Wenn die Vogelgrippe kommt …

Der Berliner Pandemieplan zur Bekämpfung einer Influenza-Pandemie mit dem H5N1-Virus

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Als am 8. Februar 2006 auf der Insel Rügen die ersten Vögel aufgefunden wurden, die am Vogelgrippevirus H5N1 verstorben waren, hieß es: „Keine Panik, es sind nur Wildvögel; Nutztiere sind nicht betroffen!“ Nachdem am 4. April 2006 in einer Geflügelfarm im sächsischen Wermsdorf zwanzig Puten und Gänse am Vogelgrippevirus H5N1 der Rügen-Variante verendet waren, heißt es jetzt: „Keine Panik, es sind nur Nutzvögel; Menschen sind nicht betroffen!“ Aber 14.000 Tiere mussten gekeult werden. Nur einen Tag später stellte die Berliner Gesundheitssenatorin Dr. Heidi Knake-Werner (PDS/Die Linke) auf einer Pressekonferenz ihren „Rahmenplan Influenza-Pandemie des Landes Berlin“ für den Fall vor, dass in der Bundeshauptstadt der erste Mensch an H5N1 erkrankt. Hier die gute Nachricht: Kein Berliner soll gekeult werden!

Bis heute ist die Vogelgrippe weitestgehend eine Tierseuche; aber manchmal springen solche Krankheitserreger auf den Menschen über. Die Experten sprechen dann von einer „Zoonose“. Dazu zählen die Rinderkrankheit Milzbrand und die Affenseuche Ebola. Heute zählt auch der Vogelgrippe-Erreger H5N1 dazu, der erstmals 1959 auftrat. Am 21. Mai 1997 verstarb erstmals ein dreijähriger Junge an einer Infektion mit dem H5N1-Virus der Asia-Variante in Hongkong. Die Ärzte sprechen seitdem von der „Higly Pathogenic Avian Influenza“ (HPAI).

In den folgenden Jahren vagabundierte das Virus zwischen China, Hongkong, Vietnam, Thailand, Indonesien und Malaysia hin und her. Aber im Jahr 2005 verließ der Erreger sein angestammtes Verbreitungsgebiet und machte sich in Richtung Westen auf, um die Welt zu erobern. Bisher sind rund 100 Personen an einer Infektion mit dem H5N1-Erreger verstorben, das entspricht einer Letalitätsrate von fast 60 Prozent aller (bekannten) Erkrankten.

Mit dem Auftreten des Virus in der europäischen Biosphäre durchlebt das Virus genetische Veränderungen, die anscheinend seine Aggressivität fördern. Dieser Prozess ist noch längst nicht zum Abschluss gekommen. Der Mikroorganismus entwickelt sich weiter und könnte eines Tages zur Entwicklung eines Erregers führen, der durch eine genetische Mutation, die so genannte „Antigenshift“, die Artenschranke überspringt und folglich human-pathogene Eigenschaften aufweist. Wie beim herkömmlichen Grippeerreger würde dieses neue Virus prinzipiell jeden Menschen infizieren, mit dem es in Kontakt kommt, und wäre durch Tröpfcheninfektion (wahrscheinlich) von Mensch-zu-Mensch übertragbar. Eine weltweite Pandemie wäre dann unvermeidlich.

Schon mehrfach hat es eine solche Pandemie gegeben. Die „Asiatische Grippe“ durch den H2N2-Erreger 1957 und die „Hong Kong-Grippe“ durch den H3N2-Erreger 1968 verliefen mit jeweils einer Million Toten relativ harmlos. Gravierender war die „Spanische Grippe“ in den Jahren 1918/19. Bei einer Weltbevölkerung von 2 Milliarden Menschen starben damals – nach unterschiedlichen Schätzungen - 20 bis 80 Millionen Menschen. Erst im Jahre 2005 gelang es amerikanischen Mikrobiologen endlich den Erreger zu identifizieren. Es handelte sich um einen Vogelgrippe-Virus vom Subtyp H1N1. Aber was soll man von einer Medizin halten, die erst neunzig Jahre nach dem Tod eines Patienten dessen Krankheitsursache entdeckt? Außerdem sind drei Pandemien in hundert Jahren kein umfassender Erfahrungsschatz, auf den Wissenschaftler bauen können.

Schon heute gibt es verschiedene Erreger der Vogelgrippe. Im amtlichen Bundesgesundheitsblatt heißt es dazu:

Das morphologische Charakteristikum der Influenzaviren sind Spike-artige Projektionen an der Oberfläche des Virus, die durch die beiden Oberflächenproteine Hämagglutinin (HA) und Neuramidase (NA) gebildet werden. Das HA ermöglicht die Bindung des Virus an die Wirtszelle. Die Aktivität der NA ist erforderlich, damit sich die Nachkommen-Viren von der infizierten Zelle lösen können. (...) Influenza-A-Viren werden aufgrund der antigenen Eigenschaften ihrer Hüllproteine Hämagglutinin (H) und Neuramidase (N) weiterhin in Subtypen unterteilt (z.B. H3N2 oder H1N1). (...) Es sind 15 verschiedene Hämagglutinin- und neun Neuramidase-Subtypen bekannt.

Influenzapandemie-Plan

Um beim nächsten Seuchenausbruch besser vorbereitet zu sein, erstellen die deutschen Gesundheitsbehörden entsprechende Katastrophenschutzpläne. Als Vorlage dient der Nationale Influenzapandemieplan (35 Seiten) des Berliner Robert-Koch-Institutes vom 15. März 2005. Das RKI ist ein bundeseigenes Forschungslabor zur Seuchenabwehr mit 770 Mitarbeitern, das zudem die nationalen Gesundheitsstatistiken führt.

Berliner Szenarien

Nach den Vogelfunden auf Rügen musste die Berliner Berufsfeuerwehr jeden Tag rund hundert Vogelkadavern im Stadtgebiet einsammeln, um sie auf eine Infektion mit dem H5N1-Erreger untersuchen zu lassen. Im März war es soweit: Die neue Vogelgrippe hatte Berlin erreicht.

Ein Mäusebussard wurde das erste Opfer des H5N1-Virus der Asia-Variante. Allerdings weiß man nicht mehr so genau, ob es der 18. oder der 20. März war, und ob man die Vogelleiche in Biesdorf oder einem anderen Stadtteil gefunden hatte. Vor lauter Vogelkadavern hatte man im Zentrum für Infektionsdiagnostik beim Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen (ILAT) in der Invalidenstraße Nr. 60 irgendwann einfach den Überblick verloren. Als Konsequenz der Panne musste das gesamte Stadtgebiet bis zum 27. April zum Beobachtungsgebiet erklärt werden. In dieser Zeit darf kein Vogel ohne schriftliche behördliche Genehmigung das Sperrgebiet verlassen!

Auf Basis der Empfehlungen des RKI hat die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz in der Oranienstraße Nr. 106 nun eine eigene Katastrophenschutzplanung für den Fall einer Grippe oder human-pathogenen Vogelgrippe-Pandemie entwickelt. Pannen wie beim Krisenmanagement auf der Insel Rügen, als die gelernte Kellnerin und amtierende Landrätin Kerstin Kassner die Auslösung eines Katastrophenalarms tagelang verzögerte, müssen in der Großstadt mit ihrer hohen Bevölkerungsdichte unbedingt vermieden werden.

Der „Rahmenplan Influenza-Pandemie des Landes Berlin“ vom 31. März 2006 wurde von der fünfköpfigen Arbeitsgruppe „Pandemie“ innerhalb des Referates E II erstellt. Die Federführung lag bei Olaf Franke und Dr. Markus Stemmler. Die Planungen gehen bei einer Stadtbevölkerung von 3,4 Millionen Einwohnern von drei verschiedenen Szenarien einer Grippeausbreitung in Berlin aus, wobei die Senatsgesundheitsverwaltung das mittlere Zukunftsszenario für das wahrscheinlichste hält:

  1. Erkrankungsrate: 15/30/50 Prozent
  2. Arztbesuche: 246.000/534.000/863.000<
  3. Hospitalisierungen: 7.400/14.800/24.600
  4. Todesfälle: 1.970/3.900/6.600

Dabei geht die Behörde von einer ziemlich geringen Virulenz einer human-pathogenen Vogelgrippe aus: Wenn von den 3,4 Millionen Berlinern 30 Prozent, also über 1 Million Menschen erkranken, dann würden nur die Hälfte der Betroffenen einen Arzt aufsuchen und nur in 1,5 Prozent der Fälle wäre der Krankheitsverlauf so schwerwiegend, dass eine Einweisung in ein Krankenhaus erfolgen müsste. Mit einer Todesquote von 3.900 Personen läge die Letalität zudem bei 0,38 Prozent, das entspricht der Gefährlichkeit des Erregers der Pandemie von 1957. An anderer Stelle räumt der Rahmenplan die Gefahr einer viel höheren Zahl von Todesopfern ein: „Bei einer Erkrankungsrate von 50% mit einem aggressiveren Stamm (Letalitätsrate: 2,5%, entsprechend der Pandemie 1918) wären dagegen 42.500 Todesfälle in Berlin zu erwarten,“ heißt es im Pandemieplan. Zum Vergleich: Die 88 Luftangriffe auf Berlin während des Zweiten Weltkrieges hatten rund 50.000 Todesopfer gefordert.

Die Gesundheitssenatorin Dr. Heidi Knake-Werner verwies in ihrer Pressekonferenz dazu lediglich auf die Vorgaben des Robert-Koch-Institutes, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen würden, obwohl hier von gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen kaum die Rede sein kann, bezieht man sich doch auf einen (Vogel)-Grippeerreger, der erst noch im Entstehen begriffen ist.

Kleinkinder als Bio-Indikatoren

Gegenwärtig kommt es nur zu vereinzelten Infektionen von Menschen mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1. Wahrscheinlich bleibt eine medizinische Eskalation in den nächsten Jahren aus, aber andererseits wird der Erreger auch nicht einfach von der Welt wieder verschwinden. Laut den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO befindet sich die Menschheit damit in der „Pandemischen Warnperiode Phase 3“.

In dieser Zeit ist es wichtig, seine Augen und Ohren offen zu halten, um den winzigen Erreger mit seiner Größe von rund 0,0001 Millimetern frühzeitig zu erkennen. Die Epidemiologen sprechen hier von der „Surveillance“. Jeder kleinsten Spur muss nachgegangen werden, ob sich ein gefährlicher Mikroorganismus irgendwo in der Bevölkerung einnistet. Wer wäre dafür besser geeignet als jene Bevölkerungsgruppe, die durch ihr unterentwickeltes Immunsystem auf natürliche Weise besonders infektionsanfällig ist – die Kleinkinder?

Im Pandemieplan für die 12 Berliner Stadtbezirke heißt es dazu erwartungsvoll:

Je Bezirk werden (in Vermittlung) durch das zuständige Gesundheitsamt sieben Kindertagesstätten mit einer Mindestkapazität von 50 Kindern ausgewählt, die bereits während der pandemischen Warnphase 3 wöchentlich (mittwochs) bis 13.00 Uhr die Zahl der an akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE) leidenden Kinder an das zuständige bezirkliche Gesundheitsamt melden. Die Weiterleitung erfolgt bis 14.00 Uhr an die zuständige Stelle des Landesamtes für Gesundheitsschutz, Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi).

Sollte es zum Ausbruch einer Pandemie kommen, will der Berliner Senat deren Ausbreitung an jener Bevölkerungsgruppe studieren, die durch ihr geschwächtes Immunsystem auf natürliche Weise besonders infektionsanfällig ist – die Alten.

Im Berliner Pandemieplan heißt es dazu:

Jeder Bezirk bestimmt 4 Pflegeeinrichtungen mit mindestens 80 Bewohnern, in denen Patienten aus allen 3 Pflegestufen betreut werden. Eine Erfassung der Erkrankungsfälle an ARE erfolgt analog zu den vorstehenden Verfahren.

Die Nutzung von Kleinkindern und Alten als Bio-Indikatoren für das Entstehen und die Ausbreitung einer Infektionskrankheit ist epidemiologisch sinnvoll und richtig, mutet aber dennoch makaber an. Seuchenbekämpfung ist eben ein hartes Geschäft.

Selektion beim Impfen

Zur Abwehr einer viralen Seuche gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Eine präventive Schutzimpfung mit einem abgeschwächten Erreger oder mit Antikörpern.
  2. Im Erkrankungsfall eine therapeutische Behandlung mit antiviralen Medikamenten.

Die Bundesrepublik lässt z. Zt. einen Basisimpfstoff gegen die (Vogel-)Grippe entwickeln. Aber erst wenn sich ein human-pathogener (Vogel-)Grippevirus herausgebildet hat, kann mit der Produktion eines spezifischen Impfstoffes begonnen werden. Durch die Vorarbeiten kann sich dessen Entwicklung – laut Pandemieplan - auf vier bis sechs Monate verringern. Dann dauert es ein weiteres halbes Jahr, bis genügend Impfstoff für die gesamte Zivilbevölkerung hergestellt werden konnte. Da sich eine (Vogel-)Grippe-Pandemie „in einer oder mehreren Wellen von ca. 2-4 Monaten Dauer Berlin erfassen“ würde, stände der Impfstoff frühestens erst nach Abflauen der ersten Welle bereit.

Bis dahin erfolgt eine „Priorisierung bei Impfstoffknappheit im Pandemiefall“: Zunächst wird das „medizinische Personal“ (Ärzte, Pflegepersonal, Laborpersonal) geimpft, anschließend die „Beschäftigten im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ (Feuerwehr, Polizei, Hilfs- und Einsatzkräfte u.a.). Anschließend kämen „besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen“ zum Zuge. Wie der Staatssekretär in der Berliner Gesundheitsverwaltung, Dr. Hermann Schulte-Sasse, auf eine parlamentarische Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus mitteilte, gehören hierzu „Säuglinge und Kleinkinder bis zu 2 Jahren, Patienten mit chronischen Erkrankungen des Respirationssystems (z.B. Astma bronchiale) sowie immunsupprimierte Patienten nach Chemotherapie oder Transplantationen“.

Anschließend erfolgt irgendwann die Impfung der restlichen Bevölkerung. In Berlin würden dazu die Impfstationen eingerichtet werden, die schon im „Berliner Rahmenplan Bioterrorismus“ bzw. „Pockenplan“ von 2004 ausgewählt wurden.

Im Pandamieplan heißt es dazu vielversprechend:

Eine endgültige Empfehlung für eine Priorisierung der übrigen Bevölkerung im Pandemiefall wird durch die Nationale Pandemiekommission auf der Grundlage der aktuellen epidemiologischen Daten erfolgen.

Selektion bei Tamiflu

Als antivirale Medikamente kommen z. Zt. drei Präparate in Frage: die beiden Neuramidasehemmer Oseltamivir (Markenname „Tamiflu“), das Inhalationsmittel Zanamivir (Markenname „Relenza“) und der Proteinhemmer Amantadin. Nach Angaben des Berliner Pandemieplans kann beim Einsatz dieser Medikamente „die Influenza-A Erkrankungsdauer um ca. 1.1,5 Tage reduziert und die Komplikationsrate um ca. 30-60% gesenkt werden“. Ob und in welchem Umfang „Tamiflu“ bei einer Infektion mit einem Vogelgrippe-Erreger wirksam ist, ist in der Literatur umstritten.

Dennoch empfahl das Berliner Robert-Koch-Institut den Landesbehörden, für 20% der Gesamtbevölkerung entsprechende Medikamente einzulagern. Die Berliner Landesregierung kam dem nur sehr zögerlich nach. Zunächst wurden lediglich für 7,2% der Berliner das Medikament „Tamiflu“ in Pulverform bereitgestellt. Es handelt sich um 90.500 Einheiten für das medizinische Personal sowie die Hilfs- und Ordnungskräfte und 154.400 Einheiten für die Zivilbevölkerung. Erst am 4. April 2006 beschloss der Senat, die Bestände bis 2007 auf 20% aufzustocken. Dazu stellt die Landesregierung zehn Millionen Euro bereit.

Problem Krankenversorgung

Schon die besonders günstige Senatsprognose von „nur“ 1 Million Erkrankten, von denen wiederum „nur“ 14.800 Patienten in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssen, stellt sich die Frage nach einer Überforderung des Öffentlichen Rettungs- und Gesundheitssystems in der Bundeshauptstadt (Warten auf den Anpfiff) Im Notfall wären insgesamt 38 Aufnahmekrankenhäuser sofort einsetzbar, um mehrere Tausend Kranke versorgen zu können. Laut Dr. Sigurd Peters, dem früheren Referatsleiter für Katastrophenschutz beim Gesundheitssenator, handelt es sich um 17.000 Betten; die Feuerwehr rechnet hingegen nur mit 5.000 verfügbaren Krankenlager. Außerdem haben die Berliner Krankenhäuser gerade einmal 700 Plätze zur Reanimation bzw. Beatmung von Personen mit Atemwegsbeschwerden, wozu grippöse Patienten zweifellos gehören.

Zwar ist ein Krankenhaus in normalen Zeiten ein Ort der Rettung und Genesung, bei der Ausbreitung einer Infektionskrankheit werden jedoch gerade die Krankenhäuser zu Seuchenherden. Im Falle einer Pandemie sollen daher vier Kliniken mit einer Gesamtkapazität von 700 Betten ausschließlich für die Behandlung von Influenzapatienten freigemacht werden.

Versorgung der gesunden Bevölkerung

Jeder Infizierte versprüht beim Husten, Niesen und Sprechen eine virale Wolke bis zu 1,5 Meter Entfernung. Um einer Ansteckung durch Tröpfcheninfektion im Pandemiefall zu entgehen, empfiehlt Olaf Franke daher eine „Minimierung von gesellschaftlichen Kontakten“. Die Folge dieser vorübergehenden Selbstisolation der Individuen wäre ein totaler Zusammenbruch des öffentlichen Lebens.

Für die Katastrophenplaner stellt sich daher die Frage, wie unter solchen Bedingungen die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sichergestellt und das Wirtschaftsleben aufrechterhalten werden kann: „Firmen könnten zum Beispiel Heimarbeitsplätze einrichten. Öffentliche Veranstaltungen würden verboten“; kündigte die Gesundheitssenatorin an.

Die Großunternehmen, die längst ihre eigenen Krisenpläne entwickelt haben, um im Pandemiefall den Ausfall von Betriebspersonal managen zu können, sollen verstärkt zur Vorsorge verpflichtet werden. Die Berliner Gesundheitsverwaltung verweist in diesem Zusammenhang auf das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG) vom 1. Mai 1998, das die Unternehmen zur Früherkennung von Risiken, Schadensbegrenzung und einem entsprechenden Risikomanagement verpflichtet.

Eine „Checkliste für Betriebe“ gibt Empfehlungen zur Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs („dreilagige OP-Maske mit Nasenbügel, bevorzugt nach DIN EN 14638 geprüft“), zur Durchlüftung von Arbeitsräumen und der Benutzung der Betriebskantine (sollte „geschlossen bleiben“):

Problem Schutzanzüge

Der Berliner Pandemieplan empfiehlt den Stadtbezirken die Einlagerung von genügend ABC-Anzügen (Schutzkittel, Atemschutzhalbmaske, Schutzbrille und Handschuhe). Die Senatsgesundheitsverwaltung hält Partikel-filtrierende Masken der Kategorie FFP 2 für ausreichend.

Zusätzlich zu den bei der Feuerwehr, der Polizei, den Hilfsorganisationen bereitgehaltenen Schutzanzügen hat der Senat nach Angaben von Olaf Franke von der Senatsgesundheitsverwaltung bis zu 35.000 ABC-Schutzanzüge verschiedener Typen bereits zentral eingelagert. Damit wäre der Bestand wesentlich heute, als bis dato bekannt war. Das Ziel der Senatsplanungen sei es, „den voraussichtlichen Bedarf von mindestens acht Wochen“ abzudecken.

Erst im März 2006 bestellte der Senat rund 160 spezielle ABC-Schutzanzüge mit Gebläse und Rundhaube im Rahmen seines Programms zur medizinischen ABC-Vorsorge. Wann diese Anzüge ausgeliefert werden, ist nicht bekannt. Im Gegensatz zu den eingelagerten Schutzanzügen der Katastrophenschutzeinheiten sind diese „klimatisierten“ Anzüge besonders geeignet, weil die Ärzte darin stundenlang arbeiten können und auch die zahlreichen Brillenträger unter den Medizinern damit eine klare Sicht hätten.

Trotz dieser Schutzmaßnahmen ist der Einsatz der Hilfskräfte nicht ohne Risiko. Im Pandemieplan heißt es dazu:

Britische Schätzungen gehen davon aus, dass während der Wochen der höchsten Erkrankungsaktivität 2,5–10% des medizinischen Personals ausfallen und insgesamt etwa 25% des Personals über den gesamten Zeitraum einer Influenzawelle für ca. 5.8 Tage fehlen könnten.

Zwar haben die Berliner Krankenhäuser in den letzten Jahren über einhundert Katastrophenübungen durchgeführt, aber dabei wurde erst zweimal eine ABC-Lage durchgespielt. Am 28. Februar 2006 übte zunächst das Vivantes-Klinikum in Friedrichshain, dem folgte am 11. März das Jüdische Krankenhaus im Rahmen der Großübung TRIANGEL. (Das Gesundbrunnen-Massaker). Darüber hinaus hat die Senatsgesundheitsverwaltung im März damit begonnen, Ärzte und Krankenschwester zur Bewältigung von ABC-Lagen in der Dekontamination von Kranken und Verletzten speziell zu schulen. Berlin ist auf diesem Gebiet bundesweit Vorreiter. Allerdings bedarf es weiterer Anstrengungen der Politik, um in Zeiten knapper Kassen die Krankenhäuser zur praktischen Umsetzung der Senatsempfehlungen anzuhalten.

Aussonderung

Im Pandemiefall erlaubt das Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 gegen infizierte oder krankheitsverdächtige Personen verschiedene Notstandsmaßnahmen, die den Bürger entmündigen und seine Grundrechtsgarantien gemäß Grundgesetz bzw. der Verfassung von Berlin aushöhlen.

In § 32 „Erlass von Rechtsverordnungen“ heißt es:

Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.

Gemäß § 26 sind Zwangseingriffe in die körperliche Unversehrtheit durchaus erlaubt:

(2) Die in § 25 Abs. 1 genannten Personen (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider, G. P.) können durch das Gesundheitsamt vorgeladen werden. Sie können durch das Gesundheitsamt verpflichtet werden, Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial an sich vornehmen zu lassen, insbesondere die erforderlichen äußerlichen Untersuchungen, Röntgenuntersuchungen, Tuberkulintestungen, Blutentnahmen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden sowie das erforderliche Untersuchungsmaterial auf Verlangen bereitzustellen.

Nicht zuletzt kann gemäß § 30 eine Zwangsinhaftierung – auch von Bundestagsabgeordneten - in einer Absonderungseinrichtung angeordnet werden:

(1) (...) Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden.

(2) Kommt der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern. (...)

(3) Der Abgesonderte hat die Anordnungen des Krankenhauses oder der sonstigen Absonderungseinrichtung zu befolgen und die Maßnahmen zu dulden, die der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Einrichtung oder der Sicherung des Unterbringungszwecks dienen. Insbesondere dürfen ihm Gegenstände, die unmittelbar oder mittelbar einem Entweichen dienen können, abgenommen und bis zu seiner Entlassung anderweitig verwahrt werden. Für ihn eingehende oder von ihm ausgehende Pakete und schriftliche Mitteilungen können in seinem Beisein geöffnet und zurückgehalten werden, soweit dies zur Sicherung des Unterbringungszwecks erforderlich ist. (...) Postsendungen von Gerichten, Behörden, gesetzlichen Vertretern, Rechtsanwälten, Notaren oder Seelsorgern (...) dürfen nur geöffnet oder zurückgehalten werden, soweit dies zum Zwecke der Entseuchung notwendig ist.

Gemäß dem Berliner Pandemieplan werden in fünf ausgewählten Absonderungseinrichtungen 1.500 Plätze bereitgestellt, um Kontaktpersonen, die selbst noch nicht erkrankt sind, in Quarantäne zu nehmen. Zwar wollte die Gesundheitssenatorin die betreffenden Lokalitäten im Nordosten Berlins „aus Sicherheitsgründen“ nicht nennen.

Dennoch gab sich die Gesundheitssenatorin zuversichtlich:

Wir sind mit dem Stand unserer Vorbereitungen gut aufgestellt. Ziel ist es, beim möglichen Auftreten einer Influenza-Pandemie die Häufigkeit und die Schwere der Erkrankungen in der Bevölkerung zu reduzieren, die medizinische Versorgung der Erkrankten sicher zu stellen, die wichtigsten öffentlichen Dienstleistungen aufrechtzuerhalten sowie Entscheidungsträger, Fachpersonal und die Öffentlichkeit zu informieren.

Ihr abschließender Rat an alle Telepolis-Leser lautet gemäß der „Anlage 10“ zum „Rahmenplan Influenza-Pandemie“:

Vermeiden Sie es, Ihre Augen, Nase und Mund mit den Händen zu berühren. Hierdurch kann der Erreger von durch Erkrankte verunreinigte Oberflächen und Gegenstände auf ihre Schleimhäute übertragen werden.

In einer bundesweiten Pandemie-Arbeitsgruppe wird nun der Berliner Pandemieplan mit den Rahmenplänen der anderen Bundesländer abgestimmt. Berlin ist das erste Bundesland, das nach Angaben der Gesundheitssenatorin einen umfassenden Pandemie-Plan der Öffentlichkeit vorstellte.

Gerhard Piper ist Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (BITS).