Wenn Hofberichterstatter der Immobilienbosse mit dem Grundgesetz wedeln
Framing nach Mietendeckel-Urteil: Doofe, unfähige Landesregierung versucht eigenmächtig Mieter zu schützen und hat sich die Klatsche des höchsten deutschen Gerichts verdient. Musste sie es kommen sehen?
Populismus gegen die einfache Bevölkerung ist manchmal gar nicht so einfach. Eine große Boulevardzeitung, deren Zielgruppe das einfache Volk ist, kann natürlich nicht einfach zugeben, dass sich ihre Chefetage nach dem Scheitern des Berliner Mietendeckels für den Eigentümerblock freut, der jetzt Nachzahlungen verlangen darf. Vor allem kann sie das nicht mitten in einer schweren Wirtschaftskrise, in der viele Menschen Einkommensverluste erlitten haben, ohne dass ihnen irgendjemand selbst die Schuld dafür geben kann. Sie braucht eine andere Erzählung, sonst könnte sie ja gleich schreiben: "Eure Armut kotzt uns an."
Das Framing in Berlins größter Lokalzeitung hätte eindeutiger nicht sein können: "Oberstes Gericht stoppt Mietendeckel - Senat macht uns Verfassungslos" titelte die B.Z. aus dem Hauses Springer an diesem Freitag. Tenor: Berlins "rot-rot-grüne" Regierung hätte wissen müssen, dass sie mit dem eigenmächtigen Versuch, Mieterinnen und Mieter zu schützen, den Boden des Grundgesetzes verlasse.
Die Nürnberger Nachrichten bliesen ins gleiche Horn, nachdem am Donnerstag der Berliner Mietendeckel in Karlsruhe für nichtig erklärt worden war: "Es hatte genügend warnende Stimmen gegeben", schrieb das Blatt aus der Heimatstadt des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). "Sie alle sagten: Einem Stadtstaat wie Berlin steht es einfach nicht zu, sich mit seiner Landesgesetzgebung über die Regelungen des Bundes hinwegzusetzen. Genau das hatte die rot-rot-grüne Regierung der Hauptstadt mit ihrem Mietendeckel getan. Und deswegen fing sie sich zu Recht eine ordentliche Watsche des Bundesverfassungsgerichts ein."
Was hat der Bund "abschließend geregelt"?
Abgesehen von der Häme und der klaren Positionierung gegen die Interessen einkommensschwacher Menschen in diesem Kommentar: Hätte der Berliner Senat es kommen sehen müssen, weil - wie das Bundesverfassungsgericht argumentiert - die Bundesgesetzgebung das Mitpreisrecht schon "abschließend geregelt" hat?
Die Rede ist von der "Mietpreisbremse" - einem eher schwachen Instrument, das zwar im bundesweit geltenden Bürgerlichen Gesetzbuch verankert wurde, aber ausdrücklich als Verordnungsermächtigung an die Landesregierungen. Sie können es seither in "bestimmten Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten" anwenden - oder eben auch nicht, wenn sie gar nicht erst solche Gebiete ausweisen. Möglich ist das zum Beispiel in Gegenden, wo "die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt".
Solche Gebiete auszuweisen, stand zwar auch dem Berliner Senat frei, aber selbst in solchen Spannungsgebieten gilt die "Mietpreisbremse" nur mit Ausnahmen und greift erst ab zehn Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete bei Neuvermietungen.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich entschieden, nicht näher darauf einzugehen, ob ärmere Mieter überhaupt eine Steigerung verkraften und ob Grundrechte wie Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit und Unverletzlichkeit der Wohnung im Ernstfall auch mit Obdachlosigkeit vereinbar sind. Eingegangen ist es auf die formale Zuständigkeit der Bundesgesetzgebung, die aber faktisch den Ländern den Schwarzen Peter zugeschoben und damit einen Flickenteppich geschaffen hat.
"Gute Verlierer sind sie nicht"
"Die Befürworter des Mietendeckels sind stinkesauer, gute Verlierer sind sie nicht", schrieb die B.Z. am Freitag morgen online und beklagte sich, dass es nun vor allem auf Twitter jede Menge boshafter Kommentare gebe - und zwar "nicht gegen den rot-rot-grünen Senat, sondern gegen die 284 Abgeordneten von CDU/CSU und FDP, die die Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht einreichten".
Unter der Überschrift "Danke für nichts! Wir müssen jetzt Miete nachzahlen" zitierte die B.Z. allerdings Betroffene, deren Statements überwiegend gar nicht erkennen ließen, dass sie in erster Linie sauer auf den Berliner Senat wären. Eine 24jährige Musikerin erzählte demnach nur, dass sie durch die Pandemie im Jahr 2020 kaum etwas verdient habe und daher schlecht etwas für mögliche Nachzahlungen zurücklegen konnte. Dementsprechend hätte sie auch Schwierigkeiten gehabt, die höhere Miete zu zahlen, wenn sie früher fällig geworden wäre. Eine gleichaltrige Studentin hatte etwas zurückgelegt, würde es aber lieber für Urlaub als für Mietnachzahlungen ausgeben.
Das Mitgefühl der Boulevardzeitung für die einkommensschwachen Menschen endet allerdings, wenn es um das Volksbegehren der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" geht - das ist dann "der nächste Angriff auf Berliner Vermieter".
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