Wenn eine Friedensdelegation die Belange Deutschlands verletzt
Vor fast einem Jahr erhielten Teilnehmende einer Delegation in die Autonome Region Kurdistan Ausreiseverbot. Jetzt wollen sie die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen lassen
Vor bald einem Jahr, am 12. Juni 2021 wurden Teilnehmer einer Friedens- und Menschenrechtsdelegation, die sich auf den Weg in die Autonome Region Kurdistan im Nordirak machen wollte, am Düsseldorfer Flughafen von der Bundespolizei gestoppt und erhielten ein Ausreiseverbot unter Strafandrohung. Zwei Betroffene aus Hamburg wollen nun die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme feststellen lassen und haben vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage gegen die Bundespolizei eingereicht.
Auf einer Pressekonferenz begründete an diesem Donnerstag die Rechtsanwältin Cornelia Ganten-Lange die Klage mit den Kampf um die Grundrechte.
Es sollte eine Delegation von Journalisten, Gewerkschaftern und Klimaaktivisten in die kurdischen Gebete sein. Am 12. Juni wurde den Teilnehmern am Flughafen Düsseldorf ein Ausreiseverbot erteilt. Offiziell begründet wurde dies mit dem Passgesetz.
Es sei tatsächlich möglich, nach dem Passgesetz eine Ausreise aus Deutschland zu verwehren. Aber nur, wenn entweder die innere oder äußere Sicherheit Deutschlands gefährdet ist oder wenn sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik betroffen sind, erklärte die Juristin Ganten-Lange.
Sie betonte zudem, dass diese sonstigen Belange sehr enge auszulegen sind, weil Ausreiseverbote stark in die Grundrechte der betroffenen Personen eingreifen. In diesem Fall sei gezielt die Delegationsreise und so auch das geplante Einholen von Informationen über die Lebensbedingungen in den kurdischen Gebieten verhindert worden.
Nach der Rechtsprechung verschiedener Gerichte müssen die "sonstigen Belange" so erheblich sein, dass die Haltungsfreiheit der betroffenen Personen zurückstehen muss.
Nur Behauptungen und Spekulationen
Die Bundespolizei habe aber hauptsächlich mit Spekulationen und Behauptungen gearbeitet – Beweise seien nicht genannt worden, moniert Ganten-Lange. So werde auf anonyme Texte im Internet Bezug genommen, nach denen die Teilnehmer der Delegation als "lebende Schutzschilde" agieren und somit die Beziehungen zur Türkei stören könnten.
Die Klage sei auch nach fast einem Jahr sinnvoll, um das Ausreiseverbot im Nachhinein als rechtswidrig erklären zu lassen, so die Juristin. Mit Ronja H. sprach eine der Klägerinnen selbst. In ihrer Erklärung ging sie zunächst auf die aktuelle Berichterstattung über den Ukraine-Krieg ein, der auch zu großer Solidarität mit den Opfern führe. Sie warf die Frage auf, warum man nichts über den jahrelangen Krieg der türkischen Regierung gegen Kurdistan höre.
Warum werde auf die beiden Kriege so unterschiedlich reagiert? Sie habe sich an der Delegation beteiligen wolle, weil sie sich von den Selbstverwaltungsstrukturen in Kurdistan angesprochen fühle: "Sie kämpfen sowohl gegen autokratische Regime als auch gegen Islamisten", betonte sie.
Ronja H. berichtete, wie sie beim Einchecken am Flughafen Düsseldorf zunächst von zwei unbekannten Männern beobachtet und dann angesprochen worden sei. Die Männer hätten sich dann als Zivilpolizisten herausgestellt und unter anderem nach ihrer politischen Betätigung gefragt. Dieses Prozedere mussten alle Teilnehmer der Delegation über sich ergehen lassen. Unter den Betroffenen, die in zunächst in einem engen Flur festgehalten wurden, befand sich auch die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir.
"Wir wurden wie Kriminelle behandelt. Auf die Toilette durften wir nach polizeiliche Begleitung", kritisierte Ronja H. – Akteneinsicht wurde ihr im Nachhinein mit der Begründung verweigert, dadurch könnten Sicherheitsbelange der Bundesrepublik beeinträchtigt werden. Mit der Klage wolle man erfahren, von wen die Initiative für das Ausreiseverbot ausging – ob die türkische Regime die Anweisung gab oder ob die Polizei eigenständig handelte.
H. beklagte auch, dass die Bundespolizei ihr damit die Möglichkeit genommen hat, sich für den Frieden in Kurdistan einzusetzen. Als zweite Klägerin begründete Thea Ohling ihre Teilnahme an der Delegation. Als Lehrerin habe sie Geflüchtete aus Kurdistan unterrichtet und dadurch von der Unterdrückung erfahren, der die Menschen in der Türkei ausgesetzt sind.
Ohling, die sich in antirassistischen Initiativen engagiert, lobte die kurdische Selbstverwaltung in der Bildungspolitik, besonders bei der Vermittlung der von der türkischen Regierung verbotenen kurdischen Sprache. "Das Anliegen der Friedensdelegation war es, einen Eindruck von der Situation in Kurdistan zu verschaffen und mich dort für den Frieden einzusetzen", betonte Ohling.
Sie berichtete zudem von Plänen, die Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates zu dokumentieren und sie der deutschen Öffentlichkeit bewusster zu machen. Trotz der massiven Behinderung durch die Bundespolizei habe die Delegation in kleinerer Form stattfinden können.
Widerstand kam auch von der konservativen KDP
Aufgrund der Einreisebehinderung konnten nur die Hälfte der geplanten rund 150 Teilnehmer sich mit der Situation vor Ort auseinandersetzen, darunter die Friedens- und Konfliktforscherin Mechthild Exo. Sie berichtete, dass die Delegation in weiten Teilen der Bevölkerung große Beachtung fand. Sie habe ein umfangreiches Programm sowohl mit kurdischen Parteien als auch mit der dortigen Zivilgesellschaft absolviert.
Exo verwies auf Gespräche mit kurdischen Umweltgruppen, aber auch den "Friedensmüttern". Dabei handelt es sich um Frauen, die Angehörige im Krieg verloren haben und für die Beendigung des Krieges eintreten. Exo berichtete allerdings auch, dass es vor Ort Behinderungen durch die Demokratische Partei Kurdistans gab, eine konservative kurdische Partei des Bazani-Clans, die eng mit dem türkischen Staatsapparat kooperiert.
Die KDP verhinderte demnach eine Pressekonferenz der Delegation und sorgte dafür, dass auch in Erbil ein Teil der Delegation nicht einreisen konnte. "Vor einem Jahr war die Friedensdelegation ein Hindernis dabei, den Krieg weiter eskalieren zu lassen. Und auch heute wäre eine solche Delegation notwendig," erklärte Exo mit Verweis auf die aktuellen Angriffe der Türkei auf die Region, die im Schatten des Ukraine-Krieges wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Ein Ende deutscher Waffenlieferungen an die Türkei forderte unterdessen die Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Sevim Dagdelen:
Es ist beschämend, dass die Bundesregierung zu den erneuten Völkerrechtsbrüchen des NATO-Partners Türkei durch Angriffe türkischer Truppen im Norden Syriens schweigt. Angesichts der Angriffskriege des türkischen Präsidenten Erdogan gegen Syrien und den Irak müssen die Waffenlieferungen an die Türkei umgehend eingestellt werden. Ein offizieller Waffenstopp der Bundesregierung für die Türkei muss jetzt kommen.
,Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für Internationale Politik
Nötig sei eine "friedenspolitische Wende" in der deutschen Türkei-Politik.