Wenn Erwachsene Kinderarbeit machen
Kein Tabu, aber ein heikles Thema
Kinder spielen? Kinder arbeiten! Wer Kinder beim Spiel beobachtet, stellt fest, dass sie in der Regel Kaufläden und Eisdielen, Restaurants, Schulen, Hoch- und Tiefbaustellen, Bahn-, Flug- und Schiffslinien, Theater, Bauernhöfe und Zirkusse betreiben. Dabei werden ganz reale Leistungen erbracht und in eigenen Währungen entlohnt. Was uns als Spiel erscheint, ist Kindern oft ein ernstes Anliegen und Geschäft. Das Spielzeug richtet sich danach: Überwiegend besteht es aus verkleinerten Nachbildungen echter Gegenstände. Was aber, wenn Erwachsene Kinderarbeit leisten?
Symbolisches Nichtstun als höchste Stufe der Hierarchie
Zu allen Zeiten der Geschichte frönten die höchsten Würdenträger der Gesellschaft, Päpste, Könige, Präsidenten und Vorsitzende dem symbolischen Tun: Entlastet von den lästigen Erfordernissen des Alltags und der Geschäfte verkörpern sie das Potential der Gemeinschaft als symbolische Vereinigung mit geistigen Werten. Deren Verkörperung wird nicht als Arbeit verstanden und auch nicht in Stunden abgerechnet.
Das Volk schimpfte schon immer über die Nichtstuer "da oben", obwohl diese prozentual nur einen winzigen Teil der Beschäftigten ausmachten. In der Demokratie hat sich zwar die Zahl der symbolisch Beschäftigten erhöht, allerdings ist auch die Produktivität der übrigen gestiegen. Unter dem Strich geht es den meisten besser.
Eismann, Kapitän, Kassierer
Bei den kindlichen Spielen werden meist vorher die Rollen verteilt und im Verlauf des Spieles nicht mehr gewechselt. Ein Kassierer sitzt am Eingang und verlangt Eintritt. Einer gibt Eiskugeln aus. Ein anderer lenkt das Schiff und bestimmt als Kapitän, wer mitfahren darf. Die Rollen sind bis zu ihrer Verteilung strittig und oft kommt das Spiel nicht zustande, weil keiner eine bestimmte oder jeder die gleiche Rolle übernehmen möchte.
Was aber im Kinderspiel nur selten vorkommt: Die Bemängelung der Leistung in einer gewählten Rolle. Die Qualität der Sandeiskugeln etwa ist noch nie Gegenstand empörter Reklamationen gewesen. Die Kunden bleiben ihrer Sandkasteneisdiele trotz mieser Qualität und meist utopischen Preisen treu. Auch die Transport-, Servier- und Kulturdarbietungen kindlicher Dienstleister sind über jede Kritik erhaben. Qualität, Leistung und Produktivität spielen im kindlichen Berufsleben eine untergeordnete Rolle. Sagen wir es salopp: Kinder vollbringen überwiegend Beziehungsarbeit.
Wir nähern uns dem heiklen Thema
Wenn wir also nun darüber sprechen, dass Erwachsene Kinderarbeit verrichten, dann meinen wir nicht den Inhalt der meist symbolischen Arbeit, sondern die Besonderheit, dass sie ohne Leistungs- und Produktivitätskontrolle erbracht wird. Sie ist darin der Arbeit der höchsten Würdenträger ähnlich, ohne dass sie dabei allerdings besonderen, spirituellen Inhalten der Gemeinschaft gewidmet wäre.
Der Elektrikermeister etwa kommt höchstpersönlich, um festzustellen, dass der Heizungsausfall nicht auf seine Elektrik zurückzuführen ist. Der Heizungsinstallateurmeister wiederum kann feststellen, dass alle Komponenten der Heizungsinstallation funktionieren. Dass die Heizung dennoch ausfällt, liegt also aus Sicht der zuständigen Fachhandwerker auf keinen Fall an ihrer Leistung. Wenn nun kein dritter Grund für den Heizungsausfall besteht, erbringen beide Handwerker eine symbolische, keine reale Arbeit.
Selbstverständlich erwarten sie für ihre symbolische Tätigkeit die volle Vergütung in Form von Meisterstunden, zzgl. Anfahrt und Umsatzsteuer.
Wann beginnt eine Tätigkeit symbolischer Selbstzweck zu werden?
In der Gesundheitsökonomie gilt die Regel: Keiner ist so gesund, dass er nicht behandelt werden kann. Da der Behandelte bis heute die Rechnung und die Kosten nur in wenigen Ausnahmefällen selbst sehen soll und sich im sanften Bett einer an Krankheit und Gesundheit völlig desinteressierten Solidargemeinschaft wälzt, besteht keinerlei Gefahr für eine Leistungs- und Produktivitätskontrolle der abgefragten Scheinleistungen.
Es obliegt der Kreativität der Leistungserbringer, bevorzugt solche Leistungen auszuführen und zu melden, die sich wirtschaftlich besonders lohnen. Das wieder nach Hause Schicken wegen 25kg Übergewicht - dies verriet mir gerade ein Leistungserbringer im Vertrauen - ist zwar oft indiziert, wird aber von der AOK mit genau null Euro vergütet.
Zahnärzte röntgen erst einmal. Könnte sich ja alles geändert haben in 2 Monaten. An allen Zähnen. Die Kasse übernimmt das Zahnröntgen beliebig oft. Das geht natürlich nur, wenn jeder Dentist seine Röntgenbilder behält. Ist das ohne Verdacht auf eine Kiefer- oder Wurzelentzündung eine symbolische Leistung?
Wie der TÜV Elektroautos zur ABM-Maßnahme macht
Wie der legendäre britische Humorist Cyril Northcote Parkinson mit seinem legendären Parkinson's Law zeigte, ist fehlende sinnvolle Arbeit kein hinreichender Grund für Unterbeschäftigung.
Der TÜV-Süd kann einen Jahresumsatz von rund 1,5 Milliarden Euro vermelden. Und er hat ganz in Befolgung von Parkinson's Law eine dringliche Aufgabe entdeckt: Die bekanntlich gefährliche und unsichere, massenweise um sich greifende Elektromobilität muss dringend sicherer werden. Elektroautowracks säumen die Straßenränder. Die Krankenhäuser melden ständig Schwerverletzte, die Stromschläge und Verbrennungen an Solartankstellen und Batterien erlitten haben. "Sichere Elektromobilität: TÜV SÜD strebt Marktführung an" erfahren wir deshalb.
Marktführung heißt in diesem Fall in völliger Pervertierung der Marktwirtschaft die gesetzlich verfügte, nach beliebigen Kosten kalkulierte Zwangsüberprüfung von Elektroautos und Elektrotankstellen. Umsatzwachstum garantiert. Darf man den TÜV als Kinderarbeit für große Jungen bezeichnen?
Kinderarbeitsreservate: Max Planck Gesellschaft, Parlamente, Universitäten, Verbände, Parteien
Haben Sie schon einmal versucht, in einer Universität oder bei einem Abgeordneten anzurufen? Oder bei der SPD? Bei Verdi? In einem deutschen Spitzenverband?
Ich habe das bereits mehrfach versucht. Für die Nichterreichbarkeit per Telefon und E-Mail sind keineswegs die bekannten Brückentage zwischen 5.1. und 23.12. verantwortlich, sondern die weitgehende Funktionslosigkeit der dort Verantwortlichen. Wozu soll man erreichbar sein, wenn man ohnehin außer den internen Meetings nichts tun kann und will? Der Anrufer erwartet eine real-produktive Leistung - völlig zu Unrecht. Die Beschäftigung in diesen Einrichtungen erhält man durch Beziehungen und Wartefristen.
Wie auf dem Spielplatz des Kindergartens ist man auf einmal als Käpt'n und Matrose an Bord. Das Schiff steht zwar und fährt auch nirgendwo hin. Aber es bietet "sichere Beschäftigung mit Aufstiegschancen", wie Erwachsene dort ihre Kinderarbeit nennen. Erwachsene empfinden sie dabei als Störung.
Ist die DDR an Kinderarbeit von Erwachsenen zugrunde gegangen?
Meine erste Sekretärin in Potsdam kam immer pünktlich um sieben Uhr ins Büro zum Dienst. Dieser bestand darin, sich auf die Zubereitung des Frühstücks um acht Uhr vorzubereiten. Es wurde gemeinsam von Chef und Mitarbeitern eingenommen und dauerte dreißig Minuten. Dann wurde gearbeitet, bis zur 10 Uhr 15 Pause, die die Vorfreude auf das Mittagessen um 12 Uhr steigerte. War dieses um 13 Uhr glücklich beendet, durfte Frau F. ihren Arbeitstag mit dem Postausgang, den sie in einem Buch vermerkte, auch schon beschließen: Pünktlich um 15 Uhr verließ sie das Büro. Ohne die Post, denn das wäre eine unzumutbare Mehrbelastung gewesen.
Angeblich soll es mehr von diesen Beschäftigungsverhältnissen gegeben haben, als die Volkswirtschaft zwischen Eisenach und Wismar verkraftete. Als ich sie einmal fragte, warum sie immer schon um 15 Uhr gehen wollte, sagte sie: "Weil ich dann noch meine Einkäufe erledigen kann."
Das bedingungslose Grundeinkommen: Kinderarbeit als Volkspflicht
Aus vielen Gründen habe ich mich noch nicht näher zum bedingungslosen Grundeinkommen geäußert. Ich kenne Götz Werner ebenso persönlich wie seinen PR-Chef, der ihm zu dieser PR-Aktion geraten hat.
Niemand wagt es, das BGE in Frage zu stellen. Die Sehnsucht danach, entlastete Spielplatzarbeit verrichten zu dürfen, ist in einem von Mobbing, Burn-Out und Fraud geprägten Berufsleben nicht nur verständlich, sondern berechtigt. Allerdings adressiert sich das bedingungslose Grundeinkommen damit an Zeitgenossen, die Lohnarbeit als eine fremdbestimmte Fron ansehen, aber die Selbständigkeit dennoch derart unattraktiv finden, dass sie nicht kündigen und risikoreich investieren möchten. Oder an Künstler und Aktivisten, die in der Gewissheit leben, eine für die Gesellschaft wertvolle Arbeit zu vollbringen, die jedoch von dieser aus Ignoranz nicht honoriert wird.
Der Autor gehört dem letzteren Typus an. Dennoch möchte ich keine, noch so gut bezahlte Kinderarbeit verrichten: Ich finde, der Druck der Verleger und Leser gehört dazu.