Wenn Romantik Rassismus gebiert

Obergruppenführersaal mit Schwarzer Sonne in der Wewelsburg. Bild: Dirk Vorderstraße / CC-BY-2.0

Wie eine an sich positive Einstellung Hass und Hetze nähren kann

Der Herr der Ringe erlebt hin und wieder den Vorwurf, rassistische Schablonen zu nutzen. Oberflächlich betrachtet scheint dies nicht unbegründet zu sein: Da sind die entrückt-überlegenen Elben und die Menschen mit "edlen" und "weniger edlen Blutlinien" auf der einen, die Orks und die sozusagen mit Fantasy-Genetik herangezüchteten Uruk-Hai auf der anderen Seite. Letztere sind durch und durch böse, zerstörerisch und bestienartig.

Begegnet wird diesem Vorwurf neben der zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Einordnung des Werkes unter anderem damit, dass die "Guten" ihre Welt nur dadurch retten können, dass sie sich zu einer quasi "multiethnischen" Gruppe zusammenschließen: Der Gemeinschaft des Ringes. Und dass in Gestalt des Hobbits Frodo nicht zuletzt ausgerechnet derjenige, der am wenigsten mit Hierarchien, edlem Betragen und Blutlinien in Verbindung gebracht wird, eben aus diesem Grunde als einziger den Akt der Errettung vollziehen kann, die Zerstörung des Ringes nämlich.

Lange vor der Entstehung des literarischen Bestsellers feierte schon einmal ein Ring Furore, aber im Gegensatz zum Herrn der Ringe erwies dieses Stück sich als Magnet für rassistisches Gedankengut.

Ein Blockbuster des 19. Jahrhunderts begeisterte Nationalisten und Völkische

Die Begeisterung für fantastische Geschichten mit historischem Hintergrund ist an sich kein neues Phänomen. Die Sage des Odysseus zählt zum klassischen Bildungskanon, und auch die Erzählungen der großen Religionen können auf eine langanhaltende Popularität zurückblicken. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nahm die sehnsüchtige Rückbesinnung in Gestalt des "Neo-" Fahrt auf, darunter Neoromanik, Neogotik und Neorenaissance.

In den romantischen Traumbildern vom efeuumflorten Helden und lichterfüllten Königinnen, im floralen Jugendstil, in der betonkernigen Burgarchitektur von Alltagsgebäuden lag gewiss zuvorderst die Sehnsucht nach einer guten, den weltlichen Nöten entrückten Welt, die Geborgenheit versprach. Von dem Potential solch romantischer Darstellungen zeugt, dass diese Stilrichtungen auch heute noch eine starke Faszination auszuüben vermögen und männliche, zunehmend auch weibliche Ritter und Magier eine enorme Anziehungskraft entfalten. Filmserien, Fantasierollenspiele und Serienaufrufe belegen dies.

Die Oper kam dem romantisch veranlagten Zeitgeist wohl am wirkmächtigsten entgegen. Wohl am bekanntesten ist Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner, der alle Elemente einer Erzählung des "High Fantasy" enthält: Drachen, Zwerge, Ritter, Magie (Ring und Schatz inklusive), darüber hinaus die Aura des märchenhaften Traumlandes, das je nach Bühnenbild zeitgenössische Gestalt annehmen konnte und dies heute noch regelmäßig tut. Dieses Traumland war an sich ebenfalls nicht neu, aber hier wurde es für das Publikum unmittelbar mit Augen und Ohren wahrnehmbar.

Im 19. Jahrhundert, als das Radio erst erfunden werden musste und wo an Fernsehen noch nicht zu denken war, muss die Bombastik der Oper die Gäste zutiefst bewegt haben. Die Filmmusik zeigt auch heute noch die emotionale Wirkmächtigkeit einer geschickten musikalischen Untermalung: An sich seichte Filmszenen erhalten dadurch eine enorme Durchschlagskraft, sei es auf machtvolle, sei es auf romantische oder auf tragische Weise.

Nicht nur die emotionale Kraft - und zweifellos ein handwerklich meisterhaftes und komplexes Skript - verhalf dem Ring zu gewaltiger Popularität. Über den Archetyp eines idealen "Ritterhelden" konnte das Publikum seine Träume in der Oper ausstaffieren: Buchstäblich leuchtend präsentiert sich Siegfried, der furchtlos den Drachen besiegt und als Lohn für seine Mühen unverwundbar wird, bis Verrat ihn zu Fall bringt. Der Ring ist hierin an sich nicht einzigartig, ist aber eine der einflussreichsten Opern seiner Zeit, weswegen er hier im Fokus steht.

In der Wagner'schen Interpretation wird Siegfried zur Identifikationsfigur für den Sinnsuchenden in einer immer komplexer werdenden, bedrohlich wirkenden Welt, bot Glanz in der Kaiserzeit, in der Existenzangst um sich griff. Die Freiheit von weltlichen Nöten wie Hunger, Kälte und Krankheit ist vor hundert Jahren ein weitaus größerer Wunschtraum gewesen als für den Durchschnittsbürger heutzutage. Nur der Wunsch nach Gemeinschaft ist es heute vielleicht noch mehr, da soziale Interaktion zunehmend durch das Milchglas der Digitalgeräte geschieht und ein rücksichtsloser Kapitalismus die Solidarität in der Gesellschaft gefährdet. Aber wo es früher vielleicht mehr Gemeinschaft und eine klarere Hierarchie gegeben haben mag, spielten seinerzeit auch starke Ängste hinein: Ängste, nicht dazuzugehören, Angst vor Machtlosigkeit, vor dem Fremdgesteuertsein, vor einer ungewissen Zukunft angesichts schwer greifbarer Bedrohungen im Lichte der zunehmenden Technisierung, wachsender Mobilität und Globalisierung. Tröstend war da die Welt der romantischen Verklärung.

Natürlicherweise: Ist Romantik denn nicht Schönheit und Wärme, Licht und Leben? Ein durch und durch romantisch veranlagter Mensch mag durch sein Sozialverhalten für Irritationen in seinem Umfeld sorgen, aber erträumt er, erträumt sie sich nicht nur Harmonie? Wie kann nun ausgerechnet dies dem Hass und der Ausgrenzung Vorschub leisten?

Die Sehnsucht nach Frieden und Schönheit und der Hass auf das Fremde

Eine Vorahnung bietet ein Blick auf den Nährboden, auf dem romantische Vorstellungen gediehen. Denn der bestand vor dem Hintergrund der Reichsgründung und dem Ende der Kleinstaaterei zu guten Teilen aus deutschem Nationalismus. Bis in die Kreise der Wissenschaft reichte die Begeisterung für angebliche germanische Wurzeln und urtümliche Verbundenheit mit deutschem Wald, Fluss und Boden, mit deren Hilfe sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl heraufbeschwören ließ. Und am Beispiel des Rings lässt sich ablesen, wie problematisch dies werden kann, wenn der oder die romantisch Veranlagte vor allem für die Konfliktlinien im Stück empfänglich ist - es sei an die enorme emotionale Wirkung solcher Aufführungen in einer medienarmen Zeit erinnert.

Der Ring kann dann als Projektionsfläche für einen grundlegenden Wesenszug rassistischer Ideologie genutzt werden: Der freie und reine Mensch (Siegfried) wird durch das schändliche Böse (Hagen) hinterrücks ermordet. Siegfried hat dank heldenhafter Tat die Unverwundbarkeit errungen, aber diese wird ihm durch Verrat genommen, mit tödlichen Folgen. Aber Siegfrieds und seiner geliebten Brünnhildes Opfer sind nicht völlig umsonst: Aus der dadurch ausgelösten Götterdämmerung entspringt eine gereinigte Natur und ein potentiell gereinigter Mensch.

In Richard Wagners Interpretation des Nibelungenlieds ist Siegfried göttlicher Abstammung, während Siegfrieds Mörder Hagen Kind des Zwergs Alberich ist, also eines aus rassenideologischer Sicht niederen Wesens. Letzteres fügt sich darüber hinaus zur zeitgenössischen bürgerlichen Sexualmoral und erleichtert die Abgrenzung der "Anständigen" auf ganz profaner Ebene.

In jedem Fall hatten der Ring und verwandte Stücke für manchen als scheinbar augenöffnende Erkenntnis gewirkt: ist es nicht so, dass die "Edlen", Freiheitsliebenden, mehr noch: Liebe ersehenden, tagtäglich den "Bösen" gegenüberstehen, die die schöne Welt aus reiner Zerstörungslust mit List und Tücke, Betrug und Verrat vernichten möchten? Ist es nicht die Schuld der Alberichs und Hagens, dass die mühselige Wirklichkeit mühselig bleibt und das Streben nach einem Land der Liebe und Freude vergebens bleibt? Müssen wir nicht stets wachsam bleiben und argwöhnisch, da wir uns sonst eine Blöße geben würden - und dürfen wir nicht hoffen, dass heldische Opferbereitschaft eine bessere Welt ermöglichen wird?

Die Bedrohung darf nie enden: Helden müssen sterben

Nun gibt es zahlreiche Interpretationen des Rings, und viele sehen ihn in einem durchaus positiven, ja wesens- und zeitkritischen Licht. Liest das Publikum aber vor allem den oben genannten Argwohn heraus, so bekommt der Ring für negative Vorstellungen Attraktivität.

Denn gerade weil Siegfried durch Verrat umkommt, wird der Held für die zahlreichen erstarkenden völkisch-nationalistischen Bewegungen der Zeit attraktiv, die sich faschistischen Gedankenguts bedienen: Wie Umberto Eco in seinem Buch über Faschismus feststellte, benötigt dieser immer ein Feindbild. Es ist essentiell für das Bestehen der Ideologie. Allein das Leben für den Kampf hat Wert, Pazifismus ist Verrat - ein Faschismus ohne Bedrohung funktioniert nach Eco nicht. Denn da im Faschismus "alle zum Heldentum erzogen" werden, muss es für dieses Heldentum schließlich auch ein Ziel geben. Und das ultimative Ziel des Helden ist eben der Heldentod, den der Held im Nibelungenlied dann auch empfangen darf, um damit letztlich die Welt zu erretten - ein dementer Siegfried, der im Altersheim seinen Lebensabend verdämmert, würde sich kaum zur Heldenverehrung eignen.

Nach der Logik der Faschisten läge er dem Volk nur noch auf der Tasche. Die Attraktivität dieses Helden ist noch heute stark: 2013 wurde eine Kampfsportveranstaltung mit dem Namen "Ring der Nibelungen" von rechtsextremen Kreisen ins Leben gerufen, wurde später zum "Kampf der Nibelungen" (KdN) umbenannt und zog jährlich eine beträchtliche Besucherzahl an.

Zwar ist Faschismus keineswegs deckungsgleich mit Rassismus und dem Völkischen, aber hier sind sich die Ideologien nahe. Die Erlösung ist ein stetes Versprechen, das den Heldentod voraussetzt, zugleich aber niemals erreicht werden kann. Und so kann der Mensch nur versuchen, ihr so nah wie möglich zu kommen - muss aber selbst dann stets kampfbereit bleiben. Wiegt er sich in Sicherheit, drohten seine Errungenschaften von niederen Kräften wieder hinabgerissen zu werden, so, wie eben Siegfried seine Unverwundbarkeit verliert, als er die Intrige gegen sich nicht rechtzeitig bemerkt.

In zeitgenössischen Schriften finden sich viele konkrete Hinweise für die Anziehungskraft und Inspiration, die derlei romantische Schöpfungen auf den rechten und völkischen Bereich ausgeübt haben. Darunter war auch Hitler. Er war von Wagner so begeistert, dass er ihn angeblich in seinen jüngeren Jahren gelegentlich spontan aus dem Stand heraus zitierte. Die Oper war gleichsam ein Katalysator für seine Sagenbegeisterung: Hitlers Jugendfreund Kubizek schreibt, dass sich Hitler "von frühester Jugend an" "an den Erzählungen aus der deutschen Heldensage berauscht" hätte und die Heldensagen von Gustav Schwab immer wieder las, seine "liebste Lektüre". "Nichts erschien ihm erstrebenswerter, als nach einem Leben voll kühner, weitreichender Taten […] nach Walhalla einzuziehen und für alle Zeiten zu einer mythischen Gestalt zu werden." Zwar ist Kubizeks Bericht nicht unumstritten, fügt sich aber gut in die von Hitler selbst geäußerte Begeisterung ein.

Hitler ist der Prominenteste unter einer Vielzahl von rechten Vordenkern, auf die Oper und Heldensage einen unwiderstehlichen Reiz ausübte. Ein Ideengeber des Rassismus, J. Lanz, notierte in einer autobiographischen Notiz, dass "die erste Oper, die ich hörte, Marschners 'Templer' war. Beim ersten Auftreten des Templers war ich direkt in Ekstase versetzt und war nun für das ganze Leben von der Tempeleisen-Idee erst recht entflammt." Zwar ist dieses Zitat nicht gesichert, aber Lanz' theatralisch konnotierte Handlungen entsprechen seinem Wesen, und er nimmt in seinen Schriften auch direkt Bezug auf Opern. Auch wenn er nur eine Randfigur ist, so kann die Absurdität und Radikalität seiner Ideen durchaus stellvertretend für den Zeitgeist der Rechten gelesen werden, sodass sich ein näherer Blick auf seine Person an dieser Stelle lohnt.

Hauptsächlich äußerte sich Lanz in seiner "rassenkundlichen" Ostara-Heftreihe, für die er unermüdlich als Herausgeber und Autor arbeitete. In einem Absatz stellte er die Verbindung zwischen der romantisch-schmachtenden Verehrung des ritterlichen Heroen auf der einen und der Verachtung gegenüber "minderwertigen" Menschen auf der anderen Seite her:

Der blonde Mann [...] will stets Siegfried und Minneritter sein, will für seine Liebste Heldentaten vollführen, Drachen erschlagen, […] und seine Prinzessinnen befreien […] Der heroische und blonde Mann liebt als Kind des Lichts und wird mit den Augen und nicht wie die Weiber und niederen Rassen vom Gehör und Tastgefühl zur Liebe entflammt.

Lanz vertrat in seinen Blättern die Ansicht, er betreibe sogenannte "ariosophische Forschungen". Ganz im Sinne der Dramatik von Sagen kleckerte er nicht mit Begriffen, sondern klotzte: So müssten sich die "Arioheroen" gegen die Invasion von "Äfflingen" wehren. Diese Äfflinge seien jedoch gewiefte Gegner. Denn sie nutzten auch das Mittel der Verführung, um sich durch eine "Vermischung des Blutes" "rassisch [zu] verbessern". Schlimmer noch: umgekehrt "ziehen" sie die reinblütigen Arioheroen "zu sich herab". Während sie also von einer Vermischung profitieren, würden die Helden mit Hilfe des Sagenmotivs der Verführung geschwächt. Dabei winkte den Arioheroen, blieben sie nur standhaft und wehrhaft, hoher Lohn: Aus der "arioheroischen Rasse" würde sich in Zukunft eine göttliche, mit "elektro-magnetisch-radiologischen" Organen ausgestattete Rasse erheben, die die Natur wieder neu befruchten würde. Ein magisches Wesen gewissermaßen, das analog zur klassischen Heldenreise entweder in seiner Vernichtung endet oder nach erfolgreichem Kampf gegen Invasion und Verführung zur Vergöttlichung findet.

Welche Bedeutung für die Rassenideologie sollen aber die Phantastereien haben, die sich Publizisten in den unterschiedlichsten Groschenheftchen ausmalen? Eine ganz Menge, wie sich herausstellt.

Influencer des beginnenden 20 Jahrhunderts: Revuen und Wochenblätter

Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gewannen Heftreihen und Revuen eine besondere Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung. Diese wendeten sich ausdrücklich an eine interessierten Laienleserschaft - vertraten aber auch den Anspruch, ein Fachpublikum ansprechen zu wollen. Der Vergleich zu den sogenannten "Influencern" liegt nahe, die heutzutage mit ihren YouTube-Videos, Instagram-Stories und Facebook-Posts tausenden, ja Millionen "Followern" ihre Sicht auf die Welt erklären. Was inzwischen übers Internet möglich ist, wurde früher über die Druckerpresse erreicht.

Heute werden von "Influencern" neben Ansichten über Mode und Lifestyle auch politische, akademische und gesellschaftliche Themen aufgegriffen. Das war damals nicht anders: Da gab es die vielen romantisch angehauchten Blätter, die sich um ein eher behagliches, bürgerlich-konservatives Ideal drehten. Erstaunlich zahlreich waren aber auch die Reihen, die sich ausdrücklich populärwissenschaftlich und volksaufklärerisch gaben. In diesen Heften veröffentlichten sowohl Experten, fachfremde Akademiker und Hobbyforscher Artikel zu den jeweiligen Themen.

Für das Themenfeld "Rasse" war dies von besonderer Bedeutung, da sich hier wissenschaftliche Erkenntnisse buchstäblich Seite an Seite mit frei erfundenen Faktoiden präsentierten und rassistische Gedanken über die akademische Welt hinaus verbreitet werden konnten. Beispielsweise schrieb Ludwig Wilser 1903/04 in einer Ausgabe seiner Politisch-Anthropologischen Revue, dass die "germanische Rasse" während der Eiszeit im Norden zur "edelste[n] Rasse des gesamten Menschengeschlechts" herangereift sei, die sich dann über den Kontinent ausgebreitet hätte. Mitherausgeber Ludwig Woltmann erwarb sich mit der Revue hohes Ansehen in der deutschen Rechten.

Reine Spekulationen erhielten durch die Nähe zu tatsächlichen Erkenntnissen Glaubwürdigkeit und wurden von bürgerlichen Kreisen auch aufgenommen, wenngleich die wissenschaftliche Welt den Publikationen oft eher kritisch gegenüberstand. Diese unterhielt ihrerseits akademische Zeitschriftenreihen, darunter das Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Trotz der nicht unkritischen Haltung der Wissenschaft waren die Verzahnungen zwischen Fachblättern und populärwissenschaftlichen Revuen nicht nur eng, viele Zeitschriftenreihen vereinten Fachartikel mit populärwissenschaftlichen Beiträgen, was den Laienbeiträgen automatisch eine höhere Seriosität bescheinigte.

Eine politisch engagierte, aber fachfremde Person konnte den Unterschied zwischen dem einen und dem anderen wohl kaum erkennen, geschweige denn auf den Wahrheitsgehalt hin überprüfen, und durfte daher geneigt gewesen sein, auch die Laien- und Meinungsbeiträge als wissenschaftliche Erkenntnisse zu betrachten. Diese Gemengelage war gerade bei einem emotional besetzten, Sinn und Halt bietenden Thema wie "Rasse" höchst brisant.

Die literarische Imagination soll Wirklichkeit werden: Orden und Bünde

Die "Influencer" der damaligen Zeit waren aber nicht allein als Zeitschriftenpublizisten tätig. Der bereits erwähnte Lanz ist dafür ein gutes Beispiel. Seine Schriften waren gewiss nur eine kleine Facette im Strauß der Magazine, wiewohl es immerhin Spekulationen gibt, dass auch Hitler in seiner Wiener Zeit zu seinen Lesern gehört habe. Aber Lanz begründete auch den "Ordo Novi Templi" und sammelte dort zahlreiche Gleichgesinnte um sich. Seine Förderer ermöglichten ihm gar den Kauf einer Burgruine, um sie zum Tempel des Ordens zu machen und dort ihre Feiern abzuhalten. Nun war Lanz mit Herz und Seele Publizist und Phantast, brachte Nummer um Nummer seiner Zeitschrift heraus und kann als Ausnahmeerscheinung gelten - seine Ordensgründung war aber nicht halb so außergewöhnlich, wie es aus heutiger Sicht erscheinen mag. Im Gegenteil folgte er damit eher dem Zeitgeist.

Der Lanz'sche Neutemplerorden war nämlich nur einer von zahlreichen "Orden" und Tischgesellschaften, in denen die romantische Phantasie in die Realität übertragen wurde. Hier trafen sich Gleichgesinnte und versahen sich mit der romantischen Aura des ritterlich-mystischen. Die Anlehnung an romantische "urgermanische" Vorstellungen erwies sich dabei als durchaus pressewirksam. Häufig rekrutierten sich die Mitglieder aus bürgerlichen Schichten, ja sogar aus den Reihen der Wissenschaft, und auch Industrielle waren entweder selber dabei oder traten als Förderer in Erscheinung. Diese Förderung legt zumindest nahe, dass den Vereinigungen ein gewisses Maß an politischem Einfluss zugesprochen wurde.

Die Art dieses Einflusses lässt schon der Name zahlreicher Vereinigungen erahnen: Oft schwingt hier ein rassistischer Dualismus von "Gut gegen Böse" mit. 1907 wurde der Ring Norden ins Leben gerufen, drei Jahre später der Geheime Nordische Ring - später fiel Geheime weg -, und 1925 die Nordische Bewegung, um nur einige zu nennen. Mit Willibald Hentschel gründete ein prominenter Vertreter des nordischen Gedankens den Mitgard-Bund. Sicherlich war eine Funktion dieser Gruppen die von Seilschaften und diente dem Austausch. Im Gegensatz zu reinen gesellschaftlichen Seilschaften aber war der Name bei diesen Vereinigungen Programm.

Der Schwerpunkt solcher Orden war durchaus auf der Vertiefung einer entsprechenden Weltanschauung ausgerichtet, die, stark verkürzt gesagt, die Notwendigkeit vertrat, als Vertreter einer Art menschlicher Elite gegen menschlichen "Abschaum" zusammenzustehen, der die Welt bedrohe. Fortbildungsveranstaltungen dienten dazu, das Verständnis von Rassismus als Überlebensnotwendigkeit und Pflicht jedes Einzelnen zu vertiefen. Bestätigt konnten sie sich beispielsweise durch die lokalen Ausstellungen, Wanderausstellungen und weiteren Veranstaltungen des Hygiene-Museums in Dresden finden.

Rechte Hochstapler: Wer nicht von nordischem Wuchs ist, macht wenigstens seinen Namen nordisch

Der Kampf gegen eine vermeintliche Bedrohung von außer war (und ist) ein ausgezeichneter Weg, um eine Gemeinschaft zusammenzuschweißen. Für die völkisch-rassistischen Vordenker war es von Vorteil, selber den von ihnen bekundeten Idealen zu entsprechen. Nur war dies vielen von ihnen nicht von Natur aus gegeben - es bedurfte eines Weges, auch den beleibten dunkelhaarigen Vorstand für das nordische Ideal akzeptabel zu machen.

Was ihm im Aussehen verwehrt blieb, konnte er jedoch auf anderem Wege erreichen: Die Kaiserzeit war auch in der Weimarer Republik mit ihren sehr realen Adelsprivilegien noch nicht vergessen und begann bereits im Lichte der Verbrämung zu leuchten. Zudem verehrten gerade konservative und rechtsnationale Kreise diese "Gute Alte Zeit". Damalige Existenzängste waren vergessen. Alles, was an die Kaiserzeit erinnerte, erstrahlte in einem geradezu magischen Glanz: Die Gegenwart war beherrscht vom kollektiven Schock der Kapitulation von 1918, die die vor weniger als fünfzig Jahren erst mühselig vollzogene Reichsgründung und die Träume vom Weltmachtstatus mit einem Schlag zunichte machte und zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit in Gestalt von Kriegsveteranen führte.

Die schuldhafte Niederlage wurde mithilfe von Dolchstoßlegende und Begriffen wie "Schandfrieden" verdrängt und mithilfe literarischer Schönfärberei im Stile eines Ernst Jünger verbrämt. Nicht zu verdrängen war der nach Kriegsende aufflammende Bürgerkrieg. Im wiederhergestellten Frieden wurden dann weitere traditionelle Orientierungspunkte und althergebrachte Werte durch einen extrem vitalen gesellschaftlichen Experimentalismus ins Wanken gebracht. Nicht nur die Fundamente der rechtskonservativen Zwingburgen waren morsch geworden, es bröckelten auch schon ihre Mauern.

Und also bot sich ein Adelstitel an, die körperlichen Widersprüche zu kompensieren. Die Angst, nicht zu den höheren Rängen der von ihnen selbst postulierten Hierarchie zu gehören - mithin also ein Minderwertigkeitskomplex bei jenen, die die Notwendigkeit von Höherwertigkeit am lautesten predigten -, spiegelt sich daher im Drang wieder, sich als Hochstapler Adelstitel zuzueignen: Führender Köpfe des rassistischen Gedankens hängten sich ein "von" an den Namen. So beispielsweise Rudolph "von Sebottendorf", seines Zeichens Führer des "Germanenordens" und Initiator der Deutschen Arbeiterpartei, dem direkten Vorläufer der NSDAP.

Ähnlich verhält es sich mit dem Runen-Publizisten Guido "von" List, dessen zu guten Teilen frei erfundene "Erkenntnisse" bis heute eine magisch-verklärte Sicht auf Runenzeichen prägen (wobei er sich, am Rande bemerkt, in seinen Schriften auch direkt auf Lanzens "Ostara"-Hefte bezog und über einen seiner Anhänger post mortem starken Einfluss auf Himmlers Runenbild haben sollte).

Und auch der völkische Publizist Lanz fügte den Adelstitel "von Liebenfels" frei seinem Namen hinzu, änderte wohl auch seinen Geburtsort von Wien nach Messina und erfand seinen Vater als Baron: Nach seiner Auffassung müssten "Arier" auch "adelig" sein. Im Gegensatz zu den Geltungssüchtigen, die sich heute Doktortitel bei dubiosen Institutionen einkaufen, begründeten die Zeitgenossen ihre angebliche Abstammung oft auf eine Art, die nahelegt, dass sie schließlich selbst daran geglaubt haben. Wobei es auch heutzutage noch Fälle gibt, in denen sich Personen einen "Freiherr von" oder eine "Freifrau von" an den Namen heften, unter anderem in rechtsextremen Kreisen.

Im Gegensatz zu solcherart Hochstaplern zeigte ausgerechnet Hitler weder solche Allüren - ganz im Gegenteil nutzte er strategisch das Image des "kleinen Mannes" - noch stand er Ordensgesellschaften und Adelstiteln positiv gegenüber. Seine größenwahnsinnig anmutenden architektonischen Vorstellungen scheinen dem ebenso zu widersprechen wie sein Umfeld, das sich mit Machtsymbolik geradezu überlud.

Während Göring sich selbst mit Goldlametta überhäufte, putzte Himmler seine SS mit elegant-schwarzen, symbolbesetzten Uniformen, Ehrendolchen und Ehrenringen auf seine Weise kaum weniger extrem heraus. Er war versessen auf den Gedanken der Ordensgesellschaft - die er beispielsweise in der SS umsetzte - und auf sagenhafte, angeblich heidnische Symbolik; aber damit wusste Hitler der Überlieferung nach kaum etwas anzufangen. Vielmehr war Himmlers Fanatismus für ihn einfach praktisch, da sein Paladin konsequent heidnische Bewegungen und völkisch-romantisch orientierte Ordensgesellschaften assimilierte oder zerschlug. Hingegen gab sich Göbbels, der wie Hitler die Massen direkt ansprach, äußerlich ähnlich bescheiden wie Hitler. Weiteres dazu findet sich im Standardwerk von Fest sowie Sebastian Haffner.

Nun mag das "Goldfasanbetragen" von Scheinadeligen und ordenbehängten Kommandeuren befremdlich, ja lächerlich anmuten. Tatsächlich ist auch die heutige Gesellschaft vor dem Zauber des machtvollen Scheins nicht gefeit. Nicht umsonst liebäugelt die rechtsextreme Szene mit heidnisch anmutender Symbolik und begrifflichen Anleihen wie der erwähnte "Kampf der Nibelungen". Aber geschickte Verbrämung verfängt nicht nur bei Extremisten, zumal sie neben bewusster Zurschaustellung auch verkappt daherkommen kann.

Lanz "von Liebenfels" in der deutschen Wikipedia und ein Bürgerliches Portraitphoto von J. Lanz. Bilder: Public Domain

Ein Beispiel dafür ist der Eintrag über Lanz, den Erschaffer von Arioheroen gegen rassisch minderwertige Äfflinge, in der deutschen wie der englischen Ausgabe der Wikipedia: Dort ist (Stand Januar 2021) unter der Überschrift mit seinem angemaßten Adelstitel als "Jörg Lanz von Liebenfels" nicht etwa sein bürgerliches Photo zu sehen, das einen gewöhnlichen Mann mit Brille zeigt. Vielmehr wird der Rassepublizist dort in der mystisch verbrämten Darstellung im Habit aus seiner Zeit als Bruder des Klosters Heiligenkreuz gezeigt - es ist eine Ironie der Geschichte, dass Lanz, der Möchtegernadlige, Prediger von Übermenschen und eines aggressiven Rassismus, sowie Begründer des Ordo Novi Templi, aufgrund seines "ungeeigneten Charakters" nach sechs Jahren aus dem Kloster herausgeworfen worden war.

Die Aktualität romantischer Symbolik im rechten Kontext

Nun kann Lanz als Randfigur abgetan werden. Jedoch zirkulieren seine "ariosophischen" Ideen noch heute in rechten esoterischen Kreisen; seine Person ist keineswegs vergessen, was der mindestens merkwürdigen Bilderwahl in der bekanntesten Online-Enzyklopädie Bedeutung verleiht. Mehr noch als er findet ein anderer Phantast seinen Platz in der neuen Rechten: Auf die Kreationen des Runenerfinders Guido List wird auch heute noch Bezug genommen. Der "Armanenorden" sieht sich als Nachfolger von Lists eigener Ordensgründung, und das von List geschaffene Repertoire ist in Gestalt von Druckgrafik, Tattoos und Schmuckprodukten in die Populärkultur der neuen Rechten eingegangen. Beliebt ist beispielsweise die sogenannte "Wolfsangel", zu der List eine Bedeutung als "Gibor-Rune" hinzuerfand. List lud hier einen verbreiteten, säkularen Wappenbestandteil mit der fiktiv-mystischen Bedeutung der Runen auf.

Auch schmückte List das unter Neonazis weit verbreitete Symbol der "schwarzen Sonne" mystisch aus, dessen Ursprung in den Schriften einer okkultistischen Autorin aus dem 19. Jahrhundert vermutet wird. Die Popularität der "schwarzen Sonne" dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass Himmler sie in ein Bodenmosaik der Wewelsburg bei Paderborn einarbeiten ließ. Zudem besitzt sie eine grafisch starke Wirkung.

Dem Repertoire aus erfundenen Zeichen gesellte sich in jüngster Vergangenheit das Symbol der Identitären hinzu, das aus einer in einen Kreis eingelassenen Lamda-Majuskel besteht. Wiewohl es nicht als "Rune" bezeichnet wird, fügt es sich in die einprägsame Symbolik der Rechten nahtlos ein und kann auch leicht für eine solche gehalten werden - es ist nur zum Teil polemisch, wenn angemerkt werden darf, dass Guido List seinerzeit gewiss einen passenden Platz für sie zur Hand gehabt hätte.

Auf den ersten Blick in harmonisches Kunstwerk aus dem Jugendstil ,auf den zweiten Blick die Versinnbildlichung der Rune "Algriz": Das "Lichtgebet" des Künstlers Fidus, 1913. Bild: Public Domain

Im Falle der Algriz-Rune - sie ähnelt einem auf den Kopf gestellten Friedenssymbol - ist zwar die Rune als solche überliefert, jedoch dachte sich List für sie die Bedeutung für "Leben" aus. Ihre Popularität war und ist groß: Das seinerzeit weitverbreitete "Lichtgebet" des Künstlers und Illustrators Fidus kursiert in verschiedenen Varianten im Netz. Es zeigt einen nackten Jüngling mit wallend blondem Haar, der sich mit ausgebreiteten Armen der Sonne zuwendet. An sich ist es ein Motiv, das die innige Anbetung des Lebens vermittelt: Ein Sinnbild für die Sehnsucht nach reiner Natur und Erleuchtung.

Da Fidus jedoch in seinen Bildern das romantische Ideal einer besseren und stolzen Welt mit der Runenmystik verband, lässt sich aus der Haltung des Jungen eben die Algriz-Rune herauslesen, deren zugeschriebene Bedeutung das Motiv auf ideale Weise verkörpert; eine Doppelbedeutung, die das Spannungsverhältnis von romantischer Einstellung und Völkischem gut illustriert. Fidus bewies mit der Motivwahl eine sichere Hand: Die "Lebensrune" Algriz bleibt bis in die heutigen Zeit hinein sowohl bei neopaganistischen, wie rechtsextrem-heidnischen Gruppierungen beliebt.

Damit ist diese Rune auch ein gutes Beispiel dafür, dass nicht jede runenromantische Verklärung zugleich auch einen rechtsextremen Kontext haben muss. So gibt es neuheidnische Vereinigungen, deren Interesse in einer naturverbundenen Glaubensalternative liegt, die aber nichts mit rechtsextremem Gedankengut gemein haben. Die schwedische Gruppierung "Forn Sed" ist eine solche neuheidnische Gruppierung, die rechtes Gedankengut explizit ablehnt. Hingegen vertreten Darstellungen des "Asatrú" bzw. "Asatro" durchaus rechte Positionen; Forn Sed äußert sich dahingehend, dass "der Begriff Asatro eine nationalromantische Konstruktion [ist]. Wir verwenden ihn daher nicht mehr in unserem Namen." In Deutschland verbirgt sich hinter der Internetadresse "asatru.de" eine Gruppierung, die sich "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." nennt und ihre Ursprünge auf eine völkische "Nordische Glaubensgemeinschaft" von 1927/28 zurückführt.

Neben rechten neoheidnischen Vereinigungen spielen auch "völkische Siedlungen" mit dem Motiv eines "Zurück zur Natur" in Kombination mit rassenideologischen Elementen eine Rolle. Schon Angang des 20. Jahrhunderts formten sich solche Bewegungen, die dezidiert romantische Ideale vertraten: Sie sollten eine ritterliche, kämpferische "Rasse" auf deutschem Boden schaffen. Die "Artamanen" wurden unter anderem in den 90er Jahren in Mecklenburg-Vorpommern unter dem Namen der "Neo-Artamanen" wiederbelebt. Auch hier kommt wieder das Ideal des bedrohten Helden zum Vorschein: Vorbild ist eine als kämpferisch und hart interpretierte nordische Mythologie.

Ganz im Zeitgeist werden solcherart rechte Siedlungen oft als Bio-Bauernhöfe und sich traditionsbewusst gebende, engagierte Hofgemeinschaften gegründet, wobei als besonders germanisch angesehen Symbolik wie die erwähnte "Wolfsangel" oder die sagenhafte Weltenesche "Irminsul" in Erscheinung treten. 2016 wurde eine entsprechende Immobiliengenossenschaft in Mecklenburg-Vorpommern ins Leben gerufen, die nach einigen Jahren wieder aufgelöst worden ist. Und das Dorf Jamel war Thema mehrerer Reportagen, wobei ein an NS-Familienromantik erinnerndes Wandgemälde eine große Rolle gespielt hat.

Die Neonaziszene knüpft so auf verschiedenste Weise an die romantischen Vorstellungen der Vergangenheit an, bedient Wunschträume und das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit, ganz ähnlich wie Zeiten eines List und Lanz - das Heldenbild hat seine Anziehungskraft nicht verloren.

Ruben Wickenhäuser studierte Geschichte und physische Anthropologie, arbeitet als Publizist und veröffentlichte unter anderem das Buch "Rassenforschung - Rassenkunde - Rassenideologie. Die Anthropologie im Spannungsfeld von Rassenideologie und Nationalsozialismus" zur Wissenschaftsgeschichte der physischen Anthropologie.Gegenwärtig arbeitet er an einem Buch zu "Rasse im Rassismus".

Mehr zu seiner Arbeit unter www.uhusnest.de