Die USA schlagen zurück - Wag the Dog?
Politik in der Mediengesellschaft
Krieg der Zukunft. Die Amerikaner entdecken eine neue Bedrohung.
Angeblich unterstützen 70 Prozent der Amerikaner den mit über 70 Tomahwaks ausgeführten Vergeltungsschlag des US-Militärs gegen Ziele in Afghanistan und Sudan, um vermeintliche Stützpunkte des Netzwerks einer "Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Kampf gegen Juden und Christen" zu zerstören, das der saudi-arabische Multimillionär Osama Bin Laden im Kampf gegen das Böse aufgebaut hat, der nach Erkenntnissen des amerikanischen Geheimdienstes hinter den Bombenanschlägen in Tansania und Kenia steht.
Daß Clinton den Vergeltungsschlag mit der Ankündigung eines langen Kampfes gegen den Terrorismus kurz nach seiner Demütigung im noch immer nicht ausgestandenen Lewinsky-Fall ausgeführt hat, ließ selbstverständlich Vermutungen aufkommen, er wolle seine persönlichen Schwierigkeiten damit vergessen lassen. Das ist, obzwar es teilweise gelungen ist, ein wenig absurd, denn es war klar, daß die USA, Lewinsky und die sexuellen Vorlieben des Präsidenten hin oder her, auf die schrecklichen Bombenschläge in irgendeiner Form antworten mußten. Als Weltmacht will man sich nicht ans Bein pinkeln lassen und gibt sich stark. Das hat wahrscheinlich weniger mit der Psyche des jeweiligen Präsidenten zu tun, sondern mit der Psychologie einer Supermacht, die nach dem Zerfall der Sowjetunion ohne einen gleichgewichtigen gegnerischen Staat da steht.
Das ist leider der Krieg der Zukunft. Was wir wirklich jetzt begreifen müssen, ist, daß die terroristische Bedrohung langfristig und global ist, und daß wir zusammen mit anderen zivilisierten Staaten in der Welt uns dauerhaft mit einer zunehmenden terroristischen Bedrohung umgehen müssen.
Die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright
Seit dem Kalten Krieg beschwören die USA die Gefahr des internationalen Terrorismus, des Cyberkrieges und von Anschlägen mit biologischen und chemischen Waffen (Die Cybergrenzen in Gefahr, Irak, biologische Waffen und der neue Krieg, Angst vor der Zukunft). Der Irak als Reich des Bösen konnte den ehemaligen Superfeind UdSSR nicht wirklich ersetzen, aber er ließ immerhin die Bedrohung durch neue Waffen gewahr werden. Doch gegen Terrorgruppen, die mit dem Einsatz ihres eigenen Lebens im Heiligen Krieg Anschläge durchführen, ist die staatliche Macht relativ hilflos. In vielen moslemischen Staaten gibt es Millionen von Jugendlichen und jungen Männern, die arbeitslos und abenteuerlustig sind, in einer sich verändernden Kultur leben, gerne mit Waffen spielen und wenigstens als Gewalttäter oder Märtyrer auf sich aufmerksam machen wollen. Ein äußerer Feind kann diese verzweifelten und hoffnungslosen Menschen immerhin zusammenhalten und eine gemeinsame Identität schaffen. Eine alte Strategie, die zumindest bei den Verlierern stets funktioniert. (Siehe auch: Menschheit ohne Raum? Völkermordforscher Hartmut Diessenbacher über die Kriege der Zukunft.)
The spirit of power, dignity and confidence has grown in our sons and brothers for this religion and the power of God, Praise and Glory be to Him. And it has become apparent even to the Islamic movement that there is no choice but return to the original spring, to this religion, to God's Book, Praise and Glory be to Him, and to the sunna of His Prophet, Peace be upon him, as understood by our predecessors, may God be pleased with them. Of this, the acme of this religion is jihad.
Osama bin Laden in einem Interview mit CNN vom Mai 1997
Die Kriegserklärung von bin Laden
Der "Sinn" von Terroranschlägen gegen die symbolischen Stellvertreter und Standorte der Supermacht im Heiligen Krieg der Fundamentalisten ist natürlich gerade, die Spannung anzuheizen und einen Gegenschlag zu provozieren. Werden die Terroristen und vor allem ihr Anführer nicht schnell und gezielt ausgeschaltet, können sie aber zunächst nur gewinnen. Sie zeigen, daß der Feind nicht allmächtig, sondern verwundbar ist. Man müßte also tatsächlich einen "Rambo" ins wilde Afghanistan schicken, um den auch von den USA in Zeiten des Kalten Krieges herangezogenen bin Laden herauszuholen und vor ein Gericht zu stellen. Der Kampf der Kulturen, den sich bin Laden auf die Fahnen geheftet hat, kann beginnen: "Der Kampf hat noch nicht einmal begonnen", soll er gesagt haben - und auch die USA drohen mit weiteren Schlägen. Ein Vergeltungsschlag legitimiert dann weitere, um sich gegen den Angreifer zu wehren, denn das Abschießen von Raketen auf vermeintliche terroristische Stützpunkte und überdies auf eine Industrieanlage, von der man nicht weiß, was in ihr wirklich hergestellt wurde, mag zwar eine verständliche Reaktion und sogar gedeckt vom Völkerrecht im Sinne einer bewaffneten Selbstverteidigung sein, ist aber ohne jede Billigung der Weltgemeinschaft ebenso bedenklich wie die Anschläge, auf die sie antwortet. Es ist ja noch nicht einmal klar, daß bin Laden überhaupt hinter den Anschlägen von Kenia und Tansania steht.
We declared jihad against the US government, because the US government is unjust, criminal and tyrannical. It has committed acts that are extremely unjust, hideous and criminal whether directly or through its support of the Israeli occupation of the Prophet's Night Travel Land (Palestine). And we believe the US is directly responsible for those who were killed in Palestine, Lebanon and Iraq ... In our religion, it is not permissible for any non-Muslim to stay in our country. Therefore, even though American civilians are not targeted in our plan, they must leave. We do not guarantee their safety, because we are in a society of more than a billion Muslims.
Osama bin Laden in einem Interview mit CNN vom Mai 1997
Begründet wurde der Schlag von der amerikanischen Regierung nur immer mit denselben Worten, die man glauben kann oder auch nicht. So heißt es beispielsweise im Fact Sheet des Coordinator for Counterterrorism, daß die drei bombardierten Trainingslager in Khost von zahlreichen Gruppen benutzt würden, die mit dem bin Laden Netzwerk verbunden seien, und daß die USA über "verläßliche Informationen" verfügen, daß das bin Laden Netzwerk "aktiv nach dem Erwerb von Massenvernichtungswaffen, darunter auch chemischen Waffen, für den Einsatz gegen die USA" suchen würde. (Inzwischen wurden beide Fact-Sheets offenbar vom Server entfernt, F.R. 27.8.)Weil bin Laden Beziehungen zur Regierung und zur Industrie Sudans habe, wurde die staatseigene Fabrik in Khartum zerstört, von der man glaube, sie sei an der Produktion von chemischen Agenten für Waffen beteiligt. Warum werden die angeblich vorhandenen Nachweise aber nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt, was den Handlungen der amerikanischen Regierung jedenfalls eine größere Berechtigung verleihen würde. So richten sich die Angriffe gegen eine Gruppe, die sich nach dem Coordinator for Counterterrorism das Ziel gesetzt habe, mit Terroranschlägen den Westen und Regierungen wie die von Ägypten oder Saudi-Arabien zu bekämpfen und einen Kampf der Kulturen zu provozieren, um eine länderübergreifende islamische Nation - frei von Fremden und inneren Grenzen - herzustellen.
Für die arabischen Führer ist die Personalisierung der Politik, wie sie in den USA mit der Offenlegung von Clintons Sexualleben stattgefunden hat, jedenfalls ein gefundenes Fressen. Hat Clinton nicht schon bei seiner Affaire die Unwahrheit gesagt? Das belastet Clinton auch innenpolitisch, selbst wenn die meisten Amerikaner angeblich müde von Lewinsky und Starr sind, dem Präsidenten sein sexuelles Eigenleben lassen wollen und eine Beendigung dieser kleinlichen Verfolgung wünschen. Aber die Lewinsky-Affaire als Höhepunkt der Personalisierung der Politik ist ja nur eine Facette der unmittelbaren Demokratie, in der Politik gemäß den Meinungsumfragen vollzogen wird. Besonders im dafür gut geeigneten Internet wird man stets zu dieser Art direkter Demokratie aufgefordert. Aber Ja oder Nein sind meist nicht ausreichend, wenn es um einigermaßen komplexe Sachverhalte geht. Meinungsumfragen jeder Art sind das Äquivalent zu den Quoten. Sie lösen den Zusammenhang der Politik in einzelne Fragmente auf, deren Popularität blitzartig getestet wird. Das ist vermutlich ein weitaus gefährlicherer Prozeß der Anpassung an Stimmungsschwankungen als jedwede Art von persönlichem Fehltritt einzelner Politiker. Selbst wenn die Meinungsumfragen wieder "repräsentativ" wie die Demokratie sind, führen sie eine Form der direkten Demokratie ein und mindern eine langfristige politische Praxis.
Daß die Personalisierung wie in den USA, aber auch bereits hierzulande im Wahlkampf der Personen zu erkennen, dann ein Übergewicht erhält, ist einsichtig, denn die Politiker vertreten immer weniger eine politische Identität, sondern müssen zu Chamäleons werden, die sich nach den kurzfristigen Wetterberichten der Umfragen richten. Und weil die Terroranschläge von Kenia und Tansania noch frisch im Bewußtsein der mit einem Kurzzeitgedächtnis versehenen Mitglieder der Mediengesellschaft waren, die nach schnell wechselnden, die Aufmerksamkeit weckenden Informationen gieren, während die Medien in der Ökonomie der Aufmerksamkeit dieses Bedürfnis bedienen, mußte auch der Vergeltungsschlag möglichst schnell und spektakulär geführt werden. Eingespannt in den immer schneller erfolgenden Reiz-Reaktions-Mechanismus, sind die Ergebnisse denn auch höchstens symbolisch, während eine längere Vorbereitung womöglich effektiver gewesen wäre, um dem Netzwerk und bin Laden wirklich zu schaden. Der Nachweis ihrer tatsächlichen Urheberschaft wäre zumindest auch ein Schlag gegen die Terroristen gewesen. Aber dazu hatte man keine Zeit.
Mit dem Gegenschlag, der geführt wurde, ohne der Öffentlichkeit zumindest eine nachvollziehbare Beweisführung über die Anklage zu geben, daß man damit den Verantwortlichen für die Terroranschläge trifft, lieferte man geradezu die Legitimation für einen erneuten Gegenschlag. Die Eskalation ist vorprogrammiert, denn alle Beteiligten, die sich auf die Bühne begeben, werden darin verwickelt und sind zu bezichtigen, daß nun der Hund mit dem Schwanz wedelt, weil stets gesagt werden kann, daß diese oder jene Aktion aufgrund anderer Schwierigkeiten ausgeführt wird. Und ist Krieg nicht auch immer ein Versuch, die nationale Einheit gegenüber einem äußeren Feind herzustellen? Solange diese Feinde der nicht vorhandenen Weltgemeinschaft fehlen, weil die Aliens auf sich warten lassen, sind gewalttätige Auseinandersetzungen, die gegenwärtig überall aufbrodeln, wahrscheinlich nicht zu vermeiden.