Krieg der Zukunft
Die USA "entdecken" eine neue Bedrohung
Die USA schlagen zurück. Politik in der Mediengesellschaft
Wenn nicht alles trügt, haben die USA mit der Bombardierung der terroristischen Stützpunkte in Afghanistan und der Fabrik im Sudan, die angeblich Bestandteile für chemische Waffen herstellt und irgendwie mit Osama bin Laden - dem neuen Helden der radikalen Moslems und für Clinton der "vielleicht größte Organisator und Finanzier des internationalen Terrorismus in der heutigen Welt" - verbunden sein soll, für sich selbst ein neues Zeitalter aktiv eingeleitet.
Die Außenministerin Madeleine Albright sprach vom "Krieg der Zukunft" und von einem "langen Kampf gegen Terroristen, die den USA den Krieg erklärt haben", Thomas Pickering vom Außenministerium von "einem Bösen, das gegen die USA gerichtet ist und weiterhin bestehen wird. Damit sind wir noch lange beschäftigt." Bill Clinton kündigte an, daß dies nicht einzigen Schläge gegen den Terrorismus gewesen seien, und James Foley, ein Sprecher des Außenministeriums, verkündete: "Wir befinden uns tatsächlich in einem neuen Zeitalter. Es ist zwingend, daß das amerikanische Volk dies versteht und sich darauf vorbereitet, sich dieser Art von Bedrohung bis ins 21. Jahrhundert solange zu stellen, wie es notwendig ist." Und die New York Times stimmt in einem Artikel mit der Überschrift "Im 'Krieg der Zukunft' waren die US-amerikanischen Luftangriffe nur ein Vorgeplänkel" in den Tenor der Regierung ein.
Man hat fast den Eindruck, daß die amerikanische Regierung und die amerikanischen Sicherheitskräfte diesen neuen Krieg beschwören wollen. Durch den Abschuß der Tomahawk-Geschoße wurde zumindest ein Faktum gesetzt, daß den Kampf der Kulturen, den Samuel Huntington, ein Berater des amerikanischen Außenministeriums, wortstark als Folge nach dem Kalten Krieg umrissen hat, in Gang setzen kann. Spricht Clinton vom Kampf zwischen "Freiheit und Fanatismus", so der jetzt nach Saddam Hussein ausgemachte Feind bin Laden vom Kampf zwischen Mohammedanern und Christen, Juden oder allen Ungläubigen. Der Westen gegen den Osten, aber nicht mehr einen wesentlich staatlich organisierten, hochgerüsteten und ideologischen Osten, sondern gegen radikale, lose verbundene, zu allem entschlossene Moslemgruppen, die einen religiösen Kampf ausfechten und auch gegen die Staaten in ihrem eigenen Glaubensbereich vorgehen wollen, um so etwas wie ein alle Mohammedaner umfassendes Territorium mit einem religiösen Regime zu schaffen, aus dem alle Fremden und alles Fremde vertrieben werden soll. Ist das die Politik im Zeitalter der Globalisierung?
Der Feind existiert zweifellos, auch wenn noch immer nicht geklärt ist, ob die Anschläge in Kenia und Tansania tatsächlich auf bin Laden und sein Netzwerk zurückzuführen sind. Doch die Bedrohung ist bislang für die Amerikaner nicht sehr groß gewesen. Seit dem Ende des Kalten Krieges, also seit 1989, wurden insgesamt 98 Amerikaner durch Anschläge von ausländischen Terroristen getötet. Die New York Times bemerkt dazu süffisant, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Amerikaner von einem Blitz getötet zu werden, wesentlich höher sei. Für die amerikanische Regierung und ihre Sicherheitskräfte, die seit dem Kalten Krieg nach einem neuen Feind suchen und schon seit längerem die Gefahr des internationalen Terrorismus, des Cyberterrorismus und von Anschlägen mit elektronischen, biologischen und chemischen Waffen beschwören, scheint der neue, hinter Hussein auftauchende und durch die Vergeltungsschläge jetzt weltweit bekannt gewordene bin Laden diese neue Gefahr zu personalisieren.
Wenn man neben den Lagern in Afghanistan gleichzeitig die Fabrik im Sudan bombardiert hat, so ist das Zeichen dafür, daß man die Kampagne über den Krieg mit den neuen Massenvernichtungswaffen der "kleinen Leute" mit der Mobilisierung gegen die Terroristen, die noch mit Sprengstoff arbeiten, enger verknüpfen will. Das drängt sich vor allem deswegen auf, weil die Begründung des Zusammenhangs der pharmazeutischen Fabrik mit bin Laden und überhaupt die Unterstellung, dort würden chemische Waffen hergestellt, bislang besonders fadenscheinig sind. Vielleicht wollte man auch nur einen kleinen Hieb gegen den früheren Erzfeind Hussein austeilen, obgleich die Sanktionen gegen den Irak gerade wieder verlängert wurden. Schließlich kursierten während der letzten Irak-Krise auch die Gerüchte, der amerikanische Geheimdienst habe Indizien dafür, daß der Irak chemische Waffen im Sudan versteckt habe oder dort produziere. Die Armee und die Sicherheitskräfte rüsten jedenfalls nicht mehr nur gegen einen anderen staatlichen Feind auf, jetzt geht es darum, die Geheimdienste auszubauen und die gesamte Infrastruktur und die Menschen in den USA und anderswo zu schützen. Eine erste "Mobilmachung" dieser Art erfolgte nach den Luftangriffen, weil man von Gegenangriffen des schwer ausmachbaren Feindes ausgeht, der überall zuschlagen und alles treffen kann.
Vernichtet ihre Wirtschaftssysteme, verbrennt ihre Fabriken, zerstört ihr Vermögen, versenkt ihre Schiffe, schießt ihre Flugzeuge ab und tötet sie auf dem Boden, in der Luft, auf dem Wasser und überall, wo ihr auf sie trefft. Tötet alle diese Ungläubigen, wo immer ihr sie findet. Ihr tötet sie, und Allah wird sie durch eure Hände strafen.
Scheich Omar Abdel Rahman
Bin Ladens Netzwerk scheint nicht nur Terrorgruppen der islamischen Welt wie al-Jihad al-Islamiya (verantwortlich für die Ermordung Sadats), al Gamaa al-Islamiya (angeblich verantwortlich für den gescheiterten Anschlag auf Mubarak und die Tötung der Touristen in Luxor) oder die Söhne von Scheich Omar Abdel Rahman, der in einem New Yorker Gefängnis wegen seiner möglichen Beteiligung am Bombenanschlag auf das World Trade Center sitzt, zu verbinden und aus der Zeit des Kampfes gegen die Sowjetunion einige Tausend Kämpfer aufweisen zu können, die sich todesmutig überallhin schicken lassen. Das Netzwerk kooperierender Gruppen scheint auch die Zeit des durch Staaten geförderten Terrorismus beendet zu haben, auch wenn bin Laden in dem von den Taliban beherrschten Afghanistan Unterschlupf gefunden hat. Nach dem Anschlag haben die Taliban versichert, daß bin Laden ihr geehrter Gast und Clinton ein Gangster sei, doch wurde etwa von der New York Times berichtet, daß die Taliban noch eine Woche vor dem Luftangriff bereit gewesen seien, mit den Amerikanern über bin Laden zu verhandeln, wenn diese stichhaltige Beweise über seine Beteiligung an terroristischen Anschlägen vorlegen würden.
Der Angriff hat dieses Angebot wahrscheinlich für lange Zeit zunichte gemacht, auch wenn ein Sprecher der Taliban in einem Interview mit BBC sagte, man habe bin Laden gerügt, er sei nur Gast und in Afghanistan könne es keine zwei Mächte geben. Gleichwohl wäre der nicht unternommene Versuch einer diplomatischen Lösung mit Afghanistan ein Indiz dafür, daß der amerikanischen Regierung der Eintritt in den "neuen Krieg" nicht unwillkommen kommt, um als Weltsheriff im Selbstauftrag zu agieren. Und auch Louis Freeh, Direktor des FBI, kehrte vor dem Angriff aus Afrika in die USA zurück und sagte, es gäbe keine endgültigen Hinweise darauf, wer für die Anschläge verantwortlich sei. Trotzdem schlug man mit angeblich "überwältigenden", aber weiterhin unter Verschluß gehaltenen Beweisen auf bin Ladens Urheberschaft los.
Aber solche auf Orte ausgerichteten Attacken aus der Ferne mit den neuesten Waffen können den Feind des "neuen Krieges" nicht wirklich treffen, auch wenn Verteidigungsminister Cohen sie als die Form charakterisierte, wie man gegen die "Kräfte des Terrors" auch weiterhin vorgehen wolle, um zu demonstrieren, daß es für sie keinen sicheren Aufenthaltsort gäbe. Selbst wenn es die von den Tomahawks anvisierten Lager - "Terror-Universitäten" - in Afghanistan gibt, die übrigens mit der Hilfe der USA während des Kalten Krieges eingerichtet wurden, als die USA die Rebellen und bin Laden im Kampf gegen die Russen unterstützt haben, ist die Organisation von bin Laden global und staatenlos, hat sie kein Hauptquartier und keine Armee mit High-Tech-Waffen. Wer bei einem Anschlag sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, um im Heiligen Krieg als Märtyrer geadelt zu werden, kann auch mit "primitiven" Waffen operieren und läßt sich nur schwer bekämpfen. Im Gegensatz zu Soldaten handeln Terroristen aus eigenem Antrieb, so verblendet das auch sein mag. Das ist ihre Stärke, die sich mit den distanzierenden High-Tech-Waffen kaum kompensieren läßt, auch wenn die Gefahr von weiteren Anschlägen natürlich den Ausbau von immer besseren Sicherheits- und Überwachungseinrichtungen aller Art fördert.
Angeblich soll bin Laden - wie Saddam Hussein - seinen Aufenthaltsort häufig wechseln, um nicht ausgemacht werden zu können. Allerdings sind auch fundamentalistische, gegen den Westen eingestellte Terroristen auf moderne Technik angewiesen. Bin Laden hat sich beispielsweise eine Höhle in den Bergen über Jalalabad als Zufluchtsort eingerichtet, der mit modernster Technik ausgestattet sein soll. Seine Kommunikation führt er über ein Inmersat-Telefon, durch das die Amerikaner allerdings seinen genauen Aufenthaltsort mit einer Genauigkeit von einigen Metern herausbekommen können. Die Sunday Times vom 23. August 1998 zitiert einen israelischen Informanten, daß die USA so identifiziert hätten, wo sich bin Laden aufhalte und die Tomahawks auf dieses Ziel gerichtet hätten. Nur weil dieser sein Satellitentelefon ausgeschaltet und den Ort verlassen habe, wäre er möglicherweise dem Tod entronnen. Die Amerikaner allerdings betonen, daß sie bin Laden nicht selbst treffen wollten. Dieser hat übrigens nach dem Angriff seine Botschaft: "Der Kampf hat noch gar nicht begonnen. Wir werden mit Aktionen, nicht mit Worten antworten" nicht selbst mitgeteilt, sondern sie über einen Vertrauten mit dem Namen Dr. Haq dem Herausgeber von Al Quods, einer in London erscheinenden Zeitung, übermitteln lassen.
Der "neue Krieg", den die USA explizit oder unfreiwillig eröffnet haben, ist eine gefährliche Rutschbahn, der die Gegner erst wirklich in Stellung bringt und große Teile der Welt in den Konflikt hineinziehen kann. Wenn es denn wirklich um einen Kampf nicht zwischen den Kulturen, sondern zwischen "Freiheit und Fanatismus" geht, dann sollten diejenigen, die sich auf die Seite der Freiheit stellen, nicht vorschnell und im erwünschten Muster der Terroristen agieren. Das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit der Mediengesellschaft sind kurz, aber eine verantwortliche und vernünftige Politik sollte sich allemal Zeit lassen, um ihre Aktionen zu planen und vor allem sie wirklich zu legitimieren.