Wie Bewerber am besten verdienen können
Wahrscheinlichkeitsrechnung: Eine Schwelle maximiert die Chance, das höchste Gehaltsangebot zu finden
Ein Bewerber, der sich für die Stellensuche ein Jahr Zeit nimmt, will das Stellenangebot mit dem höchsten Gehalt annehmen. Das beste Angebot ist gerade gut genug. Er riskiert jedoch, das höchste Angebot zu verschmähen, da er nicht wissen kann, was noch kommt. Der Kniff: Prüft er während des ersten Drittels der Zeitspanne die Angebote lediglich und nimmt er danach das erste an, welches besser als alle bisherigen ist, so wird seine Chance maximal, sich für das höchste Gehaltsangebot zu entscheiden.
Zunächst eine Vereinfachung: Eine Prinzessin sucht einen Märchenprinzen. Sie lädt zehn heiratswillige Prinzen nacheinander ein und sagt jedem Kandidaten jeweils gleich am Schluss des Rendezvous, ob er der Märchenprinz ist oder eben nicht, falls ja, dann bricht der Algorithmus ab. Laufpässe sind endgültig. Die ersten drei Prinzen haben – ohne es zu ahnen – allerdings Pech, denn die Prinzessin will erst einmal wissen, wie hoch sie ihre Messlatte für die restlichen sieben legen soll, sie wählt aus diesen sieben Prinzen den erstbesten Kandidaten aus, der alle bisherigen übertrifft. Der beste Prinz ist ihr gerade gut genug, andernfalls will sie nicht heiraten und geht für immer ins Kloster. Mit welcher Wahrscheinlichkeit findet sie den besten der zehn Bewerber?
Heiraten: Knallharte Mathematik statt Romantik
Die Variable n bezeichnet die Anzahl der Prinzen, m die Zahl der chancenlosen Bewerber in der Testphase und i die Nummer des Kandidaten in der Reihenfolge des Eintreffens.
Die Prinzessin räsoniert: Unter welchen Umständen wähle ich den besten aller n Kandidaten aus? Offensichtlich darf er erst nach der Testphase mit m Kandidaten kommen, sonst verschmähe ich ihn. Entscheidend ist nun, wann der beste der Kandidaten kommt, der vor dem Märchenprinzen eintrifft, dieser Kandidat kann, muss aber nicht der zweitbeste sein. Trifft er noch während der Testphase ein, dann legt er die Messlatte so hoch, dass erst der Märchenprinz Erfolg haben wird; trifft er später ein, dann wähle ich ihn oder einen anderen aus und lerne den gesuchten Märchenprinzen nie kennen.
Der Märchenprinz ist die Nummer i der nacheinander eintreffenden Kandidaten. Mit der Wahrscheinlichkeit m/(i-1) erscheint der beste aller vor dem Märchenprinzen eintreffenden Kandidaten noch während der Testphase – das ist gerade das Kriterium für die erstrebte Auswahl des Märchenprinzen. Für letzteren sind alle n Platznummern gleich wahrscheinlich. Demnach ist die Chance, mit der ich ihn auswähle, gleich der Wahrscheinlichkeit 1/n dafür, dass er an i-ter Stelle kommt, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit m/(i-1), mit der der beste aller vor ihm erscheinenden Kandidaten noch während der Testphase kommt, summiert über alle i von m+1 bis n.
Für das Zahlenbeispiel mit n=10 und m=3 rechnet die Prinzessin ihre Chance mit einem Abakus aus: Die Wahrscheinlichkeit, den besten zu finden, beträgt 3349/8400, also fast 40 Prozent. Die Formel sowie eine ausführliche Herleitung sind an anderer Stelle zu finden.
Im Grenzfall einer sehr großen Anzahl n ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, wenn das Verhältnis m/n gegen den Kehrwert der Eulerschen Zahl e strebt, e ist die Basis der natürlichen Logarithmen. In diesem Grenzfall nähert sich die Wahrscheinlichkeit, den Märchenprinzen zu finden, an 1/e an. Die beschriebene Suchstrategie liefert mit einer Chance von mehr als 3/5 einen der beiden besten Kandidaten.
Über 60 % Chance, eines der beiden besten Angebote zu finden
Das hier gesagte gilt mutatis mutandis zwar für das Verkaufen eines Gebrauchtwagens, nicht jedoch für Aktienverkäufe, denn die Aktienkurse von morgen und übermorgen sind nicht unabhängig voneinander, gerade die Annahme, dass die Kandidaten sich nicht kennen und sich somit nicht gegenseitig beeinflussen, ist hier die Voraussetzung. Kaufinteressenten, die Gebote für das Erwerben eines Gebrauchtwagens abgeben, werden sich hingegen im Normalfall nicht kennen.
Was nun, wenn die Zahl der Kandidaten nicht von Anfang an feststeht? Insbesondere im Fall des oben genannten Bewerbers trifft das nicht zu, jedoch lässt sich das Kochrezept anpassen. Der Bewerber will ein Jahr lang suchen, aber nicht um jeden Preis ein Angebot annehmen. Der Anteil 1/e ist gleich 36,79 Prozent, das ergibt eine Testphase von 365*0,3679, also 134 Tagen. Ab dem 135. Tag wird der Bewerber das beste Angebot annehmen, das alle bisherigen übertrifft.
Eine Personalchefin dreht den Spieß um
Umgekehrt kann eine Personalchefin mit dieser Masche eine Sekretärin aussuchen, nachdem sie eine Stellenanzeige schaltet. Aus Erfahrung weiß sie, nach wie viel Tagen etwa 37 Prozent der Bewerbungen eingetroffen sein werden, nun braucht sie nur noch eine nach dem Stichtag eintreffende Bewerberin zu auszuwählen, die besser sein muss als alle vorherigen. Die Bewerbungsflut wird nach erscheinen einer Stellenanzeige nach und nach abebben, das Auswahlverfahren funktioniert dennoch.
In der Mathematik lässt sich die Theorie stets auf die Praxis anwenden – jedenfalls theoretisch
Einzuwenden wäre, die Theorie lasse sich nicht auf die Praxis anwenden, da Bewerber eine Sperrzeit riskieren, falls sie ein Stellenangebot des Arbeitsamts ohne Begründung ablehnen. Während einer Baisse – nur dann tritt das Problem auf – hilft ein Trick, uninteressante Stellenangebote aus der Wirtschaft vom Tisch zu fegen: Der Bewerber braucht nur sein letztes Gehalt nennen, dann ist Ruhe im Karton.