Wenn der Zug dem Flugzeug das Wasser abgräbt

Bild: E656073/CC BY-SA 3.0

In Italien hat der Ausbau der Schnellzugverbindungen zwischen den Zentren der Metropolregionen dafür gesorgt, dass der Inlandsflugverkehr an Attraktivität stark eingebüßt hat. Der Zug ist meist schneller als der Flieger

In Deutschland kaum beachtet, haben die Hochgeschwindigkeitszüge unter dem Namen Frecciarossa in Italien den Fernverkehr erobert, der bis vor wenigen Jahren hauptsächlich von der inzwischen gescheiterten Fluggesellschaft Alitalia bedient worden war.

Neben dem Angebot der staatlichen Trenitalia, die in Deutschland mit der Netinera Deutschland GmbH und deren Tochtergesellschaften vertreten ist, gibt es in Italien mit der Italo S.p.A. auch zusätzlich einen privaten Hochgeschwindigkeitszuganbieter der inzwischen vom US-Investor Global Infrastructure Partners (GIP) übernommen wurde.

Der zweite Anbieter von Hochgeschwindigkeitszügen sorgt dafür, dass einerseits die Fahrtkosten für die Reisenden nicht aus dem Ruder laufen und andererseits das Frecce-Netz auch Linien bedient, die bislang noch nicht für Hochgeschwindigkeit ausgebaut sind.

In Deutschland gibt es übrigens praktisch keinen Wettbewerb im Hochgeschwindigkeitssektor. Die französischen TGV und die belgisch-französischen Züge von Thalys, an welchen die DB früher einmal beteiligt war, verkehren in Deutschland nur auf sogenannten Stichstrecken, bieten jedoch kein zusammenhängendes Netz und bedienen teilweise Bahnhöfe, die der ICE nie bedient hat.

Wer sich an die italienischen Fernzüge des vergangenen Jahrhunderts erinnert, mag sich noch an unangenehmen Geruch von Schweiß und anderen Körperausscheidungen erinnern. Dieser war so typisch für den Bahnverkehr in Italien, dass der Volksmund in den 1980er-Jahren aus FS für "Ferrovie dello Stato" "Ferrovie Sporche" also "schmutzige Eisenbahn" machte.

Wer heute nach Italien kommt, staunt: Man kommt in eine neue Welt. Die FS sind zwar heute noch als staatliche Muttergesellschaft der Eisenbahnen aktiv, die Personenzüge hören aber schon länger auf den Namen Trenitalia: Mit dem Namenswechsel war auch ein beträchtlicher Imagewechsel verbunden, der mit den 2008 von Trenitalia gestarteten Hochgeschwindigkeitszügen unter dem Namen "Frecce" geradezu beflügelt wurde.

Der Absturz der Alitalia und der kometenhaft Aufstieg der Frecce

Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 1.200 km bei einer West-Ost-Spanne von nur 700 km war Italien für die Verbindung durch die Luft geradezu prädestiniert. Zudem war Fliegen über viele Jahrzehnte auch ein Statussymbol, gestützt von Uniformen von Armani für die Crew und preisgekrönten Menüs in der Bordverpflegung.

Die Strecke Mailand-Rom mit bis zu 30 Verbindungen in jede Richtung galt als meistfrequentierte und teuerste Route in Europa. Mit dem Aufkommen der Billigflieger ging das Statussymbol zunehmend verloren und andere Kriterien gewannen die Oberhand.

Wer heute vom Stadtzentrum Mailands über Fiumicino nach Rom fliegen will, muss mit mindestens vier Stunden kalkulieren, bis er in der Innenstadt Roms ankommt. Da ist der Zug mit einer Gesamtreisezeit von knapp drei Stunden doch deutlich schneller. Die Pfeile (Frecce) der Trenitalia fahren mit 300 km/h von Zentrum zu Zentrum.

Gratis WLAN, Beinfreiheit und je nach gebuchtem Service mit Willkommensdrink und Snacks ohne Warterei an Check-in und Gate, ohne Transfer zum und vom Flughafen sind ergänzende Add-Ons nicht nur für Geschäftsreisende, sondern auch für Touristen.

Dass die italienische Politik von ihrem Bahnkonzept überzeugt ist, sieht man auch am Post-Covid-Aufbauplan des Landes. Er sieht keine neuen Gelder für Straßen vor, dafür Investitionen von knapp 25 Milliarden Euro in die Schienen, davon etwa die Hälfte für das Hochgeschwindigkeitsnetz mit einer besseren Anbindung Süditaliens einen Netz-Ausbau im Norden mit verbesserten Anbindung an Europa.

Auch in Frankreich verdirbt der TGV der Air France das Inlandsgeschäft

Wenn die Verbindung per Zug schneller ist als der Inlandflug, muss man mit dem ökologischen Fußabdruck gar nicht mehr argumentieren. 2019 machte Air France den TGV (Train à Grande Vitesse) für ihre deutlichen Einbrüche im Inlands-Fluggeschäft verantwortlich. In den fünf Jahren davor waren vier neue Hochgeschwindigkeitsstrecken eröffnet worden, wie beispielsweise Paris–Rennes oder Paris–Bordeaux.

Viele Regionen sind nun durch eine bloß zweistündige Zugfahrt mit der Hauptstadt verbunden. Die stark zentralisierte Struktur Frankreichs mit der traditionellen Ausrichtung auf Paris hat diese Entwicklung natürlich gefördert. Deutschland mit seiner Hauptstadt am Rande, kurz vor der polnischen Grenze, kann solche räumlichen Vorteile kaum nutzen. Der ICE fährt vielfach wie früher die Interzonenzüge ohne Halt von Hannover nach Berlin.

Umweltfreundliches Reisen im Luxuszug

Die Renaissance des Bahnverkehrs und die gestiegene Attraktivität gegenüber den Inlandsflugverbindungen führt inzwischen auch zu einer modernisierten Neuauflage alter Zugreiseangebote wie dem Orient Express. Der Orient-Express soll im Jahr 2023 nach Italien zurückzukehren. Partner sind dabei das Unternehmen Orient Express, das seit 2017 unter der Kontrolle der französischen Gruppe Accor steht, und Arsenale Spa, die im vergangenen Juni das "La Dolce Vita"-Projekt ins Leben gerufen hatte.

Man will damit ein Angebot für luxuriöses, langsames und nachhaltiges Reisen entlang historischer Strecken und symbolträchtiger Ziele auf der italienischen Halbinsel bieten. Ab 2023 sollen sechs Züge unter dem Namen Orient-Express La Dolce Vita durch 14 italienische Regionen unterwegs sein und auch ausländische Ziele wie Paris, Istanbul und Split bedienen. In Italien sollen die Züge auf insgesamt 16.000 Kilometern unterwegs sein, von welchen 7.000 nicht elektrifiziert sind.

Im Norden Italiens wird "La Dolce Vita" in Venedig haltmachen, wo man faktisch die Kreuzfahrtschiffe ablöst, die sich von der Lagune inzwischen fernhalten müssen. Aber auch die Region Langhe, Mantua und die Dolomiten stehen auf dem Reiseplan. Eine Strecke soll durch Umbrien führen, bis nach Montalcino, Siena und Florenz.

Im Süden soll Sizilien, mit einer Reise entlang der Westküste auf der Bahnlinie Palermo–Trapani im Mittelpunkt stehen. Diese Strecke wird auch nach Matera und Kampanien führen, nach Neapel, Pompeji und Paestum.