Wie Hitze tötet

Für Menschen mit Kreislaufproblemen werden Sommertage vor allem in schlecht begrünten Wohngebieten immer riskanter. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Obwohl in Deutschland ein zeitnahes Hitzemonitoring fehlt, ist klar: Hier sterben bereits mehr Menschen durch hohe Temperaturen als durch Verkehrsunfälle. Auch die Natur leidet – und es wird schlimmer.

Die Hitzewelle der vergangenen Tage hat dem deutschen Norden einen neuen Temperaturrekord beschert. Wie Deutsche Wetterdienst (DWD) ermittelte, wurden am vergangenen Mittwoch an der Messstelle Hamburg-Neuwiedenthal 40,1 Grad Celsius gemessen. Auf der DWD-Liste der heißesten Orte folgen an diesem 20. Juli Barsinghausen-Hohenbostel (Niedersachsen) und Huy-Pabstorf (Sachsen-Anhalt) mit jeweils 40,0 Grad.

Ein Hitzewert in Baden-Württemberg wurde korrigiert, weil dort Umgebungswärme das Messergebnis verfälscht hatte. Der Hitze-Rekord liegt in Deutschland bei 41,2 Grad, gemessen am 25. Juli 2019 an gleich zwei Messstationen in Nordrhein-Westfalen.

In Portugal hat die Hitzewelle in den vergangenen Tagen nach Erhebung der dortigen Gesundheitsbehörden bislang 1063 Menschenleben gefordert. Auch hierzulande gab es Hitzetote. "Wie viele es sind, wissen wir aber noch nicht", sagt Henny Annette Grewe, die an der Hochschule Fulda zum Thema Klimawandel und Gesundheit forscht.

Die Professorin kritisiert, dass es in Deutschland kein aktuelles Hitzemonitoring gibt wie beispielsweise in Frankreich. Dort evaluiere der Staat zeitnah über die Rettungsstellen, welche Krankheitslast eine Hitzewelle bringt und wie viele Tote es gibt.

Hierzulande dauere die Aufbereitung von Sterbedaten dagegen Monate bis Jahre. Grewe: "Was wir aus den letzten Jahren aber wissen: Es gibt in Deutschland wesentlich mehr Hitzetote als Tote durch Verkehrsunfälle."

Wir sind "Wärmemaschinen", die überschüssige Temperatur abgeben müssen

"27 Wege, auf denen dich eine Hitzewelle umbringen kann", lautete der Titel einer vielbeachteten Studie, die 2017 im Fachjournal Circulation: Cardiovascular Quality and Outcomes erschien. "Kerntemperatur unseres Körpers ist 37 Grad, ab 40 Grad wird es lebensgefährlich", erläutert Grewe. "Wir Menschen sind Wärmemaschinen, selbst beim Schlafen produzieren wir Wärme. Um die Kerntemperatur stabil zu halten, müssen wir überschüssige Wärme abgeben." Ab etwa 30 Grad Umgebungstemperatur werde das aber schwierig, "dann geht das nur über Schwitzen."

Aber auch diese Strategie des menschlichen Körpers kommt bei 37 Grad Außentemperaturen an seine Grenzen. Grewe: "Dann geraten wir unter Hitzestress." Dieser führe zu mindestens 27 medizinischen Schädigungsmustern, die schlimmstenfalls tödlich enden: Dies gehe bei Wasserverlust los, geht über Zellschädigung oder Organversagen und höre bei Hitzschlag auf.

"Natürlich sind chronisch Kranke, alte Menschen, Schwangere oder Kleinkinder besonders gefährdet", sagt die Expertin. Auch Menschen mit Demenz oder anderen psychischen Beeinträchtigungen reagierten oft nicht angemessen auf Hitze. Aber auch junge Menschen unterschätzten oftmals die Gefahr.

"Hitze ist das größte Problem, das der Klimawandel Europa bringt", urteilt Grewe. Beispielsweise habe die Hitzewelle 2003 in Mittel- und Westeuropa etwa 70.000 Menschen gefordert. "Anders als andere Länder hat Deutschland aber keine Konsequenzen gezogen, mit Ausnahme von Hessen, das in der Folge ein Hitzewarnsystem entwickelt hat."

Während viel geforscht und viel investiert werde, um den Verkehr sicherer zu machen, versage die Politik beim Thema Hitze. "Aber auch die Gesundheitsversorger müssen handeln, die Krankenhäuser und Pflegeheime, das ärztliche und das Pflegepersonal." Denn diese kennen ihre Patientinnen und Patienten. Grewe: "Politische Manifeste gibt es von ihnen seit Jahren, es mangelt aber an guter präventiver Praxis." Mehr Schutzmaßnahmen hatte auch die Ärztekammer Niedersachsens gefordert.

Natürlich leidet auch die Natur. Waldbrände haben in der Europäischen Union in diesem Jahr bereits mehr Fläche vernichtet als im gesamten Jahr 2021. Nach Angaben des Europäischen Waldbrandinformationssystems Effis sind seit Jahresanfang – Stand Freitag – 574.838 Hektar Waldfläche verbrannt, eine Fläche doppelt so groß wie das Saarland. Der bisherige Rekord stammt aus dem Jahr 2017, damals waren fast 990.000 Hektar in der EU abgebrannt.

In Deutschland brannte der Wald in den letzten Tagen beispielsweise in der Sächsischen Schweiz nahe der berühmten Bastei, wenige Kilometer vom Schloss Neuschwanstein in Bayern entfernt, in Bad Saarow östlich von Berlin oder im Sauerland bei Iserlohn. Mittlerweile hat die Feuerwehr die Brände aber unter Kontrolle.

"Außergewöhnliche Dürre"

Mit der Hitze kam auch die Dürre: Auf etwa 80 Prozent der deutschen Fläche gibt es derzeit keinerlei verfügbares Wasser für die Pflanzen, wie der Dürremonitor des Leipziger Umwelt-Forschungszentrums zeigt. Demnach blieben lediglich Gebiete in Oberbayern und Schleswig-Holstein verschont. Der Deutsche Bauernverband konstatiert beim Winterweizen "Trockenschäden in vielen Regionen", die Hitzewelle habe vor allem den Tierhaltern große Sorgen um die Futterversorgung gebracht.

Im Unterboden – wichtig etwa für die Bäume – konstatiert der Dürremonitor eine "außergewöhnliche Dürre" in weiten Teilen Sachsens, Sachsen-Anhalts, Niedersachsens, Badens und Südbrandenburgs.

Wegen der extrem hohen Temperaturen hat auch die Verdunstung in der vergangenen Woche stark zugenommen: Bäume beispielsweise verbrauchen während Hitzewellen mehr Wasser, um sich zu kühlen. Neben Regen, Abfluss und Speicherung von Wasser im Boden ist diese Verdunstung der vierte Faktor in der Wasserbilanz: Bislang ist diese Verdunstung in der Klimaforschung noch wenig beachtet. Aber auch über diesen Zusammenhang sind Hitzewellen und Dürren miteinander gekoppelt.

Das Zentrum der zurückliegenden Hitzewelle lag über Großbritannien: In London wurde mit 43 Grad ein neuer Hitzerekord gemessen. Aber auch weite Teile Afrikas und Asiens erlebten sogar für ihre Verhältnisse extreme Hitze, wie die NASA ermittelte.

Städtebauliche Maßnahmen sind nötig

So wurden beispielsweise in der iranischen Stadt Ahwas 47,3 Grad gemessen. Petteri Taalas, Generalsekretär der World Meteorological Organization WMO, nennt dies das "neue Normal": "Wir werden sogar noch schlimmere Extreme erleben, denn wir haben schon so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen, dass sich der Trend noch Jahrzehntelang fortsetzen wird."

Expertin Grewe fordert deshalb eine Art "Konzertierte Aktion" gegen die zunehmende Hitze: "Wir brauchen Bäume und Parks im Stadtraum, die kühlen, begrünte Fassaden oder Dächer." Wer bei der Stadtplanung heute jene Kaltluftschneisen, die kühle Luftmassen in Wohngebiete tragen, nicht mitdenke, der müsse später Gebäude wieder abreißen, um eine Kühlung der Stadt zu gewährleisten. Henny Annette Grewe: "Es reicht nicht, das Thema auf die Politik zu beschränken."

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