Wenn der Ablauf des Urheberrechtsschutzes ausgehebelt wird
Was 2019 gemeinfrei wird - und was nicht
Eigentlich sieht das Urheberrecht vor, dass sein Schutz 70 Jahre nach dem Tod des Herstellers eines Werkes mit Schöpfungshöhe erlischt. Am 20. Dezember 2018 schuf der Bundesgerichtshof für bildende Kunstwerke allerdings eine Verlängerungsmöglichkeit bis zum Sankt-Nimmerleinstag, nach der sich viele Bürger fragen, warum sie Museen eigentlich mit ihren Steuergeld finanzieren sollen, wenn diese den Umgang mit Werken ähnlich umfassend einschränken können wie ein privater Sammler (vgl. Hausrecht verlängert Urheberrecht).
Für Wort- und Ton-, aber auch für andere Bildwerke gab es bereits vor der Unendlichkeitsverlängerung des BGH Möglichkeiten, auch nach dem Ablauf einer Schutzfrist mit Abmahnungen Geld zu verdienen. Hierfür bekannt ist ein Anwalt der Erben eines Mannes, der am 9. Februar 1948 starb: Karl Valentin. Er erregte im letzten Jahrzehnt unter anderem damit Aufmerksamkeit, dass er wegen eines 277-seitigen Stochastik-Script abmahnte und klagte, in dem ein Münchner Mathematikprofessor zwei kurze Valentin-Sketche, untergebracht hatte. Die fanden sich darin nicht etwa zur Unterhaltung seiner Studenten, sondern zur Veranschaulichung des Begriffs "Zufall" in der Mathematik (vgl. Über Karl Valentin und Stochastik).
Mehr oder weniger vom Zufall hängt es auch ab, ob man für das Zitieren selbst kurzer Valentin-Aussprüche oder sogar einzelner Sätze und Fotos von Auftritten nach dem 1. Januar 2019 abgemahnt werden kann oder nicht. Der Anwalt macht nämlich geltend, dass es 25 Werke von Karl Valentin gibt, bei denen seine Partnerin Liesl Karlstadt zwar nicht öffentlich als Miturheberin genannt wird, aber einer privaten Vereinbarung mit den Erben nach doch beteiligt gewesen sein soll. Da Karlstadt (für deren Erben der Anwalt ebenfalls "Rechte wahrnimmt") erst 1960 starb, läuft der Urheberrechtsschutz für Werke unter ihrer Beteiligung erst am 31. Dezember 2030 ab. Wenn sich Abmahnanwälte und Richter bis dahin nicht etwas Neues einfallen lassen.
Schwitters und seine Collagen
Weniger gefährlich ist es, ab dem 1. Januar 2019 keinen Münchner, sondern einen Hannoveraner zitiert: Den am 8. Januar 1948 verstorbenen Dada-Dichter Kurt Schwitters, den Schöpfer der "Ursonate" (vgl. Stare zwitschern Ursonate - und stellen damit das Urheberrecht in Frage). Vorsicht ist jedoch bei allem geboten, was über die Lautäußerung hinausgeht: Schwitters war nämlich nicht nur Tonkünstler, sondern auch Maler und Werbegrafiker - und Museen, die über Material aus diesem Fundus verfügen, könnten auf die Idee kommen, ihre und die Kasse befreundeter Anwälte durch Abmahnungen aufzubessern.
Sollte das geschehen, wäre es bei Schwitters insofern eine besondere Ironie des Urheberrechts, als gerade er für die Collage steht - für das Verwenden von Elementen Dritter, ohne die viele seiner eigenen Werke nicht möglich gewesen wären.
Thomas Theodor Heine, Egon Erwin Kisch, Antonin Artaud und Ruth Benedict
Je vervielfältigter und verbreiteter ein Werk ist, desto schwerer haben es Museen und Abmahnanwälte potenziell, den Urheberrechtsschutz beliebig zu verlängern. Das trifft auch auf viele Zeichnungen des am 26. Januar 1948 verstorbenen Karikaturisten Thomas Theodor Heine zu, die den Vorteil haben, dass sie in weit verbreiteten Zeitschriften wie dem Simplicissimus erschienen, was den Abmahntrick mit dem Hausrecht potenziell erschwert. Obwohl Heine auch Bilder malte, ist er vor allem für seine Karikaturen und Plakate bekannt.
Ebenfalls mehr in Bibliotheken als in Museen zuhause sind der am 31. März 1948 verstorbene Reporter Egon Erwin Kisch mit dem sich Tom Appleton in Telepolis schon einmal ausführlich beschäftigt hat (vgl. Der Stern des Egon Erwin Kisch), der am 4. März 1948 verstorbene Surrealistendichter Antonin Artaud und die am 17. September verstorbene amerikanische Ethnologin Ruth Benedict.
Ihre vom United States Office of War Information (OWI) mit finanzierte Japan-Nationalcharakterstudie The Chrysanthemum and the Sword (in der sie unter anderem zum Ergebnis kommt, dass der Selbstmord in der japanischen Kultur eine ähnliche Rolle spielt wie der Gangster in der amerikanischen) erlebte durch die Episodentitelrolle, die sie in der Serie Mad Men spielt, ein verdientes Bekanntheitsrevival.
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