Wettlauf um den Mond: Geopolitik im All

Seite 2: Tim Marshall: Geopolitik und die Macht der Geographie

Tim Marshall, der vielfach ausgezeichnete BBC-Experte für Außenpolitik, berichtete aus 40 Ländern, stürmte mit seinem Welterfolg "Die Macht der Geographie" auch deutsche Bestsellerlisten und provozierte einen Schlagabtausch über den Ukrainekrieg mit dem deutschen Perry-Rhodan-Spezialisten Nils Werber.

Schon in seinem Nachfolgewerk "Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert" (2021) widmete er das letzte Kapitel dem Weltraum. Zuletzt erweiterte er dieses Kapitel zu einem neuen Buch: "Die Geographie der Zukunft: Wie der Kampf um die Vorherrschaft im All unsere Welt verändern wird" (2023).

BBC-Mann Marshall sieht im US-Air-Force-Strategen Everett Dolman den großen Nestor der künftigen Astropolitik. Dolmann baut laut Marshall auf den Werken der geopolitischen Klassiker Mahan und Mackinder auf:

So wie Halford Mackinder 1904 schrieb: 'Wer den Osten Europas beherrscht, kontrolliert das Herzland', erklärt Dolman jetzt: 'Wer die niedrigen Umlaufbahnen beherrscht, kontrolliert den erdnahnen Raum; wer den erdnahen Raum beherrscht, kontrolliert Terra. Wer Terra beherrscht, bestimmt das Schicksal der Menschheit.'"

Die umstrittenen Artemis Accords: Ein geopolitischer Wendepunkt

Das von den USA dominierte Artemis-Programm sieht Marshall zwar durchaus kritisch: Die "sogenannten Artemis Accords"… "geben vor, die Leitlinien für Aktivitäten auf dem Mond auf den neuesten Stand bringen zu wollen." Ihr Text stamme größtenteils aus US-Produktion und formuliere daher vor allem die Vorstellungen, die man in den USA vom künftigen Weltraumrecht habe.

Der bislang gültige Weltraumvertrag (Outer Space Treaty) von 1967 proklamierte das Weltall als Allgemeingut aller Menschen: "Der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper unterliegt keiner nationalen Aneignung durch Beanspruchung der Hoheitsgewalt, durch Benutzung oder Okkupation ..." und sei "Sache der gesamten Menschheit".

Das Artemis-Programm sieht das anders, kritisiert Marshall, die USA seien "... keineswegs der Ansicht, dass die Ergebnisse der Aktivitäten auf dem Mond gemeinsames Erbe der Menschheit seien, von dem alle profitieren sollen. Diejenigen, die den Artemis Accords zustimmen, müssen de facto die amerikanische Rechtsauffassung vom Mond- und Weltraumrecht akzeptieren."

Die ursprünglichen Signatarstaaten waren die USA, Kanada, Japan, Australien, Großbritannien, Italien und Luxemburg. Es folgten ihnen ein paar der üblichen westorientierten Länder: Israel, die Ukraine, Südkorea usw.

Aber mehr als 170 andere Staaten haben sich den 'Accords' nicht angeschlossen. China und Russland wurden sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Der amerikanische Kongress hat der NASA die Zusammenarbeit mit China verboten; und Russland wurde ausgeschlossen, nachdem die USA behaupteten, es würde amerikanische Spionagesatelliten auf gefährliche Weise verfolgen.

Tim Marshall

Die Bedeutung des Weltraumvertrags in der modernen Geopolitik

Dabei steht Weltraumstratege Marshall dem Outer Space Treaty sehr kritisch gegenüber, dem heute zentralen Dokument der internationalen Regeln im All. Marshall subsummiert ihn unter "die bestehenden Vereinbarungen", die aber seien "schrecklich veraltet", "viel zu unbestimmt", "Produkte des Kalten Krieges" und, das stößt ihm vielleicht besonders sauer auf, ohne das Britische Empire "nur von den Hauptkontrahenten verhandelt worden".

Sprich: Die Raumfahrtnationen UdSSR und die damals zurückliegenden USA einigten sich 1967 darauf. Was Marshall verschweigt: Bis heute ist der Outer Space Treaty das von den meisten (112) Staaten ratifizierte Weltraumrechts-Dokument überhaupt. Auch die deutsche Regierung geht von seiner maßgeblichen Wirksamkeit weiterhin aus – obwohl sich Berlin im letzten Jahr der Artemis-Gruppe anschloss.

Von den UNO-Weltraumaktivitäten hält Geopolitiker Marshall nicht viel, sie kommen bei ihm praktisch nicht vor, lieber stellt er breit das NASA-geführte Artemis-Programm vor. Das wiederum fehlt fast völlig in den UNOOSA-Jahresberichten (2022 taucht es in einer Bildunterschrift auf, https://www.unoosa.org/documents/pdf/annualreport/UNOOSA_Annual_Report_2020.pdf die in Wien ansässige UNO-Organisation es in nur einem Satz).

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