Wer ist für das Internet verantwortlich?
Verisigns eigenmächtige Aktionen mit dem Sitefinder lassen die Frage entstehen, wie die Infrastruktur des Internet kontrolliert werden sollte
Allgemein ging man davon aus, dass das Internet niemanden gehört, dass es keine Kontrollbehörde gibt und dass es auch keine geben sollte. Der aktuelle Konflikt über Verisigns Sitefinder zeigt jedoch die Irrigkeit dieser Vorstellung, dass niemand das Internet kontrolliere. Gerade findet ein Streit darüber statt, wer diese Kontrolle innehat und wer sie ausüben sollte. Diese Auseinandersetzung findet anhand der Frage statt, welche Verwaltungsstruktur für die Internet-Infrastruktur benötigt wird.
Am 15. Oktober gab Verisign bekannt, dass sie die Suchseite für den Sitefinder wieder einführen werden. Bei Verisign geht man davon aus, dass es ein Vakuum gibt und dass sie die Macht und die Gewinne an sich reißen können, die jedem Unternehmen zuwachsen, das bestimmte Aspekte der Internetinfrastruktur kontrollieren kann. Versign hat einen Vertrag mit der US-Regierung über die DNS-Registrardienste für alle .com- und .net-Adressen (und kontrolliert den zentralen A-Root-Server, der alle .com- und .net-Adressen auflöst) Der Konflikt brach im September aus, als Versign Anfragen für alle nicht registrierten .net- und .com-Domainnamen auf die eigene Siftefinder-Site umlenkte.
Im Internet wurde daraufhin von einigen Seiten Alarm ausgelöst. Versign selbst behauptet, man führe eine "Innovation" für die Internetinfrastruktur ein. Der Konflikt klang vorübergehend ab, nachdem Versign in Reaktion auf die Drohung, den Vertrag über die .com- und .net-Registry zu verlieren, einlenkte und den Sitefinder einstellte. In einigen der vielen Artikel, die über diese Auseinandersetzung veröffentlicht wurden, wurde die Frage gestellt, wer für das Internet verantwortlich ist.
Auf der Netizens-Mailinglist stellte kürzlich ein Internetbenutzer mehrere Fragen
Was würde ein Netizen in diesem ganzen Kontext machen?
Erleidet ein Netizen durch einen potenziell hilfreichen Dienst einen Schaden?
Erleidet ein US-Netizen durch einen potenziell hilfreichen Dienst einen Schaden?
Ist ein Netizen deswegen erzürnt über die Auswirkungen der Kommerzialisierung des Internet, weil Privatinteressen (und nicht allgemeine Interessen) zur einer Destabilisierung der Funktionsweise des Internet führen?
Ein Netizen müsste ein greifbares Gegenargument dafür finden, warum diese bedrohlich ist, und dies so deutlich machen wie den Vorteil. Das kann gemacht werden, anstatt nur Vorsicht, Wolf!" zu rufen.
Verisigns eigenmächtige Aktion wurde von vielen Netizens mit Kommentaren und Online-Diskussionen in Mailinglisten, Websites und Usenet-Newsgroups aufgegriffen. Unter den vielen Gründen, mit denen Verisign verurteilt wurde, gab es einen Kommentar1 in einer Usenet-Newsgroup, der erklärte, warum die Umleitung von Internet-Anfragen auf den Sitefinder eine Verletzung des öffentlichen Charakters der Internetinfrastruktur darstellt:
Ob dies gesellschaftlich oder technisch irgendeine Auswirkung hat, sei dahingestellt. Was gibt Verisign die de facto Eigentümerschaft an allen Domainnamen, die noch nicht registriert wurden? Warum darf Verisign für seine eigenen lukrativen kommerziellen Zwecke die praktisch unendliche Domain der Domänen nutzen und alle anderen ausschließen? Warum hat sich niemand damit beschäftigt?
Ein darauf folgendes Posting2 beschreibt sarkastisch einige der Implikationen von Verisigns Vorgehen, alle nicht registrierten .net- und .com-Domainnamen in Privatbesitz zu nehmen.
Kannst du dir vorstellen, dass du eine neue Domain registrierst und dann ärgerliche Emails erhältst, in denen du beschimpft wirst, diese 'flotte Suchmaschine' gekapert zu haben, die immer zu deiner URL gekommen ist? Sie würden DICH beschuldigen, die Domain entführt zu haben!
Offensichtlich glaubt Verisign, dass sie für die Bereitstellung von Root-Servern für die zwei Top-Level-Domains, die sie zugesprochen bekommen haben, JEDEN denkbaren Second-Level-Domainnamen ausbeuten können, der noch nicht von jemandem registriert wurde. In anderen Worten: Wenn du einen Domainnamen (durch einen Registrar) registrierst, dann überführst du in Wirklichkeit den Namen aus der Kontrolle von Verisign in die deine. Der Unterschied ist, dass du bis in alle Ewigkeit dafür zahlen musst, Verisign aber erhält ihn kostenlos.
Dieses Posting macht deutlich, dass der Kern der Internetinfrastruktur ein allgemeines Gut ist. Sie gleicht anderen öffentlichen Einrichtungen wie der Wasser- oder die Stromversorgung. Solche Systeme sind wichtig für das Leben der Menschen. Sie müssen so verwaltet werden, dass die Verpflichtungen von öffentlichen Diensten eingehalten werden. Die Komponenten der allgemeinen Infrastruktur müssen geschützt werden, was herkömmlich von der Regierung erwartet wurde. Ohne verlässliche Verwaltung, die dem öffentlichen Charakter der Internetinfrastruktur verpflichtet ist, wird es ständig zu Konflikten kommen.
Ein zweiter Aspekt der Internetinfrastruktur besteht in ihrer internationalen Dimension. Keine einzelne Regierung kann ihren notwendigen Schutz gewährleisten. Eine internationale Kooperation ermöglichte es, das Internet zu schaffen, und nur eine internationale Kooperation wird die Breite und die globale Reichweite besitzen, die kontinuierliche Weiterentwicklung des Internet zu unterstützen.
Ein dritter Aspekt ist, dass die Internetinfrastruktur im Rahmen eines partizipatorischen Prozesses entwickelt wurde. Es gibt ein Internet. Die Architektur erfordert eine allgemeine Übereinstimmung der sich beteiligenden Netzwerke, um über die Grenzen der unterschiedlichen Formen der Technik, des Eigentums oder der politischen Kontrolle Kommunikation zu ermöglichen. Diese allgemeine Übereinstimmung hat sich in der Entwicklung und Übernahme des TCP/IP-Protokolls gespiegelt, das wiederum die Verschiedenartigkeit der Netzwerke, aus denen das Internet besteht, respektiert.
Einseitige Vorgehensweisen wie im Fall von Verisign verletzen diese grundlegenden Aspekte des Internet. Auf dem Höhepunkt der Aufregung, die durch den Sitefinder entstanden ist, nahm Verisign das Recht für sich in Anspruch, "Innovationen" in die Internetinfrastruktur einzuführen.
Wenn ein Unternehmen eine "Innovation" einführt, die anderen schadet, die Teil des Internet sind, was sollten dann die Geschädigten machen? Verisigns Anspruch verletzt nicht nur den öffentlichen und internationalen Charakter der Internetinfrastruktur, sondern auch das Prinzip, dass die Netzwerke und ihre Nutzer die Möglichkeit behalten sollten, selbst zu bestimmen, was in ihrem Interesse liegt. Verisign reißt dieses Recht an sich, das es ermöglicht hat, das Internet zu schaffen und verbreiten.
Internationale Kooperation
Weder ein einzelnes Unternehmen noch viele Unternehmen hätten das Internet schaffen können. Viele Privatunternehmen haben die Netzwerke geschaffen, von denen sie glaubten, dass jeder sie wünschen würde. Das waren proprietäre Netzwerke, die den Unternehmen dienten, die sie hergestellt haben. Das Internet hingegen wurde durch eine Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern geschaffen, die aufgrund ihrer Forschung in der Lage waren, die internationale Internetinfrastruktur zu entwickeln. Durch die Einbeziehung von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern bei der Entwicklung des TCP/IP-Protokolls wurde auch der die Einbeziehung des Feedback in den Entwicklungsprozess integriert. Der Vorteil war, dass aus einem großen Spektrum von Wissen und Ansichten Beiträge kamen. Aufgrund der breiten Interessenlage dieser Wissenschaftler konnten sie ein Internet schaffen, das auch für die Zwecke der Ausbildung, der Wirtschaft, der Regierung und von Bürgernetzen offen stand. Wenn ein Unternehmen versuchen will, das Internet in sein eigenes privates Netzwerk zu verwandeln, dann gefährdet es das Wesen des Internet als Metasystem verschiedenartiger Netzwerke.
Das Verisign-Problem macht wieder einmal die Notwendigkeit eines öffentlichen partizipatorischen Prozesses auf internationaler Ebene zur Bewahrung und Weiterentwicklung der Internetinfrastruktur deutlich. Glücklicherweise gibt es dafür ein Vorbild: eben der Prozess, wie das Internet geschaffen wurde.
Vor 30 Jahren, im September 1973, wurde auf einer Tagung an der University of Suffolk in Brighton, Großbritannien, von Robert Kahn und Vint Cerf das Papier A Protocol for Packet Network Intercommunication vorgestellt, in dem die Philosophie und die Architektur des TCO/IP-Protokolls ausgeführt wurde. Anwesend waren Wissenschaftler aus vielen Ländern. Es kann auf viele Weise für die Schaffung einer angemessenen Verwaltungsstruktur für das Internet hilfreich sein, wenn als Vorbild bekannter wird, wie das Internet entstanden ist (s.a. Der Geburtstag des Internet). Das Vorbild der Internetentwicklung ist ein Modell für ein System, das aus der Entwicklung des Internet selbst lernt und darauf aufbaut. Bis eine geeignete Verwaltungsstruktur für die Internetinfrastruktur eingerichtet wird, können die Netizens den kooperativen, partizipatorischen, öffentlichen und internationalen Prozess der Internetentwicklung nutzen, um wirksam ungeeignete Verwaltungsvorschläge wie Verisigns Sitefinder abzuweisen.