Wenn Neuronen kommunizieren
Forscher beobachten Anordnungen neuronaler Moleküle mit ungekannter Schärfe
Jahrzehntelang galt der Lichtmikroskopie als durch die Auflösungsgrenze des Lichts beschränkt. Speziell im Bereich der Biologie mussten viele Fragen unbeantwortet bleiben, weil es den Forschern nicht möglich war, Vorgänge in Zellen unter einer Grenze von 200 Nanometern zu beobachten. Jetzt ist es Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Biophysikalische Chemie in Göttingen gelungen, mit einem neuen Mikroskopieverfahren molekulare Vorgänge in Neuronen mit Licht zu entschlüsseln. In der aktuellen Ausgabe von Nature (Vol 440, vom 13. April 2006, doi:10.1038/nature04592) berichten sie.
Licht ist eine Welle, daher kann man es in einem Mikroskop nicht schärfer als 200 Nanometer (nm) fokussieren. Diese von Ernst Abbe 1873 erstmals definierte Auflösungsgrenze bedeutet, dass Objekte, die enger als 200 nm beieinander liegen, auf einer Abbildung immer nur als verschwommener Fleck erkennbar sind. Die Schwelle von 200 nm galt als unüberwindbar. Höhere Auflösungen waren bislang nur mit Elektronen-, Rastertunnel- oder Rasterkraftmikroskopen möglich. Sie verfügen über eine molekulare Auflösung, haben jedoch für Disziplinen wie die Biologe entscheidende Nachteile: Auf ihnen lassen sich nur Details auf Oberflächen betrachten, nicht jedoch dreidimensionale Bilder aus lebenden Zellen.
Außerhalb des Abbeschen Gesetzes
In den vergangenen Jahren ist es jedoch Physikern unter Leitung von Stefan Hell vom Göttinger Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie gelungen, mit der Stimulated Emission Depletion-Mikroskopie (STED) einen neuen Ansatz zu entwickeln, mit dem die Auflösungsgrenze in der Fluoreszenzmikroskopie überwunden werden kann. Hell und sein Team konnten bereits experimentell nachweisen, dass sich mit herkömmlichen Objektiven und fokussiertem Licht Auflösungen von bis zu 16 Nanometer erreichen lassen und fluoreszierende Proben auch mit fokussierender Optik auf der Nanoskala abbildbar sind.
Unser Verfahren ist das erste überhaupt, bei dem man fokussiertes Licht auf die Nanoskala runterbrechen kann. Und das ist nichts anderes als ein Paradigmenwechsel in der Mikroskopie. Denn bislang ging man davon aus, dass bei fokussiertem Licht bei 200 nm Schluss ist. Unser STED-Konzept hingegen zeigt, dass man mit fokussiertem Licht auch die Nanoskala erreichen kann.
Stefan Hell
Neuronen in vitro
Jetzt haben Hell und seine Gruppe zusammen mit dem Team um Reinhard Jahn von der Abteilung für Neurobiologie des Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie das Verfahren erstmals erfolgreich auf einen biochemischen Prozess angewendet, und dabei Vorgänge in Nervenzellen (Neuronen) auf der Ebene einzelner Moleküle studiert.
Neuronen kommunizieren über biochemische Botenstoffe miteinander, so genannte Neurotransmitter. Sie sind normalerweise in den präsynaptischen Nervenenden gespeichert, den synaptischen Vesikeln. Läuft nun eine Erregung in das Nervenende ein, verschmelzen die Vesikel mit der umgebenden Außenmembran und setzen den Transmitter frei. Anschließend wird die Vesikelmembran durch Endcytose wieder in die Zelle hineingeholt. Die nun schon lange offene Frage lautete: Was passiert mit den in der Vesikelmembran sitzenden Proteinen nach der Fusion? Zwei Alternativen schienen möglich: Dass sich nämlich die Proteine erstens in die Plasmamembran verdünnen, um dann für die Endocytose wieder eingefangen zu werden. Oder dass sie zweitens wie ein Teppich (Cluster) in der Membran zusammenbleiben.
Die STED-Mikroskopie hat jetzt Klarheit gebracht. Die Forscher konnten die mit fluoreszierenden Markierungen versehenen Vesikel beobachten und feststellen, dass nach der Fusion tatsächlich kleine Flecken (spots) von Vesikelproteinen vorhanden waren. Die Proteine verteilen sich also nicht frei über die Oberfläche, sondern bleiben in diesen Clustern zusammen und werden wahrscheinlich zusammen wieder durch die Endocytose hereingeholt. „Mit den herkömmlichen Mikroskopen blieb uns dieser Prozess verborgen. Da Vesikel einen Durchmesser von 40 nm besitzen und damit unterhalb der Auflösungsgrenze des Lichts liegen“, so Jahn. Für den Neurobiologen, der sich seit Jahren mit der Funktion der Präsynapse, der Vesikelfusion und der Vesikelbeladung mit Neurotransmittern beschäftigt, bedeutet das neue Verfahren einen „wirklichen Durchbruch“, mit dem höchstwahrscheinlich noch viele ungeklärte Fragen angegangen und beantwortet werden können.