Weshalb Ärzte eine Corona-Impfkampagne für Kinder kritisieren

Gesundheitsminister Spahn und Bildungsministerin Karliczek für Immunisierung für Kinder ab zwölf Jahren. Experten raten zur Vorsicht. Vor allem eine Begründung trifft auf Widerspruch

Bei einem zentralen Thema der Pandemiepolitik hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erneut eine Debatte provoziert: Seine Ankündigung einer baldigen Corona-Impfkampagne für Kinder ab zwölf Jahren ist in Fachkreisen auf Kritik gestoßen. Grund für den Widerspruch ist einerseits die mangelnde Datenlage zur Beurteilung von Risiko und Nutzen solcher Impfungen für Minderjährige. Andererseits ist nicht geklärt, inwieweit Schulöffnungen von einer Durchimpfung der Kinder und Jugendlichen anhängig gemacht werden.

Er gehe von einem Impfangebot für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren bis Ende August aus, sagte Spahn am gestrigen Dienstag während des Besuchs eines Pharmaunternehmens in Sachsen-Anhalt. Notwendig dafür sei jedoch die Zulassung einer solchen Anwendung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA. "Wir gehen davon aus, dass es in den nächsten Tagen, diese oder nächste Woche, eine Zulassung geben kann", zitierten Nachrichtenagenturen den Minister.

Spahn und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatten zuvor eine flächendeckende und dauerhafte Öffnung der Schulen indirekt von Impfungen abhängig gemacht. Zu einer Rückkehr zum Präsenzunterricht gehöre auch, "dass intensiv eine Impfkampagne für die Kinder und Jugendlichen vorbereitet wird, sobald der Impfstoff für die Kinder ab zwölf Jahren zugelassen ist", so Karliczek vor wenigen Tagen - dies werde nach den Sommerferien den Präsenzunterricht absichern. Spahn sekundierte in der Bild: "Ein Weg zu regulärem Unterricht nach den Sommerferien ist das Impfen der Jugendlichen."

Medienbericht: Impfkommission will von genereller Empfehlung absehen

Dieser Position tritt nun offenbar die Ständige Impfkommission (Stiko) entgegen. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland will aus "informierten Kreisen" erfahren haben, dass das Gremium von einer generellen Impfempfehlung für Kinder zwischen zwölf und 15 Jahren abraten wird. Eine solche Empfehlung solle nur für Minderjährige dieser Altersgruppe mit bestimmten Vorerkrankungen gegeben werden, heißt es in dem Bericht.

Die Kommission begründet ihre Position dieser Quelle zufolge mit der unzureichenden Datenlage. Dadurch lasse sich nicht abschätzen, in welchem Verhältnis die Risiken einer Impfung gegen Sars-CoV-2 zu den Folgen einer möglichen Covid-19-Erkrankung stehen.

Die EMA hatte Anfang Mai eine sogenannte Rolling Review für die Comirnaty-Gabe an Patienten ab zwölf Jahre gestartet, Ergebnisse werden im Juni erwartet.

Kinderärzte wie der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach, haben sich indes gegen rasche Massenimpfungen in Impfzentren oder Schulen ausgesprochen. Notwendig sei, so Fischbach, "eine vertrauensvolle Beratung". Impfungen läge immer eine Nutzen-Risiko-Abwägung zugrunde, die genau überlegt sein müsse.

Widerspruch war unter anderem zuvor von Kinderärzten im Saarland erhoben worden. Dort wollen der Landesverband des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und das Pädiatrisch-Infektiologische Netzwerk Saar (PaedineSaar) einen Einsatz des Biontech-Pfizer-Impfstoffs in jedem Fall von einer Stiko-Empfehlung abhängig machen. An dieser Position wollen die Verbände selbst bei einer Zulassung durch die EMA und das in Deutschland zuständige Paul-Ehrlich-Institut festhalten.

Freie Entscheidung bei Impfung für Kinder angemahnt

Im Interview mit dem Deutschlandfunk äußerte sich der Vorsitzende der Impfkommission, Thomas Mertens, in Bezug auf die von Spahn und Karliczek initiierte Impfdebatte jedoch skeptisch. Oberstes Ziel müsse der Schutz und das Wohlergehen der Kinder sein, bekräftigte er. Damit wandte sich der Virologe dagegen, dass nun Argumente wie die Öffnung der Schulen oder die Teilhabe am Leben oder an den Urlauben der Eltern angeführt werden. Es müsse bedacht werden, dass jede Impfung ein medizinischer Eingriff sei.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kam die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx. Sie wandte sich in erster Linie gegen das Argument, Kinder zu impfen, um in der Gesamtbevölkerung eine Herdenimmunität zu erreichen. Aus diesem oder anderen Gründen dürfe kein Druck aufgebaut werden: Eltern müssten mit ihren Kindern gemeinsam frei und individuell entscheiden können.

Dieser Bedenken ungeachtet zeichnet sich eine Zulassung des mRNA-Impfstoffs Comirnaty für Kinder ab zwölf Jahren ab. In den USA hat die Arzneimittelbehörde FDA eine solche Anwendung bereits erlaubt - und ist damit dem Beispiel Kanadas gefolgt. Nach ersten Beobachtungen unterscheidet sich das Risiko für schwerwiegende Komplikationen nach der Impfung zunächst nicht wesentlich von den Werten der jeweiligen Placebogruppe.

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