Wer ist für den Anschlag auf die Pipeline in der Ukraine verantwortlich?
Kiew und Russland schieben sich wechselseitig die Verantwortung zu, um den Konflikt anzuheizen, bei dem der Westen mitspielt
In der Nacht zum Montag sind die Verhandlungen Gazprom-Chef Alexej Miller und dem ukrainischen Regierungschef Arseni Jazenjuk unter Vermittlung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger über den Preis für Gaslieferungen an die Ukraine gescheitert. Am Morgen war eine von Gazprom gesetzte Frist abgelaufen. Gazprom will nun nur noch gegen Vorkasse liefern und fordert 4,5 Milliarden US-Dollar Schulden von der Ukraine. Die ukrainische Regierung hat ihrerseits bei der internationalen Schiedsstelle für Handelsstreitigkeiten in Stockholm eine Rückzahlung von 6 Milliarden US-Dollar von Gazprom gefordert, weil der russische Konzern einen zu hohen Preis verlangt habe.
Während die Gaslieferungen nach Europa über die Pipelines in der Ukraine noch betroffen sein sollen, wird erst einmal kein Gas mehr in die Ukraine geliefert. Die Regierung gibt sich gelassen und meint, es sei schließlich Sommer und die Lager seien gut gefüllt. Man habe 14 Milliarden Kubikmeter Gas in den unterirdischen Depots gespeichert. Seit 2009 habe die Ukraine für Gaslieferungen 50 Milliarden US-Dollar bezahlt, wenn man Zahlungen von Naftogaz und der Wirtschaft einbezieht, erklärte gestern Jazenzuk. Und man werde das, was zu viel bezahlt wurde, zurückfordern.: "All diese Märchen von unseren russischen Nachbarn, dass sie uns helfen, sind von der Wahrheit weit entfernt."
Aus russischer Sicht heißt es bei Ria Novosti, dass Gazprom schon am 3. Juni auf das Vorkasseverfahren umsteigen wollte, aber die Zahlungsfrist für die Schulden wegen der Gespräche dreimal verlängert habe: "Die Ukraine füllte unterdessen ihre Speicher verstärkt mit dem russischen Erdgas auf, ohne dafür zu zahlen." Bei ähnlich gelagerten Streitereien über den Gaspreis hatte sich die Ukraine, nachdem Gazprom die Lieferungen beendete, 2009 aus den Pipelines bedient, die Gas nach Europa liefern. Das war damals allerdings im Winter, aber jetzt dürfte die Ukraine wohl dieses Mal nicht zu solchen Mitteln greifen, auch wenn womöglich Russland dies suggeriert, da mit der EU vereinbart wurde, eventuell Gas auch aus russischen Lieferungen von der EU wieder in die Ukraine zurückzuleiten.
Nach einem Vertrag, den Tymoschenko nach dem "Gaskrieg" ausgehandelt hatte, musste die Ukraine 485 Dollar für 1.000 Kubikmeter Gas bezahlen. Das war deutlich über den normalen Preisen, wegen dieser Überbezahlung musste Tymoschenko denn auch ins Gefängnis, während Janukowitsch einen neuen Deal schloss und u.a. für einen langfristigen Vertrag über den russischen Marinestützpunkt auf der Krim einen Bonus von 268,50 US-Dollar. Nach dem Sturz der Janukowitsch-Regierung verlangte Gazprom wieder den überzogenen Preis, bot aber dann einen einigermaßen realistischen Preis von 385 US-Dollar an, den wiederum Kiew ablehnte und nur den Billigpreis von 268 US-Dollar zu zahlen bereit war. Kiew zockt hier also durchaus mit, um den Konflikt zuzuspitzen, und macht Russland für das Scheitern der Verhandlungen, verantwortlich. Man sei jetzt bereit gewesen, zwischen 300 und 385 US-Dollar zu zahlen. Russland wolle damit die Unabhängigkeit der Ukraine zerstören, während Terroristen in der Ostukraine finanziert und Terroristen und Waffen in die Ukraine gebracht würden. Das ukrainische Außenministerium drängt darauf, dass eine weitere Stufe von Sanktionen gegen Russland verhängt wird, da von Russland kein Einlenken erwartet werden könne. Der russische Staat hält zwar mit 50,002 Prozent eine knappe Mehrheit an Gazprom, fast 30 Prozent gehören der Bank of New York Mellon und 23 Prozent anderen Shareholdern.
Prompt gab es gestern um 14 Uhr Ortszeit eine Explosion an der Transsibirischen- oder Urengoi-Pomary-Uschgorod-Pipeline in der Nähe der Stadt Lochwiza, 200 Kilometer westlich von Charkow. Das ist eine wichtige Pipeline, durch die Gas durch die Ukraine in die Slowakei und weitere EU-Länder transportiert wird und die von Naftogaz betrieben wird. Die Flammen sollen nach Zeugenberichten bis zu 200 Meter hoch gewesen sein. Vor der Explosion sei es zu einem plötzlichen Druckabfall gekommen. Die ukrainischen Behörden vermuten Sabotage.
Das ukrainische Innenministerium geht von einem Terroranschlag aus. Zeugen hätten vor der großen Explosion zwei Knalle gehört. Vor der Präsidentschaftswahl habe man bereits Anschläge auf Pipelines verhindert. Nach Regierungschef Jazenjuk wollten die Täter damit die ukrainischen Pipelines in Misskredit bringen, die Gaslieferungen in die EU unterbrechen und die geplante Pipeline "South Stream", die Gas von Russland durch das Schwarze Meer unter Umgehung der Ukraine nach Bulgarien und in die EU bringen soll, propagieren. Die EU hat kürzlich den Bau dieser Pipeline abgebrochen, offenbar aber laufen gerade Verhandlungen zwischen Gazprom und Serbien. Der Verweis auf Russland bzw. auf prorussische Separatisten wurde aber nicht weiter belegt. Erklärt wurde, dass die Beschädigung der Pipeline keine Auswirkung auf die Gaslieferungen in die EU habe, es werde eine Reservelietung benutzt.
Auf russischer Seite werden ebenfalls die üblichen Verdächtigen ins Spiel gebracht. Der Rechte Sektor habe schon im März mit Anschlägen auf Pipelines gedroht, um Russland zu schädigen, das von den Gas- und Ölexporten in die EU abhänge.
Derweilen gehen die Kämpfe in der Ostukraine weiter. Es gab Tote und Verletzte bei Separatisten und beim Militär und den ukrainischen Milizen. Angeblich wurde ein weiteres Flugzeug abgeschossen. Zwei russische Journalisten wurden in Lugansk durch Granaten der ukrainischen Kräfte getötet. Der ehemalige russische Geheimdienstmitarbeiter Igor Strelkov, "Kommandeur" der Donbass-Miliz, beschwört das Ende des Aufstands. Die Separatisten würden von den Regierungskräften innerhalb eines Monats besiegt werden, die mit Luftwaffe und Hunderten von Panzern gegen drei Panzer keine Chancen hätten: "Das ist kein Kampf von David gegen Goliath, sondern von einer Ameise gegen einen Elefanten." Allerdings wäre ein militärischer Sieg noch lange keine Lösung des Konflikts, schreibt die Moscow Times. Das Misstrauen und der Hass seien zu hoch, um einfach zu verschwinden. Es müsse auf die Bevölkerung in Donezk und Lugansk zugegangen und eine Versöhnung eingeleitet werden. Wie die aussehen könnte, bleibt angesichts der Propaganda auf beiden Seiten und der mobilisierten Militanten fraglich, die sich nicht ohne weiteres wieder einfangen lassen.
Nach dem Energieministerium sind durch die Explosion 10 Millionen Kubikmeter Gas verloren gegangen. Man geht heute von einem Akt des Terrorismus aus. Es sei kein Zufall, dass die Explosion zeitlich mit dem Stopp der Gaslieferungen an die Ukraine zusammengefallen ist.