Wer bleibt schon bei 1.0 stehen?
Der Technikphilosoph Armin Grunwald über die Verbesserung des Menschen durch Technik, das Blackout-Risiko durch erneuerbare Energien und Patente auf künstliches Leben
Prof. Dr. Armin Grunwald philosophiert gewiss nicht im elfenbeinernen Turm. Der Technikphilosoph hat einen Lehrstuhl in Karlsruhe und schreibt über Folgen sowie Risiken des technischen Fortschritts. Zugleich berät er die Politik als Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim deutschen Bundestag und hat auch schon die EU beraten. Im ersten Teil des Interviews erzählt Grunwald von einigen derzeitigen und künftigen Technologien, die ihn beschäftigen.
Sie beraten den deutschen Bundestag mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung. Bei welchen Themen holt man denn Ihren Rat?
Armin Grunwald: Wir machen das seit über zwanzig Jahren, das waren mittlerweile über 150 Themen. Die Themen kommen und gehen, die Projekte dauern ein bis zwei Jahre. Ein großes Thema der letzten Jahre war eine Studie zu den Folgen eines langfristigen und großflächigen Blackouts der Stromversorgung. Wir haben untersucht, wann welche Infrastruktur ausfällt. Dabei kamen einige erschreckende Ergebnisse heraus, etwa, dass die deutsche Wasserversorgung zu einem beträchtlichen Teil nicht vorbereitet ist. Wasser wird oft gepumpt, und wenn der Strom weg ist, gehen die Pumpen nicht mehr. Wenn man kein Wasser mehr hat, zum Händewaschen, für die Spülmaschine, das wird nach einigen Tagen nicht nur unappetitlich, sondern auch gefährlich, weil sich rasch Krankheiten ausbreiten können.
Wie hoch ist denn die Gefahr eines solchen Blackouts?
Armin Grunwald: Das haben wir nicht untersucht. Wenn es passiert, passieren die Folgen. Der Auftrag kam vor Fukushima, aber während der Bearbeitungszeit ist Fukushima passiert. Dann kam die Energiewende, und dadurch sind die Gefahren größer geworden, jedenfalls wird das immer wieder befürchtet. Je mehr man erneuerbare Energiequellen nutzt, wie Wind und Sonne, desto größer werden die Unsicherheiten. Wenn man, wie in diesem Winter, eine Zeitlang weder Wind noch Sonne hat, aber viel Strom verbraucht, steigt das Risiko eines Blackouts.
Und was haben Sie dem Bundestag geraten?
Armin Grunwald: Wir haben mehrere Optionen entwickelt, wie man sich besser schützen kann. Dazu gehört etwa eine Dezentralisierung, dass man also sicherstellt, dass bestimmte Insellösungen weiterhin funktionieren, selbst wenn die großen Leitungen zusammenbrechen. Das könnte unheimlich viel helfen.
"Es ist ein Gefühl, eine intuitive Grundhaltung, dass Leben nicht patentierbar sein sollte"
Sie beschäftigen sich auch mit der synthetischen Biologie. Das bedeutet, Ingenieurwissenschaften und Biologie gehen zusammen und stellen neue Lebensformen her ...
Armin Grunwald: Ja, neue Lebensformen, entweder technisch veränderte Lebensformen, bei denen man existierendes Leben nimmt und so verändert, dass es nützliche Eigenschaften hat, für Medikamente, Treibstoffe oder Biomasse. Die Radikalform wäre dann ganz neues Leben.
Wenn jemand ein Lebewesen erfindet - könnte er dann ein Patent darauf anmelden, also das geistige Eigentum auf Leben beanspruchen?
Armin Grunwald: Das sind gute Fragen, und die stellen sich ja auch schon in der Gentechnik. Da gibt es diese Diskussion schon lange, und wenn es gelingen würde, synthetisches Leben herzustellen, dann stellen sich diese Fragen noch mal verschärft. Ich bin relativ sicher, dass es gute Argumente dafür gibt, rein technisch hergestellte Lebewesen patentieren zu können. Das wird sich für Jahrzehnte nur auf der Ebene von Mikrolebewesen abspielen, dass man also ein Patent auf Bakterien anmeldet, die vielleicht ein schönes Medikament produzieren. Es geht also noch nicht darum, ein Patent auf neue Hunde oder Katzen anzumelden.
Ist es für Sie als Philosoph nicht ein grundsätzliches Problem, wenn jemand ein Patent auf Leben anmelden kann?
Armin Grunwald: Warum? Intuitiv würden das wohl viele Menschen sagen. Im Leben, da steckt ja auch die Vorstellung, dass es eine Schöpfung gibt, die ihre eigene Würde hat, es gibt auch die Idee der Würde des Lebens, das steckt alles in unserer Kultur drin. Aber wenn man sich genau anschaut, was die Bedingungen eines Patents sind, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass man auch Leben patentieren kann.
Es ist also ein Irrtum unserer Kultur, so auf das Leben zu blicken, dass es kein Urheberrecht darauf geben soll?
Armin Grunwald: Ob es ein Irrtum ist, das kann ich nicht sagen. Es ist ein Gefühl, eine intuitive Grundhaltung, dass Leben nicht patentierbar sein sollte, und diese Grundhaltung verdankt sich unserer Kultur und Geschichte. Sie ist deswegen nicht falsch, sondern hat ihre Berechtigung. Aber sie kann eben durch neue Entwicklungen herausgefordert werden. Man kann etwa einmal sagen, Leben, das es schon gibt, darf man nicht patentieren, aber Leben, das neu erfunden wurde, darf man patentieren, und dazwischen wird es Grauzonen geben. Da müssen auch die Gerichte ran, um die Grenzen zu ziehen und Licht in die Grauzone zu bringen.
Mit welchen Folgen der synthetischen Biologie haben Sie sich noch beschäftigt?
Armin Grunwald: Das Grundproblem ist, dass die synthetische Biologie noch in den Kinderschuhen steckt. Es gibt erst einige Medikamente, aber da ist man auch nicht sicher, ob das nicht doch herkömmliche Gentechnik ist. Die Folgen sind daher sehr schwer vorstellbar.
"Ein Ingenieur würde sagen, ok, das ist das erste nachgebaute menschliche Auge, ich gebe ihm die Versionsnummer 1.0"
Ein ähnliches Thema ist die Verbesserung des Menschen. Damit beschäftigen Sie sich auch ...
Armin Grunwald: Ja, das ist mit der synthetischen Biologie nicht unmittelbar verbunden, aber es basiert auf ähnlichen Grundlagen. Man hat die Lebensvorgänge im Menschen sehr weit verstanden und kann manche Dinge technisch nachbauen. Und was man nachbauen kann, wird man auch verbessern können. Wenn man etwa ein Auge nachbaut - mittlerweile gibt es Retinaimplantate, damit kann man die menschliche Sehkraft ein kleines Stück wieder herstellen ...
Das wäre aber eine Heilung, keine Verbesserung?
Armin Grunwald: Das wäre eine Heilung, eine Wiederherstellung. Aber wenn man sich jetzt vorstellt, im Fortschritt der nächsten Jahrzehnte, man würde ein menschliches Auge funktionsgleich herstellen, so dass man es implantieren könnte und damit genauso gut sieht, dann würde ein Ingenieur sagen, ok, Auftrag erfüllt. Er würde sagen, ok, das ist das erste nachgebaute menschliche Auge, ich gebe dem die Versionsnummer 1.0.
Darauf folgt dann das Update?
Armin Grunwald: Wer bleibt schon bei 1.0 stehen? Man kann Verbesserungen einbauen, die Lichtfähigkeit in den Infrarotbereich erweitern, einen Nachtsichtmodus hinzufügen. Die ganze technische Welt der Fotografie, das könnte man nutzen, um die Augen technisch zu verbessern.
Klingt eigentlich reizvoll. Sehen Sie da auch Probleme?
Armin Grunwald: Ich glaube, dass es für bestimmte Menschen oder Berufsgruppen durchaus attraktiv sein kann, so etwas zu haben. Das ist in diesem Fall vermutlich relativ unproblematisch, aber es gibt auch weitergehende problematische Vorstellungen. Etwa, dass reiche Menschen sich Verbesserungen ganz anderer Art leisten könnten, die sich andere Menschen nicht leisten können.
Das würde dann die Potenzierung der bestehenden Ungleichheit bedeuten.
Armin Grunwald: Eben. Dann hätte man eine Art Übermensch, und die anderen, die normalen, die werden dann quasi zu Untermenschen. Das wäre ein ganz problematisches Modell, so etwas sind aber Überlegungen und bisher noch Spekulationen.