene Entlastungspaket für Endverbraucher fokussiert in erster Linie auf die Unterstützung von Privathaushalten und Familien. Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V. (VIK) hat in diesem Zusammenhang mit Enttäuschung auf die beschlossenen Maßnahmen reagiert, weil die Belange der Industrie in dem Paket nur unzureichend berücksichtigt seien.

"Zahlreiche Unternehmen der energieintensiven Industrie aus vielen Branchen haben schon vor dem Ukraine-Krieg durch die hohen Energiepreise gelitten. Diese Situation hat sich nun weiter verschärft", so VIK-Hauptgeschäftsführer Christian Seyfert. Entlastungen seien daher auch hier notwendig.

Der VIK bemerkte in der Folge, dass die Versorgung der Privathaushalte, der Fernwärme und besonderer Infrastrukturen wie Krankenhäusern mit Erdgas selbstverständlich Vorrang habe. Das sei auch bereits entsprechend gesetzlich. In weiten Teilen unklar ist hingegen, was mit der Industrie geschieht, wenn Gas knapp wird:

Daher müsse umgehend hierauf der Fokus gerichtet werden. Im Falle einer ungeplanten Versorgungsunterbrechung drohen in der Industrie nicht nur Produktionsrückgänge, sondern auch die plötzliche Unterbrechung von Lieferketten und sogar massive Schäden an Produktionsanlagen.

VIK

Wofür benötigt die Industrie in Deutschland Erdgas?

Der Einsatz von Erdgas erfolgt in der Industrie einerseits zur Erzeugung von Prozessenergie, zur Beheizung von Fertigungsanlagen sowie als Rohstoff. Während man bei der thermischen Nutzung mittelfristig vielfach auf andere Energieträger wechseln könnte, ist dies beim Einsatz als Rohstoff für die Produktion nicht möglich.

Hier stehen die Produktion von chemischen Vorprodukten, Gasen wie Wasserstoff sowie Düngemitteln im Vordergrund.

Papier- und Kartonagefertigung

In Folge der zunehmenden Verlagerung des Detailhandels von den stationären Ladengeschäften in den Onlinehandel stieg die Nachfrage nach Verpackungsmaterial. Auch das Ende der Plastiktüten hat die Nachfrage nach Papier deutlich erhöht.

Die Energiepreiserhöhungen sorgen inzwischen dennoch dafür, dass eine Fertigung in Deutschland zusehends unwirtschaftlich wird und sich ausländische Investoren zurückziehen.

Nicht immer sind die Folgen der Gaspreisenwicklung bislang so dramatisch, aber die steirische Papierfabrik Norske Skog in Bruck/Mur musste ihre Produktion drosseln, weil sie sich das Gas nicht mehr leisten konnte.

Wenn man die Produktion ganz einstellen müsste, wäre auch Fernwärmelieferung betroffen. In Deutschland fahren jetzt auch die Hersteller von Hygienepapier ihre Produktion herunter.

Deutschland hatte zuletzt nach China, den USA und Japan die viertgrößte Papierindustrie weltweit. Knapp die Hälfte der Produktion an Papier, Pappe und Karton ging in den Export.

Gas war mit einem Anteil von 55 Prozent der wichtigste Energieträger. Mittelfristig könnte Gas durch andere Energieträger ersetzt werden. "Ein Gasembargo würde für die Papierindustrie praktisch einen flächendeckenden Produktionsstopp bedeuten", sagt Alexander von Reibnitz, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Die Papierindustrie.

Für eine Umrüstung benötigt man jedoch zusätzlich zu den Investitionen auch neue Betriebsgenehmigungen.