Wenn Medien kritisiert werden...
Schweigen und Gerechtigkeit: Der Tagesspiegel erklärt und entschuldigt sich; die Debatte um #alledichtmachen schwelt weiter
"Satire darf alles!"
Kurz Tucholsky, 1919
"Satire darf alles. Außer Corona und Medien."
Harald Martenstein, 2021
Der Tagesspiegel hat seine Berichterstattung zu #allesdichtmachen nach massiver Kritik anderer Medien korrigiert, und sich zumindest ein bisschen bei Betroffenen entschuldigt. Die Berliner Zeitung gesteht "handwerkliche Fehler" und Versäumnisse ein, und sieht zusätzlichen Aufklärungsbedarf.
Nicht erwähnt wird in der Erklärung allerdings, dass der Tagesspiegel zuvor schon bereits veröffentlichte Artikel im Nachhinein korrigiert, bzw. wertende Passagen entschärft hatte. Bislang hat die Zeitung in den gut zwei Wochen seit dieser Entschuldigung noch nichts zusätzlich aufgeklärt.
Willige Werkzeuge?
#allesdichtmachen - die unter diesem Motto erschienene Kritik von gut 50 deutschen Filmschauspielern an der Corona-Politik deutscher Regierungen und der sie tragenden Parteien hatte vor einem Monat zu einer breiten öffentlichen Debatte geführt.
Sie mündete unter anderem in massive Kritik an den Schauspielern und den Verantwortlichen für diese Aktion: Hier seien - "typisch Schauspieler" - naive Künstler instrumentalisiert und manipuliert worden, die Aktion sei "zynisch", bediene niedere Instinkte, sei aus der Querdenker-Szene gesteuert, bis hin zu dem Vorwurf, man habe sich unabsichtlich oder bewusst zum willigen Werkzeug rechtsradikaler politischer Agenden machen lassen.
Besonders breiten Platz hatte diesen Vorwürfen der Berliner Tagesspiegel eingeräumt, verbunden mit selbst beauftragten Recherchen zum Thema "Wer steckt hinter allesdichtmachen?" und der angeblichen Aufdeckung von Beziehungen zwischen Filmbranche und Querdenkern ("Die Geschichte hinter #allesdichtmachen").
"Das war nicht unsere Absicht. Wir haben den Artikel entsprechend korrigiert"
Schon vor seiner Erklärung "in eigener Sache" hatte der Tagesspiegel bereits veröffentlichte Artikel im Nachhinein korrigiert, bzw. wertende Passagen entschärft. So zum Beispiel in einem Text des "Ressortchef Medien", Joachim Huber. Der hatte über den Schauspieler Volker Bruch, einen der Teilnehmer und nach Lesart der Zeitung "Drahtzieher" von #allesdichtmachen, im Zusammenhang mit den Dreharbeiten zu "Berlin Babylon" zum einen geschrieben: "Der Schauspieler Volker Bruch […] will Mitglied der Querdenker-Partei 'Die Basis' werden. Die ARD Degeto nimmt das hin" - nachdem ihm die Produktionsfirma ARD Degeto nur die Stellungnahme gegeben hatte: "Wir kommentieren politische Aktivitäten und Haltungen nicht, solange sie nicht gegen geltende Gesetzgebung verstoßen."
Hubers Artikel endete mit einer zwischen den Zeilen versteckten Unterstellung: "Ob er [Bruch] mit seiner Rolle, der Figur des Gereon Rath, der in den Romanen von Volker Kutscher und in der Serie alles andere als ein Anhänger des Rechtsextremismus und als Freund der erstarkenden NSDAP auftritt, ein Problem hat, ist nicht bekannt."
Autor Huber legt hier Volker Bruch eine rechtsextreme Gesinnung nahe - der Versuch einen politisch Andersdenkenden zumindest im demokratischen Spektrum öffentlich mundtot zu machen, die möglicherweise an den Tatbestand der üblen Nachrede heranreicht.
Offenbar sahen auch die Hausjuristen des Holtzbrinck-Verlages ein Problem oder es gab größere Leserproteste. Jedenfalls strich die Chefredaktion Hubers Unterstellung ersatzlos und kommentierte ihren Eingriff nachträglich mit dem Zusatz: "In einer vorherigen Version konnte der Eindruck entstehen, dass die Partei 'Die Basis' und Volker Bruch rechtsextremes Gedankengut hegen. Das war nicht unsere Absicht. Wir haben den Artikel entsprechend korrigiert."
"Opinionporn" oder Alternative zur Alternativlosigkeit
Über die Berichterstattung der Zeitung und ihre Einseitigkeit, über den Ton und handwerkliche Fehler hätten andere Medien und neutrale Pressespiegel besser und ausgewogener informieren müssen. Gerade um die Aufklärung über Medienfehler nicht den "alternativen Medien" mit Querdenker-Geruch zu überlassen.
Stattdessen wurden an vielen Orten Tagespiegel-Behauptungen zitiert und übernommen, und ein schauspieler-kritischer Text nach dem anderen kritiklos verlinkt. Die beiden einzigen Texte des Blattes aber, in denen Harald Martenstein, mit seinen Kolumnen der Held des Bildungsbürgertums, seinen eigenen Verlag kritisiert und die Schauspieler verteidigt, kamen in der Berichterstattung auffallend wenig vor.
Dabei hatte Martenstein sowieso nur hinter der Bezahlschranke - im Gegensatz zu deren Anklägern - die Schauspieler in ihrer Meinungsfreiheit verteidigt und beschrieben, "wie Mäuler gestopft werden".
Noch einmal zu Erinnerung das Fazit aus dem bei Telepolis bereits umfassend zitierten Textes: "Es geht darum, einzuschüchtern. Eine Entscheidung, zu der es Alternativen gibt, wird als alternativlos dargestellt. Es wird so getan, als gehörten die Kritiker, die für viele sprechen, zu einer kleinen, radikalen Minderheit. Ihre Positionen werden, wenn überhaupt, nur verzerrt oder höhnisch dargestellt."
Man hätte auch noch berichten können, dass Martenstein das zwar sagen durfte - man darf ja in Deutschland alles sagen -, aber eben nicht unwidersprochen. Darum wurde auch in der taz postwendend eine Gegenrede veröffentlicht, gipfelnd mit der auch etwas fragwürdig erregten Formulierung, bei dessen Kolumne handle es sich um "Opinionporn".
Überempfindliche Medien
Aber immerhin musste sich der Tagesspiegel korrigieren und entschuldigen. Ein Indiz, dass es intern relativ heftige Kritik gehagelt haben muss.
Es gab noch eine Fortsetzung, auch die im Tagesspiegel. Allerdings nicht gedruckt, sondern in Form eines Video-Podcast. Bei dieser Veranstaltung, die man sich unbedingt anschauen sollte, um die letzten Illusionen zu verlieren, sprach man mit einem, den das Blatt besonders hart kritisiert hatte, dem Mediziner Paul Brandenburg.
Bei der Veranstaltung durfte Harald Martenstein dann auch mitreden, flankiert von zwei kritischen Schauspieler-Kritikern aus der Redaktion - nach einem Drittel der Veranstaltung musste Martenstein allerdings wegen anderer Verpflichtungen aufstehen und gehen.
Jenseits seiner Verteidigung der Schauspieler als Bürgerrechtler blieb Martensteins Beobachtung, dass viele Medien nicht nur bei Kritik an der Corona-Politik überempfindlich reagieren, sondern erst recht, wenn sie selbst kritisiert werden - wie von einigen Schauspielern in #allesdichtmachen.
"Vor den rauchenden Trümmern der Berichterstattung"
Man muss nun nicht mit #allesdichtmachen sympathisieren oder mit Brandenburg, um festzustellen, dass er als klarer Sieger aus der Debatte hervorging und die verbliebene Rest-Redaktion nicht besonders gut aussehen ließ. Das ist auch ein Armutszeugnis für den ganzen deutschen Journalismus - wie überhaupt der Umgang mit #allesdichtmachen.
Das finden auch andere. Viele schwiegen nach dem Tagesspiegel-Eingeständnis peinlich berührt, der BR allerdings berichtete angemessen kritisch. Am deutlichsten wird Meedia: "Der Tagesspiegel steht vor den rauchenden Trümmern seiner #allesdichtmachen-Berichterstattung."
Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer dass es auch im modernen Journalismus ab und zu ein bisschen Gerechtigkeit gibt.