Wie Migration gegen den Rechtsruck hilft
Konservative Politiker warnen: Zu viel Zuwanderung stärke die Rechtspopulisten. Studien unterstützen eine andere Sichtweise
Der Rechtsruck in Deutschland ist auch Folge einer zu liberalen Flüchtlingspolitik. Erst durch die hohen Migrantenzahlen konnte die AfD zur heutigen Größe aufsteigen. So oder so ähnlich argumentieren konservative Politiker seit Jahren, wenn diese eine restriktivere Migrationspolitik einfordern. Forscher haben diese Thesen wissenschaftlich überprüft und kommen zu einem gegenteiligen Ergebnis: Ein hoher Ausländeranteil stärkt die AfD nicht, sondern schwächt sie.
Verantwortlich für die kürzlich vorgestellte Untersuchung ist das Mercator Forum Migration und Demokratie an der TU Dresden. In Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen haben die Forscher die Wahlergebnisse der AfD zur Bundestagswahl 2017 in sämtlichen Landkreisen und Städte in Relation zum örtlichen Anteil an Nicht-EU-Ausländern gesetzt. Dabei stellten sie fest: Je höher der Ausländeranteil an der Bevölkerung, desto niedriger fiel das Wahlergebnis für die AfD aus. Besonders erfolgreich war die AfD hingegen dort, wo die Bevölkerung besonders homogen zusammengesetzt ist. Das Fazit der Forscher:
Die Ergebnisse zeigen, dass im Durchschnitt ein höherer Anteil an ethnischen Minderheiten in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt zu einem niedrigeren Wahlergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2017 führte. Das bedeutet, dass die AfD vor allem in ethnisch homogenen Landkreisen erfolgreich ist.
Mercator Forum Migration und Demokratie
Auch in einem anderen Aspekt widersprechen die Studienergebnisse der öffentlichen Wahrnehmung: Der Zusammenhang zwischen hohen Ausländeranteil und niedrigen Wahlergebnissen zeigte sich auf dem Land stärker als in großen Städten. In dünn besiedelten Gebieten verlor die AfD mit jedem Prozent Ausländeranteil statistisch 0,34 Prozentpunkte an Stimmen. In Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte waren es nur 0,25 Prozent.
Zur Erklärung verweisen die Studienmacher auf die 1954 vom amerikanischen Vorurteilsforscher Gordon Allport entwickelte "Kontakthypothese". Diese geht davon aus, dass ein steigender Bevölkerungsanteil einer Minderheit zu steigenden Interaktionen mit der Mehrheitsbevölkerung führt. Diese wiederum führe dazu, dass Vorurteile und fremdenfeindliche Einstellung abgebaut würden.
Ein abrupter Anstieg des Ausländeranteils nützt der AfD
Die Schlussfolgerung, die AfD ließe sich durch den bloßen Zuzug von mehr Flüchtlingen bedeutungslos machen, lässt sich aus den Studienergebnissen allerdings nicht ziehen. Die Forscher haben auch überprüft, wie sich die Migrationsbewegung der letzten Jahre auf die Wahlergebnisse der AfD ausgewirkt haben.
Dazu brachten sie die Ergebnisse der AfD seit ihrem ersten Antreten bei der hessischen Landtagswahl 2013 bis zur hessischen Landtagswahl 2018 in Verbindung mit der Entwicklung des Ausländeranteils in den jeweiligen Städten und Landkreisen. Dabei zeigte sich, dass die AfD vor allem in Gegenden, in denen vorher nur wenige Ausländer lebten, mit steigendem Ausländeranteil auch Stimmen gewinnen konnte:
Ein Signalereignis wie die "Flüchtlingskrise" von 2015 und die intensive Medienberichterstattung über Migration haben die Sichtbarkeit dieses Wandels verstärkt und insbesondere dort Vorbehalte geweckt, wo die bisherigen Erfahrungen mit Diversität und ethnischem Pluralismus besonders schwach ausgeprägt waren.
Mercator Forum Migration und Demokratie
Einen ähnlichen Zusammenhang stellte im vergangenen Jahr auch Hannes Weber vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforscher fest. Seine Untersuchung fand heraus, dass die Einstellung junger Erwachsener gegenüber Migranten sich über längere Zeit in Deutschland positiv entwickelt habe. Der abrupte Anstieg der Zuwanderung seit 2015 habe diesen Trend allerdings umgekehrt.
Hohe Flüchtlingsfeindlichkeit, wo es kaum Flüchtlinge gibt
Von solchen Ausnahmeereignissen abgesehen stützen allerdings mehrere andere Studien die These, wonach generell ein hoher Migrantenanteil ausländerfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung verringere.
Ähnlich den Wissenschaftlern vom Mercator Forum Migration und Demokratie hatte im Jahr 2017 der Demographie-Forscher Erich Kaufmann von der University of London den Zusammenhang zwischen Migration und rechten Wahlerfolgen im Vereinigten Königreich untersucht. Auch er stellte fest: Die Unterstützung für die rechtspopulistische UKIP war dort am niedrigsten, wo der Bevölkerungsanteil ethnischer Minderheiten am größten ist.
In einer europaweiten Studie kam 2016 das US-Meinungsforschungsinstituts PEW zu dem Ergebnis, dass flüchtlings- und muslimfeindliche Einstellungen vor allem in Ländern verbreitet sind, in denen vergleichsweise wenig Flüchtlinge und Muslime leben.
Bei der Befragung von 10.000 Menschen in zehn europäischen Ländern betrachteten beispielsweise besonders viele Menschen in Ungarn (76 Prozent) und Polen ( 71 Prozent) Flüchtlinge als potenzielle Terrorgefahr, während in Frankreich (46 Prozent) und Spanien (40 Prozent) die wenigsten Menschen diesen Zusammenhang äußerten.
Auch gegenüber Muslimen zeigten sich Ungarn (72 Prozent) und Polen (67 Prozent) besonders negativ eingestellt. Mit 29 Prozent erfuhren Muslime hingegen die geringste Ablehnung im Land mit dem größten muslimischen Bevölkerungsanteil, Frankreich, und dem Land, das im Jahr zuvor, die größte Zahl (muslimischer) Flüchtlinge aufgenommen hatte: Deutschland.