Wenn aus Femiziden tragische Einzelfälle werden

In Lateinamerika formiert sich eine Bewegung gegen die Taten und ihre Entpolitisierung (Protestaktion gegen Femizide in Mexiko) Foto: Thayne Tuason / CC BY-SA 4.0

Gewalt gegen Frauen wird in den Medien meist noch immer als tragischer Einzelfall beschrieben. Gesellschaftliche Zusammenhänge fallen unter den Tisch

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland stark verbreitet: Etwa 115.000 Frauen wurden im Jahr 2019 Opfer häuslicher Gewalt. Im Schnitt versucht jeden Tag ein Mann, seine Partnerin oder Expartnerin zu töten. An jedem dritten Tag wird es traurige Realität. Obwohl Gewalt gegen Frauen alltäglich ist, beschränken sich Medien in der Berichterstattung oft nur auf den Einzelfall. Strukturellen Hintergründen wird wenig Raum gegeben. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung.

Mit mehr als 69.000 Fällen war vorsätzliche Körperverletzung die häufigste Form der Gewalt. Laut Bundesfamilienministerium, kommt es dazu besonders häufig im Zusammenhang mit Trennungen und Scheidungen. So verwundert es nicht, dass in mehr als der Hälfte der Fälle (Ex-)Partner oder Männer aus dem persönlichen Umfeld der Betroffenen zu Tätern werden.

Diese alltägliche Gewalt kommt in der Berichterstattung aber kaum vor, was die Untersuchung "Tragische Einzelfälle - Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten" zeigt.

Berichtet wird, wenn es Tote gibt

Lediglich 18 Prozent der Berichte haben Körperverletzungen zum Gegenstand und weniger als jeder vierte Bericht thematisiert Gewalt in der Partnerschaft. "Offensichtlich ist Gewalt gegen Frauen und vor allem Gewalt in intimen Beziehungen immer noch ein großes Tabu - in der Gesellschaft wie auch bei den Medienschaffenden", konstatiert Studienautorin Christine Meltzer. Gewalt gegen Frauen werde nur dann in den Medien aufgegriffen, so Meltzer weiter, wenn sie eine besonders brutale Form annimmt und etwa mit dem Tod des Opfers ende - was in der Realität aber nur einen Bruchteil - weniger als ein Prozent - der verübten Gewalt ausmache.

Für die Studie hat die Forscherin von der Universität Mainz rund 3.500 Beiträge ausgewertet, die in überregionalen und regionalen Tageszeitungen sowie Boulevardzeitungen abgedruckt wurden. Im Fokus lag die Berichterstattung von 17 deutschen Medien zwischen den Jahren 2015 und 2019. Ein Ergebnis der Untersuchung ist, dass bestimmte Gewalttaten überbetont werden, während andere viel zu wenig beleuchtet werden. Es klafften große Lücken zwischen den Zahlen der Kriminalstatistik und deren medialen Bedeutung.

Ein anderer Befund war, dass mit rund 70 Prozent die überwiegende Mehrheit der Artikel die Taten wie Einzelfälle beschreiben. Eine sachliche Einordnung - inklusive des Aufzeigens von Gründen, Lösungswegen und präventiven Maßnahmen bei Gewalt gegen Frauen - finde kaum statt.

"Es ist klar, dass nicht jeder einzelne Fall im Kontext struktureller Entwicklungen dargestellt werden kann", so Meltzer. "Es kann jedoch mit wenigen Mitteln, beispielsweise dem Verweis auf Statistiken und dem Einbezug von Sachverständigen, zum schrittweisen Verständnis für die Dimensionen des gesellschaftlichen Problems beigetragen werden." Medien könnten so das Problem sichtbar machen, die Gesellschaft sensibilisieren und auch zum Gewaltschutz beitragen.

Zugleich stellt die Studienautorin fest, dass sei den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 die Herkunft der Täter immer öfter genannt werde. Auch wenn sich im Vergleich zur polizeilichen Kriminalstatistik nicht zeigen lasse, dass die Herkunft nichtdeutscher Tatverdächtiger über Gebühr veröffentlicht werde, so werde ein anderes Problem sichtbar: Werden die Taten Nichtdeutschen zugeschrieben, werde die Gewalt zum Politikum gemacht und kulturalisiert.

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