Wenn die Grünen die absolute Mehrheit hätten

Seite 2: Kulturkampf und Innovationsblindheit

Das waren die entscheidenden Fragen der Debatte. Es erschien dabei wie ein Symbol der Inkonsequenz der Grünen: Genau an diesem Montag eröffnete Robert Habeck als Wirtschaftsminister die weltweit größte Tourismusmesse in Berlin. Dort wird mit Flugzeugen und Schiffe für die Reichen gehandelt, und mit Kreuzfahrten für weniger Reiche.

Als Energieminister muss Habeck gleichzeitig am Ausstieg aus genau diesen umweltschädlichen Verkehrs- und Umweltpraktiken arbeiten. Dieses Dilemma verdecken der Krieg und die aktuellen Schlagzeilen zu Verkehrs- und Verbotsfragen.

Tatsächlich geht es in der Ampel zum einen um das, was Poschardt einen "Kulturkampf" nennt: Zwei völlig unterschiedliche Politikstile, die am Konflikt zwischen Lucke und Poschardt deutlich wurden, wie auch an der Tatsache, dass Poschardt plötzlich als eine Art porschefahrender Robin Hood die "migrantische working class" gegen die Zumutungen grüner Verkehrs- und Energiepolitik verteidigt.

Und Albrecht von Lucke dann als ein moderner Sheriff von Nottingham im Namen der abstrakten "zukünftigen Generationen" und der nicht weniger abstrakten "enormen Kosten [des europäischen Wohlstands] auf der globalen Ebene", immer größere Steuern erhebt.

Gerade wird dieser Konflikt ganz konkret vor allem am Verkehrsbereich als dem Inbegriff individueller Freiheit ausgefochten. Für Albrecht von Lucke ist die Kernfrage: Sind wir bereit, in dieser Gegenwart Wohlstandseinbußen zu akzeptieren und sie dort, wo es erforderlich ist, auch auszugleichen, zugunsten zukünftiger Generationen? Um auf diese Weise die Umsetzung zu einer zukunftsgerechten Gesellschaft zu leisten, die auch Wohlstand für zukünftige Generationen ermöglicht.

Ob diese Aussicht realistisch ist, muss man fragen, kann aber hier nicht beantwortet werden.

Aber auch wenn das der Fall ist: Die Antwort, die aus allen Wahlen der letzten Jahre spricht, ist klar. Die deutsche Gesellschaft ist dazu nicht bereit.

Der Wählererfolg der Grünen ist genau genommen sehr gering. In den Städten verlieren sie gerade konsequent an Boden, während sie auf dem Land leicht, aber nicht genug dazu gewinnen. Dass die FDP noch mehr verliert, ist kein Gegenargument, sondern bestätigt den Befund, denn die FDP leidet gerade unter der babylonischen Gefangenschaft in der Ampelkoalition. Diejenigen, die die FDP für diese Koalition und für ihre Politik in der Regierung kritisieren, wählen natürlich nicht die Grünen, sondern die CDU.

Auch Poschardt argumentierte inkonsequent, wenn er einerseits zurecht den Moralismus und die idealistische Verbots- und Verzichtspolitik der Grünen kritisiert und andererseits Außenministerin Annalena Baerbock für ihre Außenpolitik in höchsten Tönen lobt – eine Außenpolitik, die genau auf diesem Moralismus und Idealismus fußt und dafür den Blick für die Realitäten zunehmend außer Acht lässt.

Die Verteidigung der Freiheit befindet sich bis auf Weiteres mit der Verteidigung des Wohlstands im Clinch. Oder, anders formuliert, eine Erfolgsreligion aus Risiko und Profit ist im Konflikt mit einer Gerechtigkeitsreligion aus Wohlstand und Umverteilung.

Beide finden derzeit keine Mehrheiten beim Wähler, sie taugen bestenfalls als Korrektiv zum pragmatischen Mainstream eines sozialpartnerschaftlichen Weiterso.

Zu bemerken ist eine doppelte Innovationsblindheit der deutschen Gesellschaft: Geblendet von Verzichts- und Verbotspredigten streitet man über deren Für und Wider und verliert dabei ebenso komplett aus dem Auge, dass so etwas historisch noch nie funktioniert hat, wie die Tatsache, dass es woanders große technische Innovationen gibt.

"De-Growth"-Fantasien, die den "Wohlstand zurückfahren" wollen, und ein "Zurück zum Wohlstand der 1970er-Jahre" fordern, paaren sich mit tiefer Skepsis gegenüber moderner Technologie und grundsätzlicher Veränderungsfeindschaft.

So bot die DLF-Diskussion vor allem eine Zwischenbilanz, und zeigte, dass die Ampelparteien sich in einer unterschiedlichen Problemanalyse verhakt haben. Die FDP setzt darauf, Opposition in der Regierung zu spielen, anstatt endlich ein bürgerrechtliches Projekt, das über Cannabis-Legalisierung und Geschwindigkeitsfreigabe hinausgeht, für sich zu entwickeln.

Und die Grünen besetzen geschickt den Begriff der Zukunft für sich, füllen ihn aber vor allem mit Bedrohungsszenarien. Deren gesetzliche Form ist dann handwerklich derart schlecht gemacht, oder verkommt zur reinen Symbolpolitik, dass damit kein Vertrauen wächst.