Wettlauf zum Mars

Küstlerische Darstellung einer zukünftigen Siedlung auf dem Mars. Bild: NASA

Menschliche Saat in roter Erde?

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Als die Sonde "Trace Gas Orbiter" (TGO) der Mission ExoMars am 19. Oktober in ein stabiles Orbit um den Mars eintrat, war trotz des ungewissen Verbleibs des Testmoduls "Schiaparelli" eines klar: Die Menschheit drängt es aus der Begrenztheit irdischen Daseins hinaus in die Weite des Alls, wobei ihr nachhaltiges Ausgreifen nach dem roten Planeten, wohl die erste Etappe auf dem Weg in eine interplanetare Zukunft des homo sapiens wäre.

Die von ESA und Roskosmos bestrittene Mission zur Erforschung des Mars stellt dabei nur den jüngsten von zahlreichen Versuchen dar, die menschliche Wirksphäre über die Grenzen der Erde hin auszudehnen. ExoMars reiht sich dabei in eine immer länger werdende Liste von Unternehmungen ein, welche zuerst nur mit künstlichen Vorkämpfern den ersten menschlichen Schritt auf den planetaren Bruder der Erde technologisch und diskursiv vorbereiten.

Seit dem Beginn der Raumfahrt Mitte des vergangenen Jahrhunderts sind die Vorstöße des Menschen aus dem Schwerefeld seines Heimatplaneten immer weitreichender, dauerhafter und umfassender geworden. So waren die ersten Raumfahrtprogramme ein strategisches Mittel des Systemwettstreits zwischen USA und UdSSR und erfreuten sich dementsprechend umfangreicher ökonomischer und politischer Zuwendung.

Mit dem ersten Satelliten, Sputnik (1957), und dem ersten Menschen, Juri Gagarin (1961), im Erdorbit hatte der russische Vorstoß in den Kosmos frühe Erfolge. Doch durch die ersten Bilder vom roten Planeten durch die Sonde Mariner 4 (1965) und besonders die Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldwin (1969) konnte der amerikanische Wirkungsbereich ebenfalls entscheidend ins All ausgeweitet werden.

Trace Gas Orbiter und sein Landemodule Schiaparelli (künstlerische Daarstellung). Bild: ESA/ATG medialab

Die russischen Raumstationen des Saljut-Programms (1971-1991) und die MIR (1986-2001) sowie das amerikanische Spaceshuttle-Programm (1981-2011) tradierten im weiteren Verlauf die menschliche Präsenz im All (wenn auch nur in einem Orbit wenige hundert Kilometer von der Erde entfernt). Dieser Wettlauf ins All war dabei vor allem von nationalen und militärischen Interessen geleitet, wodurch die Raumfahrt gegen Ende des Kalten Krieges in eine Legitimationskrise geriet. Durch die geopolitische Entspannung, verlor auch die kosmische Konkurrenz an Bedeutung, wobei mit dem gesellschaftlichen Interesse auch entsprechende Förderungen und Schwerpunktsetzungen nachließen. Der 'Space Race' verlangsamte dementsprechend seine Fahrt und für das junge 21. Jhd. gestaltet sich das menschliche Vordringen in die unendlichen Weiten des Weltraums angesichts irdischer Klima-, Umwelt- und Bevölkerungsprobleme wenig bedeutsam und geht anscheinend nur noch schleppend voran.

Der Legitimationsverlust der Raumfahrt macht einen Paradigmenwechsel notwendig und stellt die Erforschung des Alls vor ein neues Begründungsproblem. Dies zeigt sich auch am Wandel der entscheidenden Impulsgeber für den Weltraumsektor, welche sich in der Gegenwart immer stärker aus privaten anstelle von staatlich geführten Unternehmen rekrutieren. Obwohl machtpolitische Gesichtspunkte immer noch einen nicht unbedeutenden Aspekt der Weltraumprogramme ausmachen, stehen doch nun primär friedliche und dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gewidmete Projekte sowie aus der Gewinnorientierung und Phantasie gespeiste Unternehmungen einzelner 'Space Entrepreneure' im Vordergrund.

Der hier vorgestellte Beitrag zu kosmischen Siedlungsbestrebungen fußt maßgeblich auf dem vor kurzem im Logos-Verlag, Berlin, erschienenen Buch "Auf zwei Planeten? Sozialwissenschaftliche Analyse interplanetarer Siedlungsprojekte am Beispiel 'Mars One'".

Die für Forschungszwecke und internationale Zusammenarbeit genutzte Weltraumstation ISS (wie auch schon die in ihrer späteren Phase gemeinsam von Russland und anderen Nationen betriebene MIR) repräsentiert das kooperative und wissensgeleitete Prinzip moderner Raumfahrt, während wiederverwendbare Raketen und die Vision der Errichtung einer Marskolonie seitens des SpaceX Gründers Elon Musk den anderen Aspekt künftiger Weltraumerschließung darstellt.

So nimmt die Anzahl verschiedenster Akteure und Projekte anstelle der einstig konkurrierenden staatlichen Raumfahrtbehörden zu, welche die Präsenz des Menschen außerhalb der Erde umfassender und dauerhafter zu etablieren suchen. Und nicht selten steht bei diesem Vorstoß ins All ein Ziel im Fokus: der rote Planet Mars.

Der Mars als zweiter Heimatplanet

International Space Station (ISS). Bild: STS-132 Crew, Expedition 23 Crew, NASA

Der Mars übt seit Beginn der Himmelsbeobachtung durch den Menschen eine besondere Faszination aus. So stand der Planet nicht erst seit der Verwendung von optischen Vergrößerungshilfen im besonderen Augenmerk der Astronomen, da er aufgrund seiner roten Färbung und Helligkeit auch mit bloßem Auge deutlich am Nachthimmel zu erkennen ist. Mit der Erfindung des Fernrohrs im 17. Jhd. und seiner Verwendung zur Beobachtung von Himmelskörpern sowie eines durch die sozialen Dynamisierungsprozesse der Renaissance begünstigten "kosmozentrischen" und "transterrestrischen Weltbildes"1, entwickelte sich im 17. Jhd. schnell die Vorstellung vom Mars als "Bruder der Erde".2

So wurden die beobachtbaren diversen Oberflächenstrukturen des roten Planeten, die von unterschiedlicher Farbe und Helligkeit gekennzeichneten Flecken und Linien, als Meere und von Marsbewohnern geschaffene Kanäle gedeutet. Die Vorstellung von intelligentem Leben auf anderen Planeten wurde hierbei durch die tiefgreifenden kulturellen, religiösen und politischen Umwälzungen des Übergangs vom christlich geprägten Mittelalter zur humanistischen Aufklärung möglich. Die im Zuge des Niedergangs "aristotelisch- ptolemäischer Kosmologie"3 stattfindende ideelle Dezentrierung und Pluralisierung des Lebens jenseits der Erde ließ auch Bewohner auf anderen Himmelskörpern denkbar werden und war eine durchaus übliche und verbreitete Position in den Schriften der Aufklärer (z.B. bei Kant, Lambert und Voltaire4).

Das hochauflösendes Bild der HiRISE-Kamera an Bord des Mars Reconnaissance Orbiter zeigt verschlungene dunkle Linien auf der Marsoberfläche. Bild: NASA, HiRISE, MRO, LPL (U. Arizona)

Das Bild des Mars als bewohnter Planet konnte sich so als beständiges Narrativ im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs etablieren, dessen Spuren bis in die Gegenwart reichen. Besonderen Höhepunkt stellten die von dem italienischen Astronom und späteren Namensgeber des ExoMars-Landers, Giovanni Schiaparelli, 1877 beschriebenen "Canali" dar. Diese dunklen Linien auf der Marsoberfläche, welche jedoch als intentional von der Marsbevölkerung geschaffene Bewässerungsrinnen interpretiert wurden, erhärteten den fast 90 Jahre dauernden "Marsmythos" einer sterbenden Zivilisation, welche gegen die Desertifikation auf ihrem roten Wüstenplaneten anzukämpfen schien.5 Auch die um den Übergang vom 19. zum 20. Jhd. veröffentlichten Romane von H. G. Wells, Kurd Laßwitz und Edgar Rice Burroughs halfen dabei, das Bild eines bewohnten roten Planeten zu verbreiten. Obwohl bereits der Astronom Eugène Michel Antoniadi mittels seiner Marsbeobachtungen von 1903 und 1909 die Canali als Wahrnehmungsfehler entlarvt hatte, konnte doch erst 1965 die NASA-Marssonde Mariner 4 die letzten Zweifel ob der Existenz der Kanäle und einer Marszivilisation ausräumen.6

Nichtsdestotrotz übt der Mars auch mit Beginn der Raumfahrt noch eine große Anziehungskraft auf den Menschen und seine Vorstellung von Leben jenseits der Erde aus. Die durch die automatischen Sonden gewonnenen Informationen ergeben ein Bild des roten Planeten, welches zwar ungleich der Erde ist, aber dennoch die Möglichkeit für vergangene Lebensformen offenlässt (so war der Mars vor ca. 4 Mrd. Jahren mit flüssigem Wasser und durchaus lebensförderlichen klimatischen Bedingungen ausgestattet) oder gar noch die Chance für existierendes marsianisches Leben bietet (etwa in periodisch flüssigen salzhaltigen Lösungen oder unter der Kryosphäre). Doch in jüngsten Zeit häufen sich besonders die Hypothesen und Szenarien, ob der Mars auch irdischem Leben eine Heimstatt bieten könnte, also ob und in welcher Form der Mars auch für Menschen (zeitweise oder gar dauerhaft) bewohnbar wäre.7

So strebt nicht nur der bereits erwähnte Elon Musk die multiplanetare Zukunft der menschlichen Spezies an, auch wenn er gegenwärtig wohl einer der finanzstärksten und schillerndsten Marsenthusiasten ist. Bereits der deutsche und später amerikanische Raketenwissenschaftler Wernher von Braun stellte 1952 seine Studie über eine "interplanetare Expedition" zum roten Planeten vor, welche den Bau eines Weltraumhafens und einer Flotte von zehn Raumschiffen einschloss.8 Bis in die 70er Jahre folgten seitens der NASA noch über 40 Studien zu bemannten Marsmissionen, welche jedoch alle an realpolitischen Zwängen scheiterten.9

Geplante Marsmissionen und Besiedelungsprojekte

Auch für die Gegenwart existieren zahlreiche Programme, der Menschheit diesen interplanetaren Schritt zu ermöglichen. So formulierte die 2006 gegründete International Space Exploration Group (ISECG), welche aus einem Zusammenschluss der 14 führenden staatlichen Raumfahrtorganisationen besteht und in internationaler Kooperation den menschlichen Vorstoß ins All koordinieren möchte, als Zielstellung für das Jahr 2025 eine von Astronauten unterstützte Probennahme auf dem Mars sowie eine nachhaltige bemannte Marsmission für 2030.10

Auch die amerikanische Weltraumbehörde plant in ihrer "Journey to Mars" in den 2030ern Astronauten auf den roten Planten zu bringen, wobei Mond und Asteroiden als Zwischenziele vorgegeben sind. Neben technologischen Innovationen spielt bei potentiellen Marsmissionen jedoch auch immer die menschliche Belastbarkeit eine Schlüsselrolle für einen erfolgreichen Verlauf. So stellen Muskelatrophie, verminderte Knochendichte, Durchblutungsstörungen und erhöhte Strahlenbelastung nur einige der physischen Probleme bei längeren Aufenthalten im All dar, wobei die sensorische Deprivation auf beengtem Raum auch zu Stimmungsschwankungen, Angst, Depression, Misstrauen und Schlafproblemen als psychische Begleiterscheinungen von Langzeitmissionen führen können11.

Perspektive der "Journey to Mars" der NASA. Bild: NASA

Für die Erforschung dieser menschlichen Grenzerfahrungen wurde in einem 2010 gestarteten Isolationsexperiment unter der Beteiligung von ESA und Roskosmos sechs Personen für 520 Tage in einer simulierten Marsbasis untergebracht und mussten den 'typischen Alltag' von auf dem roten Planeten stationierten Astronauten bewältigen.12 Zeitverzögerte Kommunikation, simulierte Notfallsituationen sowie wissenschaftliche Versuchsreihen wurden offenbar erfolgreich absolviert und zeigten, dass ein internationales Team den Anforderungen einer 1,5-jährigen Marsmission gewachsen sein könnte. Auch das kürzlich in Hawaii abgeschlossene Experiment zu einer potentiellen Marsmission seitens der NASA geht dem menschlichen Faktor einer interplanetaren Langzeitmission nach.

Doch es sind vor allem die privaten Initiativen, welche den menschlichen Ausgriff nach dem roten Planeten vorantreiben. So führt die Mars Society bereits seit 2001 regelmäßig mehrwöchige Aufenthalte in der Wüste von Utah sowie der kanadischen Arktis durch und erprobt dabei in 'Außeneinsätzen' und einem künstlichen Habitat die Rahmenbedingungen einer echten Marsmission.

Auch die 2011 gegründete und medial stark präsente Stiftung Mars One sieht die Zukunft der Menschheit auf mindestens zwei Planeten. So planen die Niederländer Bas Lansdorp und Arno Wielders eine "permanente menschliche Siedlung" auf dem roten Planeten zu errichten und das bereits in den 2020ern. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Marsprojekten will Mars One aber direkt mit einer dauerhaften Kolonialisierung beginnen, ohne den Zwischenschritt bemannter Hin- und Rückflugmissionen durchzuführen. Die Vorteile liegen laut Stiftung in der Kosten- und Risikoeinsparung sowie der technologischen Realisierbarkeit in unmittelbarer Zukunft (siehe Homepage).

Dabei will sich Mars One vor allem auf die Auswahl und Schulung der Astronauten konzentrieren, während die technologischen Aspekte (Raumschiffe, Satelliten, Habitate etc.) von den etablierten Raumfahrtunternehmen (Lockheed Martin, Paragon, SpaceX) bereitgestellt werden sollen. Die Vorgehensweise der Stiftung wird in der Öffentlichkeit jedoch äußerst zwiespältig beurteilt, da gerade das 'One-Way-Design', also das Konzept, als Astronaut für immer auf dem Mars zu bleiben, mehrheitlich für Irritation sorgt. Die eigene Zukunft nur auf den roten Planeten zu setzen und sich die Rückkehr zum Heimatplaneten zu versagen, ist aus einem erdgebundenen Alltagsverständnis heraus nicht nachvollziehbar.13

Die NASA-Raumsonde Phoenix soll als Vorbild für die erste unbemannte Landung von Mars One dienen. Bild: NASA/JPL-Calech/University of Arizona

Doch das Projekt Mars One strebt gerade eine Veränderung der herkömmlichen Denkmuster an und repräsentiert mit seinem Missionsplan eine strukturelle Perspektiverweiterung in Richtung eines kosmischen Weltbildes. Die dezidiert international konzipierte Besiedlung des Mars kann durch ihre Rückspiegelung für die Erde eine übernationale, interkulturelle und geoempathische Perspektive induzieren, welche die gesamte Menschheit und ihren Planeten als Schicksalsgemeinschaft begreifbar macht.14

So wurden bereits durch die ersten photographischen Bilder der Erde aus dem All das globale Bewusstsein für die Verletzlichkeit des Planeten, seiner Ökosphäre und seiner Bewohner geweckt, welche in der Gründung zahlreicher Umweltbewegungen resultierten15. Das Bild des blauen Tropfens vor der Schwärze des scheinbar leeren Weltraums macht zum einen die globalen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen begreifbar und bedeutet zum anderen einen Appell an global-gemeinschaftliche Verantwortung.16

Die Erde vom Mond aus gesehen. Bild: NASA

Der Drang zur Expansion auf andere Himmelskörper

Mittlerweile forcieren diverse staatliche und private Projekte die direkte menschliche Präsenz auf dem roten Planeten, wobei auch nur kurze Forschungsaufenthalte die nachhaltige Etablierung eines menschlichen Außenpostens oder gar die dauerhafte Kolonialisierung des Raums jenseits der Erde technologisch und diskursiv vorbereiten würden. Doch woher kommt dieser menschliche Drang, zu den Sternen aufzubrechen und sich dort eine andere Heimstatt zu suchen? Tatsächlich gibt es sowohl im Wesen des Menschen selbst eine Disposition, die Grenzen der Erde zu überwinden, als auch dominierende gesellschaftliche Rahmenfaktoren, die diese Veranlagung noch befördern17:

Dem Menschen ist schon immer das Moment der Selbstüberwindung und Grenzüberschreitung zu Eigen gewesen. Aufgrund seines strukturell unstillbaren Verlangens nach "mehr...", welches seiner überbordenden Triebstruktur entspringt, bedarf der Mensch immer neuer Projektionsflächen, auf die sich sein Sehnen richten kann. Und längst hat sich diese Sehnsucht über die Grenzen des eigenen Planeten ausgebreitet. Der Weltraum weckt dabei in dreierlei Hinsicht menschliche Begehrlichkeiten:

  • (1) So wird zum einen der Kosmos als Wirtschaftsraum begriffen, welcher in Form von Rohstoffen (seltene Erze, Wasser, Baumaterial) die Verwertung von Asteroiden oder anderen Himmelskörpern lukrativ erscheinen lässt. Auch die schier unendliche Energie der Sonne ließe sich außerhalb der Erde weitaus effektiver gewinnen. Und besonders der Weltraumtourismus bietet ein hohes ökonomisches Potential, wie die Firmen Bigelow Aerospace mittels ausdehnbarer Module und Virgin Galactic mit ihrem Raumgleiter Space Ship Two bald für sich zu nutzen wissen. Neben wirtschaftlichen Aspekten könnte das All aber auch aus politischem Gesichtspunkten interessant werden.
  • Als (2) Herrschaftsraum wurde der Kosmos ja bereits zur Zeit des Kalten Krieges, in der Space-Race-Ära instrumentalisiert. Hierbei standen militärische Motive im Vordergrund, also die Installation von Spionage- und Waffentechnologie. Doch auch in der Gegenwart werden Satelliten für Spionage und Kampfeinsätze verwendet, wie die jüngsten Kriege im Nahen und Mittleren Osten zeigen. Den eigenen Machtbereich auch auf das All auszuweiten, spielt für Nationalstaaten immer noch eine bedeutende Rolle, um als 'global player' anerkannt zu werden. Dementsprechend bedeuten die beiden chinesischen Weltraumstationen Tiangong 1 und 2, welche seit September 2011 und 2016 die Erde umkreisen, neben dem Forschungsgewinn auch eine Demonstration Chinas als ernstzunehmende Weltraummacht.
  • Nicht zuletzt repräsentieren der Kosmos und andere Himmelskörper aber vor allem extraterrestrischen (3) Lebensraum. Angesichts exponentiell wachsender Bevölkerungsentwicklungen und der Überschreitung der 10 Mrd. Grenze für die 2050er wird die Frage nach irdischer Grenzauslastung und Überlastung immer drängender. Wenn der gegenwärtigen Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, erscheint die Besiedlung anderer Planeten zur Vermeidung des globalen Kollapses unabdingbar. Aber auch um anderen Umwelt-, pandemischen oder atomaren Katastrophen vorzubeugen, wird eine langfristige Verbreitung der menschlichen Spezies im Sinne der Arterhaltung diskutiert.18

Die menschliche Expansion auf andere Himmelskörper liegt außerdem aus Sicht der Fortführung kultureller Umgestaltung von natürlichen Bedingungen nahe. So hat der Mensch mittels künstlicher Werkzeuge bereits die unwirtlichsten Regionen der Erde erschlossen, ist in Eis- und Sandwüsten vorgedungen, hat die Tiefsee erkundet und den Luftraum erobert. Die Urbanisierung einst lebensfeindlicher Regionen liegt in der Natur des Menschen und die Kolonialisierung des Weltraums sowie anderer Himmelskörper ist dabei nur die strukturlogische Ausweitung menschlichen Kultivierungsvermögens.

Die Utopie, ganze Planeten oder Monde erdähnlich umzugestalten, stellt dabei die Spitze menschlicher Schöpfungsmacht dar. Erst im September dieses Jahres präsentierte Elon Musk seine Vision zu Besiedlung des Mars, wobei während seiner Präsentation erneut deutlich wurde, dass das Terraforming des roten Planten, die Verdichtung und Erwärmung der Atmosphäre auch ein langfristiges Ziel der multiplanetaren Agenda von SpaceX darstellt.

Neben der Transformation irdischer und extraterrestrischer Umwelt steht aber auch der Mensch selbst im Fokus von Optimierungs- und Veränderungsprogrammen. So ist die technologisch gestützte Erweiterung menschlicher Fähigkeiten, sein Überleben in Schwerelosigkeit, unter kosmischer Strahlung und sensorischer Deprivation Teil der Raumfahrtforschung (bspw. in der Zwillingsstudie der amerikanischen Astronauten Mark und Scott Kelly). Und daher verwundert nicht, dass auch die systematische Verschmelzung künstlicher ('cybernetic') und organischer ('organic') Elemente, die Erschaffung von 'Cyborgs', zuerst im Kontext menschlichen Überlebens im Weltraum erwogen wurde.19 Im Sinne menschlicher Evolution wäre ein Verlassen der Erde und die Anpassung an sowie die Veränderung von kosmischer Umwelt vielleicht der nächste notwendige Entwicklungsschritt der Spezies homo sapiens.

Sind wir allein?

Das Vordringen in den Weltraum ist aber auch stets von einer Ungewissheit begleitet: Sind wir die Einzigen da draußen? Die Suche nach Leben hat dabei seit jeher einen der wichtigsten Aspekte menschlicher Hinwendung zu den Sternen ausgemacht und die Frage, ob Lebensformen, noch dazu intelligente, auch jenseits der Erde entstanden sein könnten, wird bereits seit der Antike verhandelt20.

Auch die gegenwärtigen Forschungsprogramme mit Blick Richtung Kosmos widmen sich vor allem den Themen der Habitabilität anderer Himmelskörper und der Suche nach extraterrestrischen Lebenszeichen. Auch wenn die Chancen dafür äußerst unterschiedlich eingeschätzt werden (siehe Fermi- Paradoxon und Drake-Formel) ist die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz (SETI) doch ein institutionalisiertes, weitgehend anerkanntes und gefördertes Unterfangen.

Erst Mitte des letzten Jahres wurde die extensive Ausweitung der radiospektroskopischen Suche nach außerirdischen Signalen durch Yuri Milner und sein Projekt 'Breakthrough Listen' bekannt gegeben. Durch eine 100 Mio. Dollar Investition werden mit neuer Methode in den nächsten zehn Jahren die eine Millionen erdnächsten Sterne um ein 50faches genauer 'abgehört' sowie eine Ausweitung der Suche auf das optische Spektrum erfolgen. Auch bei der von NASA durchgeführten Kepler-Mission wird nach potentiellem Leben auf anderen Himmelskörpern geforscht. So können mittels Helligkeitsdifferenzen beim Transit von Exoplaneten um ihr Zentralgestirn auf die jeweilige Größe, Struktur und den Abstand zu ihrer Sonne geschlossen werden.

Künstlerische Darstellung eines hypothetitischen bewohnbaren Planeten mit zwei Monden im Orbit eines Roten Zwergs. Bild: D. Aguilar/Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics / NASA

Die gefundenen Planeten, welche in der habitablen Zone angesiedelt sind, also in einem Bereich in welchem flüssiges Wasser existieren könnte und somit erdähnliches Leben möglich wäre, nimmt dabei ständig zu. Und auch der Mars steht seit dem Beginn seiner Erforschung unter dem Verdacht, Leben zu beherbergen oder einst beherbergt zu haben. So untersuchen die unbemannten Marssonden die atmosphärischen, geologischen und biologischen Bedingungen auf dem roten Planeten und prüfen die Bedingungen für marsianisches Leben, wobei aber gleichzeitig auch die Existenzbedingungen für potentiell menschliches Leben aufgezeigt werden.

Der astronautischen Abnabelung vom Heimatplaneten geht eine geistige voraus

Doch was dem Aufbruch ins All unmittelbar vorausgeht, ist immer die Vorstellung davon. So hat sich der Mensch schon seit seiner Bewusstwerdung mit dem Himmel über sich beschäftigt und die Gestirne mit Leben erfüllt. Je nachdem welche Bilder dabei erschaffen wurden, war der (erst ideelle dann praktische) Zugang zu den Sternen unterschiedlich wahrscheinlich.21

Der astronautischen Abnabelung von seinem Heimatplaneten geht eine geistige Abnabelung voraus. Dabei entspringt die Weltraumfahrt des 20. Jhd. auch den diskursiven Ausbrüchen aus dem irdischen Schwerefeld, welche sich in fiktionaler Weise in Literatur und Film zum Ende des 19. Jhd. manifestierten. Frühe Autoren des phantastischen Genres wie Jules Verne, Kurd Laßwitz, H.G. Wells und Georges Méliès schufen gedankliche Blaupausen für tatsächliche Raumfahrtingenieure wie Konstantin E. Ciolkovskij, Robert Goddard, Hermann Oberth und Wernher von Braun. Folglich war "die große soziale Bewegung, welche Weltraumraketen hervorbrachte, durch Science-Fiktion-Klassiker inspiriert" (Bainbridge 2015: 155).

Auch in der Gegenwart prägen die medialen Erzeugnisse des Sci-Fi-Genres Traumbilder einer interplanetaren Zukunft der Menschheit, welche nur auf die Realisierung durch tatsächliche Raumfahrtprogramme warten. Bücher, wie die Mars- Trilogie von Kim Stanley Robinson (1993-1996), Filme, wie Gravity (2013), Interstellar (2014) und The Martian (2015) sowie Spiele, wie Space Invaders (1978), Eve Online (2003) und Mass Effect (2007) experimentieren mit Zukunftsszenarien, in denen die Menschheit die Erde verlassen hat oder geben einen Vorgeschmack auf extraterrestrische Welten, deren Bewohner und ihr Konfliktpotential beim Zusammentreffen mit der menschlichen Spezies.

Ridley Scotts "The Martian". Bild: Twentieth Century Fox

Die phantastischen Produkte geben dabei Einblicke in die Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Vorurteile gegenüber einem menschlichen Aufbruch ins All und den Erfahrungen, die ihn dort erwarten. Und nicht selten erweisen sich diese Ideen menschlichen Kontakts mit dem "maximal Fremden"22 als tragische self-fulfilling-prophecy, wie die interkulturellen Kontakte in der irdischen Vergangenheit aufgezeigt haben (z.B. das Zusammentreffen zwischen europäischen Siedlern und der ursprünglichen amerikanischen Bevölkerung23).

Der Aufbruch ins All kann aber auch aus der menschlichen Fähigkeit der Verneinung seiner natürlichen Grundlagen resultieren. So strebt der Mensch strukturell nach Selbstüberwindung, Ablehnung des Status quo und Negierung der ihn beschränkender Faktoren. In der Absage an die rein irdische Existenz zeigt sich auch die Neigung, die Sicherheit gewohnter Daseinsstrukturen aufzugeben und der Drang, die eigenen (planetaren) Grenzen stets neu zu ziehen.

Das Riskieren der eigenen Existenz, das Leben selbst aufs Spiel zu setzen, ist eine der grundlegendsten Differenzen zu den anderen Lebensformen des Planeten. Und so kann nur der homo sapiens, in dem er sein irdisches Sein in die Waagschale wirft, sich zu einem kosmischen Wesen selbst-überwinden. In der Raumfahrt manifestiert sich die Veranlagung, selbst grundlegendste Gewissheiten zu hinterfragen, Mensch und Erde zur Disposition zu stellen und sich selbst im a-topischen Weltraum neu zu definieren.24

Die Besiedlung des Mars wäre so Ausdruck des menschlichen Wesens, welches sich stets neu erfindet, nie mit dem Erreichten zufrieden gibt und dessen Rastlosigkeit sich nur in den unendlichen Weiten des Alls verwirklichen lässt. Doch wenn dies zum Preis eines zerstörten Heimatplaneten geschähe, welcher ausgebeutet, verseucht und im ökologischen Chaos zurückgelassen würde; als auch dem weniger privilegierten Teil der Menschheit aufgrund von militärischen Konflikten, existenzbedrohender Armut und Hunger sowie systematischer Ausgrenzung der Zugang zu den Sternen strukturell verwehrt bliebe, dann wäre dieser kosmische Schritt keiner zu einem höheren Dasein, sondern würde nur eine tragische Selbsterniedrigung der menschlichen Spezies bedeuten.

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