Wer lang studiert, lebt auch länger

In den USA werden die Unterschiede im Hinblick auf die Mortalität zwischen den Menschen mit längerer und kürzerer Ausbildung immer größer, wie eine Studie deutlich macht

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Bekannt ist schon lange, dass Bildung offensichtlich die Lebenserwartung verlängert, teils um einige Jahre. Aber man kann bislang nur darüber spekulieren, welche Gründe es für die lebensverlängernde Wirkung der Bildung geben könnte. Wissenschaftler aus dem Department of Health and Behavioral Sciences an der University of Colorado Denver unter der Leitung von Richard Miech glauben, nun einige Hinweise dafür gefunden zu haben.

Ungleichheit trägt in den USA wesentlich zu unterschiedlichen Todesraten bei, schreiben die Autoren in ihrer Studie, die in der Zeitschrift American Sociological Review erschienen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Erwachsene, die keinen High-School-Abschluss haben, sterben, war 2007 immerhin um das Zweieinhalbfache höher als bei Menschen mit besserer Ausbildung. Für die Studie haben die Wissenschaftler für die Zeit von 1999 bis 2007 untersucht, welche Unterschiede die Ausbildung während dieser Zeit für die Mortalität der Menschen in den USA im Alter zwischen 40 und 64 Jahre hatte. Berücksichtigt wurden 85 häufiger vorkommende Todesursachen. Für jede von diesen wurde geprüft, ob die Bildungsunterschiede in dieser Zeit zu- oder abgenommen haben.

Mit den Daten der US-Statistikbehörde ergibt sich in der Zeit zwischen 1989 und 2007 ein klarer Trend. Die schon 1989 vorhandenen bildungsbedingten Unterschiede in der Mortalität bei den 40-64-Jährigen verstärken sich deutlich im Lauf der Zeit. Auch eine kürzlich veröffentlichte soziologische Studie hat auf die wachsende Kluft in den USA aufmerksam gemacht, die vor allem die nach 1980 Geborenen betrifft und mit der ebenfalls aufgehenden Einkommenskluft parallel geht. Während die Sterblichkeit im Durchschnitt und noch deutlicher bei den Menschen mit mehr als 13 Jahren Ausbildung sinkt, steigt sie bei den Menschen mit weniger als 12 Jahren Schulausbildung erheblich an, bei den Menschen mit 12 Jahren Ausbildung bleibt sie etwa konstant, sinkt aber nicht. Das trifft in etwa bei weißen und schwarzen Frauen und Männern zu, bei den Menschen lateinamerikanischer Abstammung sind die Unterschiede nicht so deutlich und folgt der Trend in etwa dem Durchschnitt, die Todesraten gehen also leicht in allen Bildungsschichten zurück. Zwischen den Bevölkerungsgruppen gibt es große Unterschiede hinsichtlich der zunehmenden oder abnehmenden Mortalität der einzelnen Todesursachen.

Menschen mit geringerem Bildungsstand scheinen auf neue Todesursachen deutlich langsamer zu reagieren, was etwa heißt, dass sie keine Prävention betreiben. Offenbar reichen die Aufklärungskampagnen für diese Schicht nicht aus, kommen nicht an oder berücksichtigen nicht ausreichend neue Todesursachen. Bei fast allen Todesarten, die ansteigen, wird der Anstieg vor allem durch die Mortalität der Menschen mit geringer Bildung bewirkt. Ließe man die seit 1999 ebenfalls zunehmende Ungleichheit in der Bildung unberücksichtigt, so würden die Mortalitätsunterschiede zwischen weniger und besser Gebildeten um 25 Prozent niedriger liegen. Zwar haben sich die Todesursachen gegenüber früheren Zeiten verändert, aber nicht die unterschiedlichen Todesraten. Sind die Menschen früher vor allem an Tuberkulose, Durchfall und Lungenentzündungen gestorben, so sterben sie jetzt an Herzkrankheiten, Krebs oder Infarkten. Deutlich angestiegen ist der Tod durch unbeabsichtigte Vergiftung mittels Medikamenten, die nun zu den drei größten Todesursachen zählt, bei den weißen Frauen und Männer in der Altersgruppe ist es bereits die häufigste Todesursache. Die Autoren führen dies u.a. auf die Zugänglichkeit von nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten zurück.

Im Vergleich mit anderen Faktoren wie Beschäftigung oder Einkommen hat der Bildungsstand den größten direkten Einfluss auf die Mortalität, indirekt gibt es aber zahlreiche, mit der Bildung verbundene Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen können. Besser Gebildete sind im Durchschnitt weniger arbeitslos, haben eher Vollzeitarbeitsplätze, sie verdienen mehr, haben höher gestellt Jobs und Aufstiegschancen, sind wohlhabender, haben mehr soziale Verbindungen und verhalten sich gesünder. Aber natürlich können viele Faktoren, inklusive Krankenversicherung oder nicht, zusammenspielen, um den Effekt zu ergeben, dass höhere Bildung gegenüber den Menschen, mit geringer Bildung, die Lebenserwartung erhöht. Vielleicht müsste es aber auch eher umgekehrt heißen: Geringe Bildung verringert die Lebenserwartung. Um die Kluft zu schließen, müsste der Staat vor allem bei den ärmeren Schichten die Bildungschancen deutlich erhöhen, was Geld kostet, das von den Reicheren erhoben werden müsste. Aber das dürfte in den USA und überall dort, wo die neoliberale Ideologie des freien Marktes und des kleinen Staats vorherrscht, keine Chancen haben.