"Who is to flame"

Von Meinungsfreiheit, virtuellem Hausrecht und Staatsanwälten: Rechtliche Aspekte von Online-Foren

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Kaum eine Meldung auf den Seiten des Heise Verlags hat in letzter Zeit für ähnliche Aufregung gesorgt wie die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster gegen Holger Voss (Engine of Justice) aufgrund eines Postings im Forum von Telepolis. In den ersten 24 Stunden gab es zu diesem Thema mehr als 4.500 Postings in den Foren von heise online und Telepolis. Der Fall belegt einmal mehr, dass Betreiber von Online-Foren sorgfältig rechtliche Notwendigkeiten beachten müssen, obwohl sie andererseits die freie Meinungsäußerung nicht einschränken wollen.

Dass grundsätzlich in der virtuellen Welt keine anderen Gesetze gelten als etwa in der Eckkneipe nebenan, ist keine besonders große Überraschung und sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Dennoch vergessen viele Teilnehmer in Online-Foren ihre gute Kinderstube und überschreiten in der scheinbaren oder tatsächlichen Anonymität des Netzes die Grenzen des rechtliche Zulässigen. Damit setzen sie nicht nur sich, sondern unter Umständen auch den Betreiber des Forums der Gefahr einer rechtlichen Verfolgung aus.

Andererseits herrschen in der Online-Welt vielerorts andere Sitten und der Umgang mit einem virtuellen Diskussionspartner ist eben schärfer und respektloser als bei einer Diskussion am Stammtisch. Dass dies bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden nicht immer richtig gedeutet wird, zeigt das Beispiel der unsinnigen Anklage gegen Holger Voss. Dennoch gibt es auch bei Online-Diskussionen rechtliche Grenzen.

Beleidigen, Verleumden, Flamen

Kein Delikt dürfte von den Kombattanten eines virtuellen Flamewars so häufig begangen werden wie die Beleidigung. Eine solche wird juristisch definiert als vorsätzliche "Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung der Ehre, d.h. des sittlichen und sozialen Achtungsanspruchs einer Person oder einer Personengruppe". Dabei können im virtuellen Raum sowohl Meinungsäußerungen ("Er ist Parasit, ein Schwein") als auch, sofern unwahr, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen ("Er hat mir meine Uhr gestohlen") den Tatbestand des § 185 StGB erfüllen.

Diese schwammige Definition sorgt für einen breiten Spielraum bei der Auslegung dessen, was im Einzelfall und insbesondere auch in welchem Kontext tatsächlich als strafrechtlich relevante Äußerung zu bewerten ist. So kennt das Strafrecht eine Fülle von Ausnahmevorschriften, die eine Bestrafung für beleidigende Äußerungen ausschließen. Für Foren relevant ist hier insbesondere der § 199 StGB, der dem Richter die Möglichkeit gibt, in Fällen wechselseitiger Beleidigungen beide Parteien für straffrei zu erklären.

Außerdem kommt es bei der rechtlichen Bewertung von Äußerungen natürlich auch darauf an, in welchem Kontext sie stattfinden. So gelten in einem Forum zum Thema "Knigge" andere Umgangsformen als in einem Chat zum Thema "schlechte Herrenwitze". Ob also ein Forumsposting als Beleidigung im strafrechtlichen Sinne zu bewerten ist, bleibt abseits der "klassischen" und eindeutigen Beleidigungen immer eine Frage des Einzelfalls.

Auch der Betreiber haftet für rechtswidrige Inhalte

Während derjenige, der eine straf- oder zivilrechtlich relevante Äußerung in einem Forum postet, natürlich immer selbst dafür haftbar ist, so kann es unter bestimmten Umständen auch den Betreiber des Angebots rechtlich treffen.

Zwar ist die zwischenzeitlich von einigen Gerichten geforderte regelmäßige Kontrolle von Foren und Gästebüchern mittlerweile durch die Novellierung des Teledienstegesetz (TDG) überholt. Ein Freibrief für Anbieter ist das dennoch nicht. Hat ein Betreiber nämlich Kenntnis von den Einträgen sowie deren potenzieller Rechtswidrigkeit und lässt sie trotzdem weiterhin online, so macht er sie sich auch nach der aktuellen Fassung des TDG zu Eigen und haftet für sie.

Daher ist jeder Betreiber einer virtuellen Diskussionsplattform gut beraten, sich durch klare Nutzungsregeln und eine Anmeldepflicht selbst abzusichern. Ist ein Beitrag erkennbar rechtswidrig, etwa in Form einer klaren Beleidigung, so muss der Betreiber die entsprechenden Passagen bei Kenntnis schon aus Gründen des Selbstschutzes löschen. Unterlässt er das, so kann auch er in das Visier von Rechts- oder Staatsanwälten kommen, wie einige aktuelle Beispiele zeigen.

Natürlich kann ein absolviertes juristisches Staatsexamen nicht Bedingung für den Betrieb einer Website sein, auch wenn man das bei der Fülle gesetzlicher Reglementierungen, etwa bei der Impressumspflicht oder den jüngsten Änderungen der Preisangaben auf Websites, hin und wieder vermuten könnte. Keinesfalls kann von einem Forenbetreiber verlangt werden, seltene Gesetzesverstöße wie beispielsweise die Kreditgefährdung ("Anwalt X ist pleite") nach § 187 StGB zu erkennen.

Problemkreis Herausgabe von Nutzerdaten

Problematisch ist der Umgang mit und die Herausgabe von beim Betreiber gespeicherten Nutzerdaten. Nach derzeitiger Rechtslage besteht für den Anbieter eines Online-Forums keine Verpflichtung, Serverlogs zu speichern. Umgekehrt ist es aber bei einem begründeten Interesse auch nicht verboten. Vielfach dient die Speicherung von Nutzungsdaten den Anbietern aber aus den oben genannten Gründen dem Selbstschutz. Sind ihm die Nutzungsdaten nämlich bekannt, so kann er, etwa bei zivilrechtlichen Ansprüchen, den Urheber des rechtswidrigen Postings in Regress nehmen.

Das Speichern von Nutungsdaten, also etwa der IP-Adresse, kann aber auch aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen für den Betreiber eines Gästebuchs notwendig sein. So sind viele größere Websites, wie auch heise online und Telepolis, der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V.) angeschlossen, die für die objektive Messung von Zugriffzahlen zur Vermarktung verantwortlich ist und zu diesem Zweck unter anderem auch Serverlogs anonymisiert auswertet.

Bestehen derartige Nutzungsdaten, so hat der Betreiber diese auf einen gerichtlichen Beschluss hin an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden herauszugeben. Dies ergibt sich aus einer ganzen Reihe von Vorschriften, so etwa aus § 89 Abs. 6 TKG oder §§ 100a ff. StPO. Falls er sich weigert dies zu tun, hat die Staatsanwaltschaft mit der Beschlagnahmung der Rechner ein sehr probates Mittel, auch ohne Mitwirkung des Betroffenen an die Daten zu gelangen. De facto hat der Betreiber also kaum eine andere Wahl, als der Aufforderung des Gerichtes nachzukommen, will er nicht schlimme wirtschaftliche Schäden riskieren.

Allein die bei der Herausgabe der Forums-Logfiles gewonnenen Daten wie IP-Adresse und Zugriffs-Zeitpunkt nutzen den Strafverfolgungsbehörden ohnehin wenig. Die Angaben müssen mit Hilfe des dahinterstehenden Providers aufgelöst werden. Erst dann können die Ermittler den Zugriff einer tatsächlichen Person zuordnen. Hier stoßen die Zugangsanbieter aber auf datenschutzrechtliche Probleme, da Provider nur solche Daten speichern dürfen, die für die Abrechnung notwendig sind. Eine solche Notwendigkeit besteht aber bei Flatrates grundsätzlich nicht. Trotzdem speichern große Anbieter wie T-Online weiter fleißig und offenbar ohne schlechtes Gewissen sämtliche Zugriffe entgegen den eindeutigen Regelungen der Datenschutzgesetze und geben sie, wie im Fall Voss, an die Strafverfolgungsbehörden heraus.

Bisher sind allerdings recht wenige Fälle bekannt geworden, in denen sich Nutzer von Internetforen für dort getätigte Äußerungen straf- oder zivilrechtlich verantworten mussten. Es steht jedoch zu befürchten, dass diese Zahl in Zukunft rasant ansteigen wird. Der Betrieb eines Web-Forums bleibt daher nicht weniger als ein Drahtseilakt zwischen den rechtlichen Anforderungen und Verpflichtungen einerseits und den legitimen Bedürfnissen der Nutzer andererseits, ein möglichst offenes Feld für legitime Meinungsäußerungen eingeräumt zu bekommen.

Joerg Heidrich ist Justiziar des Heise Zeitschriften Verlags und Rechtsanwalt in Hannover