Wer wie Bin Laden als digitaler Eremit lebt, macht sich verdächtig

Telefone und Medien haben in Bin Ladens Leben nicht nur für kommunikative und propagandistische Zwecke eine wichtige Rolle gespielt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie die US-Medien berichten, hatte sich Osama bin Laden es sich in einem größeren Anwesen nicht weit von der pakistanischen Hauptstadt niedergelassen und dabei auf Telefon- und Internetanschluss verzichtet, um nicht entdeckt zu werden. Das war möglicherweise schon erst einmal richtig gedacht, aber auch in Pakistan ist es ungewöhnlich, wenn die Bewohner eines offensichtlich nicht heruntergekommenen größeren Anwesens weder über Telefon noch über Internet verfügen.

Dass der angebliche Chef der weltweit dezentral agierenden und über das Internet kommunizierende sowie ihre Propaganda verbreitende Terrororganisation al-Qaida weder über ein Telefon noch über einen Internetzugang verfügte, ist schon ein interessanter Aspekt des Falls (sofern sich die Identität des schnell ins Meer gekippten Mannes als Osama bin Laden wirklich bestätigen lässt). Wer als digitaler Eremit lebt, macht sich verdächtig, etwas zu verbergen zu haben. Das ist vermutlich weitaus verdächtiger, als sich hinter hohen Mauern zurückzuziehen, schließlich ist dies der Lebensstil der Reichen und der Menschen, die in allen Arten von gated communities leben.

Vermutet worden war lange Zeit, dass der nur noch als symbolischer Kopf von al-Qaida fungierende Mann eher in der Nähe der Grenze zu Afghanistan, also in den Stammesgebieten, ein Versteck gesucht hatte (US-Geografen wollen den Aufenthaltsort von Bin Laden gefunden haben). Dort wäre er freilich auch schneller von den zahllosen US-Drohnen aufgespürt worden, weswegen für ihn – möglicherweise auch für Sawahiri – ein Versteck mitten in Pakistan sicherer war.

Osama bin Laden hatte seine Lehre gezogen, als er 1998 nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia beinahe von einer amerikanischen Tomahawk-Rakete in einem afghanischen Lager getroffen worden wäre (Die USA schlagen zurück - Wag the Dog?). Die Amerikaner sollen das Signal eines von bin Laden benutzten Satellitentelefon entdeckt und anvisiert haben.

Auch nach den Erfahrungen in Tora Bora bei Bin Ladens Flucht aus Afghanistan soll ein Satellitentelefon eine Rolle gespielt haben. Angeblich hätten US-Geheimdienste ein Telefongespräch bin Ladens abgehört und deswegen geglaubt haben, dass er noch bis 10. Dezember in dem Höhlensystem von Tora Bora gewesen sei. Das könnte auch ein Trick gewesen sein, denn Bin Laden soll schon Ende November mit der Hilfe der von ihm bezahlten Kämpfern der Nordallianz, die eigentlich im Dienst der USA standen, nach Pakistan geflohen sein. Und es gibt noch eine Geschichte: Angeblich hat Abdallah Tabarek, einer der damaligen Fahrer und Leibwächter Bin Ladens, seinen Chef gedeckt, indem er dessen Satellitentelefon in Tora Bora übernommen und damit viel telefoniert hatte. In der Zeit sei sein Chef geflohen, während die Amerikaner ihn schließlich gefangen nahmen und nach einem Umweg über Marokko nach Guantanamo brachten, wo er 2004 entlassen wurde (Bin Ladin und das Satellitentelefon)

Das Killerkommando aus Spezialeinheiten der US-Marine, die bin Ladens mit einer 6 (CNN) oder 4 (NYT) Meter hohen Mauer umgebene und auch ansonsten abgesicherte Wohnanlage in der Nähe einer Kaserne und einer Militärakademie (oder in deren Schutz?) in der pakistanischen Provinzstadt Abbottabad (100.000 Einwohner) nördlich der Hauptstadt Islamabad mit Hubschraubern gestürmt haben, sollen 40 Minuten gekämpft haben. Dabei waren auch zwei Explosionen zu hören, ein Gebäude soll gebrannt haben. Zu vermuten ist, dass auch gar nicht die Absicht bestanden hatte, Osama bin Laden lebend festzunehmen. Dass er durch einen Kopfschuss ums Leben gekommen sein soll, würde auch dafür sprechen, dass man die juristischen Probleme vermeiden wollte, die durch seine Gefangenschaft entstanden wären. Zudem hätte das auch sein angeschlagenes Ansehen unter Islamisten wieder fördern können. Offenbar war sein Anwesen aber auch nicht sonderlich gut durch Sicherheitskräfte geschützt. Nach Medienberichten sind neben Bin Laden und einer Frau nur noch zwei Männer, die als Boten bezeichnet werden, und ein Sohn von ihm getötet worden.

Dass pakistanische Soldaten beteiligt waren, ist unwahrscheinlich. Während die US-Regierung die angeblich enge Zusammenarbeit betont, ist man in Pakistan zurückhaltender und spricht davon, dass die Operation in Übereinstimmung mit der "erklärten US-Politik" erfolgt sei. Die Taliban in Pakistan haben schon einmal Anschläge gegen die pakistanische Regierung angedroht, als zweites Ziel nannten sie erst die USA.