Wie Neo sind die Nazis?
Zur neuen rechten Herrlichkeit
Neo ist in. Neo ist der Matrix-Erlöser im Prêt-à-Porter-Gestapo-Look. Neo sind die konservativen Herren Amerikas, die sich zugleich für die Herren der Welt halten. "Neo" sind unsere Nazis, die wir doch für ewige "Retros" hielten. Nach ihren parlamentarischen Erfolgen wollen sie nun ganz besonders "Neo", d.h. eine echte politische Kraft werden. NPD und DVU beabsichtigen nämlich nicht nur ein Wahlbündnis zum Bundestag 2006 zu schließen, wie es der NPD-Vorsitzende Udo Voigt bereits ankündigte. Sondern die NPD-Parteispitze rüstet sich auch mit militanten Neonazis auf. Mit Thomas "Steiner" Wulff und Thorsten Heise sollen zwei einschlägig bekannte Figuren der Szene zum NPD-Bundesvorstand dazustoßen.
Faszinosum des Schreckens
Der Einzug der Rechten in den Reichstag wäre ein mächtiges Signal, dass sie wieder hoffähig werden und noch mehr Unzufriedene um sich scharen könnten. Schon wird die Angst laut, ein charismatischer "Führer" könnte sich schließlich vor die rechten Kader stellen und die Massen zum neuen Volkssturm fanatisieren. Wiederholt sich die braune Geschichte auch jenseits von Guido Knopp?
Ob der Führer von Charlie Chaplin oder Bruno Ganz reinszeniert wird, der Komik des Schrecklichen, der Groteske von Selbstdarstellern, die dem Chargenfach verpflichtet bleiben, kann man sich im Blick auf die Originale nur schwer entziehen. Unverständlich bleibt dem heutigen Beobachter nach wie vor, wie diese martialischen Auftritte sich nicht allen als das mitteilten, was sie waren: Untergangsmusik, "Wahn, Wirklichkeitsverweigerung und Zerstörungsbereitschaft" (Guido Knopp).
In jener Zeit jedoch besaß Hitler ein populistisches Charisma, ungeachtet der theoretischen Frage, ob nun Max Webers berühmte Definition des Charismas diesen Typus fasst. Hitler schlug selbst die in Bann, die es besser hätten wissen sollen, wenn wir den Vorurteilen glauben würden, dass Kultur oder Bildung ein Immunschutz gegen das Böse sind. Die "Banalität des Bösen" trifft es daher nicht alleine, wenn die politischen Erfolge der Nazis erklärt werden. Die Nazis waren zumindest in ihrer Zeit nicht die ewig Gestrigen, als die ihre Epigonen bisher erschienen.
Sind nicht die "Massen", die es ja allen Ideologen nach immer zu mobilisieren gilt, weiterhin das "willfährige Weib", das der Führer im kollektiven Koitus mit seinen Zuhörern genoss? Ist die Masse, mit der Faschisten aller Zeiten intimen Umgang pflegten, nicht immer wieder zu erobern, nicht jederzeit bereit, sich zu fanatisieren, wenn denn Gustave le Bons Ausführungen zur Massenpsychologie auch und gerade in fortgeschrittenen Zeiten medialer Brandbomben-Technologien weiterhin richtig sind?
Die Einbindung des Einzelnen in das erregte Kollektiv ist mit Wahrnehmungsverlusten und erstaunlichen Einbußen an kritischer Distanz verbunden. Da hilft dann angeblich Aufklärung: "Wir müssen wissen, wer Hitler war", erläutert der allgegenwärtige Fernsehaufklärer Guido Knopp seine stetig wachsende historische Produktpalette um einen unendlichen Mythos. Erklärt sich die grassierende Lust an der braunen Historie allein aus einem Aufklärungsbedarf, aus dem respektablen Wunsch, aus den Lehren der Geschichte zu lernen? Hitler und Konsorten haben Konjunktur von Knopp über Eichingers "Untergang" bis hin zum grotesken Einsatz als Reklamefiguren (Hitlers posthume Karriere als Reklameherrscher).
Man kommt ins Grübeln, wenn man zur prime time die endlosen Reprisen über Volk- und Führergeschichten sieht. Was ist das scheinbar nicht erledigte Faszinosum der tausendjährigen Herrscher? Doch wichtiger ist: Ist es wiederbelebungsfähig? Allein die Führerfilme bis zum allfälligen Untergang, der ja seiner filmischen Wiederaufbereitung zufolge längst keiner des Themas ist, rühren an einen nicht erledigten Schrecken, einen Schock der Moderne, die umstandslos in die Barbarei fällt. Es ist diese unglaubliche Mischung aus Schrecken und Groteske, das Aufeinandertreffen von Zivilisation und Barbarei, die das alte Unbehagen an den Verhältnissen für eine kurze Fernsehzeit aufstachelt. Oder doch länger?
Das Unbehagen wächst jedenfalls in einer Gesellschaft, die nicht so recht weiß, wie sie ihren vormaligen sozialen Standard noch halten kann und vielleicht morgen schon die hässliche Fratze der Armut durchs Fenster grinst. Und so könnte auch heute trotz der vermeintlichen Durchschaubarkeit der Wähler, den längst die Panik auf der Titanic erfasst hat (Volle Panik auf der Titanic), auf den neonazistischen Leimruten kleben bleiben. Ist der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch? (Bertolt Brecht, Kriegsfibel, 1955). Oder ist die Ausschau nach einem Führer und unverbesserlichen Weltverbesserern nur ein bisschen Medienhysterie?
Die kassandrischen Seher haben jedenfalls ihre Argumente: Hohe Arbeitslosigkeit, eine identitätsschwache Demokratie, Volksverhetzer, die mit modernen Techniken wie dem Internet und musikalischen Travestien rechter Themen flächendeckend operieren: Nun Volk steh auf und Sturm brich los?
Die Nazi-Klone im Schafspelz
Zwischen den braunen Herrschern und ihren Adepten bestehen indes Unterschiede, die selbst ihren Gesinnungsgenossen auffallen sollten. Wer die Klonversuche bislang betrachtete, konnte nicht umhin, die schlechte Kopie zu sehen. Rhetorische Armut und eklektische Symbolwahl aus der Altkleidersammlung der Geschichte bestimmten die Bilder, wenn etwa Thorsten Heise beim "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" im August 1993 in einer verbotenen Uniform erschien oder Christian Worch 2001 in Leipzig "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" skandierte. Die Nazis waren im Vergleich zu diesem einfallslosen Retro-Look ein historisches Novum trotz ihres synkretistischen Zugriffs auf die ihnen passende Geschichtsversion und dem zusammengeklaubten Mythenkleister. Rechte Extremisten galten daher bislang nicht nur als gewaltbereit, sondern auch als muffig, langweilig und gerade deshalb nicht einmal als die Söhne jener Väter, die sie doch so gerne beerben wollen.
Doch die Methoden der Verführung werden verfeinert. Gefährlich würde ein antidemokratischer Typus, der seine Gesinnung nicht so offensichtlich aus dem braunen Bodensatz der Geschichte ausgräbt. Und daran arbeitet man: An neuen Formen von Zusammenschlüssen, will hippe Musik und Spiel, um nicht nur Kids zu ködern. Die Extremisten gründeten mit den "Freie Kameradschaften" Organisationen ohne formelle Konstitution. Damit werden staatliche Verbote unterlaufen, weil diese losen "Volksgemeinschaften" juristisch kaum zu erfassen sind.
Vor allem aber sind die neuen alten Kameradschaften attraktiver für Jugendliche, die Gemeinschaften suchen und in diesem Wunsch oftmals nur schlecht von einer Gesellschaft bedient werden, der die Mittel knapp werden, Pädagogik als einen Auftrag zu begreifen, der nicht am Schultor endet. Solche Gruppierungen verbinden das Angenehme mit dem "Nützlichen": Musik macht die politische Arbeit genießbar bis schmackhaft. Die Extremisten setzen auf die "Events" der juvenilen Spaßgesellschaft, die gegen Parteitreffen ausgetauscht werden, die vormals im konspirativen Hinterzimmer stattfanden. Die Muff des tausendjährigen Reichs wird gegen Rock und Rap ausgetauscht. Nazis goes Subkultur.
Sie bewegen sich auf den Spuren von Joseph Goebbels, der sich in seiner zynischen Selbsteinschätzung nicht nur als erfolgreichen amerikanischen Politiker vorstellen konnte, sondern auch ein dialektisches Mediencredo besaß: Keine gute Propaganda ohne gute Politik wie umgekehrt. Die gute Botschaft ist bei seinen gegenwärtigen Bewunderern angekommen. Zuletzt wollten deutsche Neonazis flächendeckend mit der "Aktion Schulhof" 50.000 CDs mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" unter das Jungvolk der Schulen verteilen. Vor Gericht erlitten sie eine Schlappe. Doch der Zug auf die Straße, der auch in jener "großen Zeit" die Bevölkerung begeisterte, hat vielleicht eben erst begonnen.
Stephan Lindke und Andreas Speit haben die ästhetische Mobilmachung der Extremisten untersucht:
Dass die dazu nötigen Schlagwörter, Begriffsketten, Liedstrophen oder Schlüsselbilder weder theoretisch stringent, noch historisch korrekt sind, dekonstruiert die Mythen nicht. Sie verstärken vielmehr den Habitus der in sich geschlossenen Gruppe, die der wahrhaftigen Wahrheit ewig treu bleibt. Die politische Reproduktion der Mythen garantiert den Neonazis eine traditionelle Identität und kulturelle Kontinuität von Volk, Rasse und Nation. Durch die permanente Wiederholung bestimmter Rituale wird eine Erinnerungs- und eine Erlebnisgemeinschaft erzeugt, die die einzelnen Mitglieder an die Gemeinschaft bindet.
Gewiss, doch trotz Schönhuber und Haider haben wir bis heute keine Charismatiker erlebt, die einen echten Flächenbrand ausgelöst hätten und noch halten sich die rechten Erlebnismilieus in Grenzen. Doch vielleicht geht es auch ohne Führer-Klone. Denn nicht nur der harte Beat gegen die Demokratie wird bei den neuen Rechten gepflegt, sondern vor allem eine neue politische Geschmeidigkeit, drängende politische Themen zu besetzen.
Der Verfassungsschutz nennt zwei Momente der neuen rechten Herrlichkeit: Die Gefahr des islamistischen Terrors und dem verbunden ein Misstrauen gegen Muslime. Zugleich wird die befürchtete Niederlage des Sozialstaats durch die Hartz-Reformen von Rechten als zugkräftiges politisches Thema entdeckt. Schon verkünden sie, dass der Bundesregierung die "Felle davon schwimmen". Sie künden vom Sozialabbau und der Notwendigkeit, auf die Straße zu gehen, jetzt da die "Nerven der Etablierten" blank liegen.
Das Ende des Nationalismus
Doch auch der politische Parasitismus, radikale Fragen des angeschlagenen Sozialstaats nationalradikal zu besetzen, mythentriefender Neofolk und brauner Rap werden an ihre Grenzen stoßen. Selbst wenn die Denkzettelmentalität um sich greift und die neue rechte Ästhetik des Wolfs im Schafspelz dem Wähler gefällt und jeder recht ist, der rechts ist, gibt es anachronistische Heilsbotschaften, die unter den gegenwärtigen Auspizien eben politisch nicht mehr funktionieren.
Primär sind die Neonazis auf eine klar konturierte Nation angewiesen, wie sie es selbst bei jeder Gelegenheit betonen. Die NPD erläutert das mit viel Kreide im Mund so:
Eine weitere Grundlage des Nationalismus ist die Akzeptanz des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Deutsche Nationalisten erheben nur Anspruch darauf, die Lebensumstände des deutschen Volkes zu gestalten. Wie andere Völker ihre Lebensumstände gestalten, liegt in deren Entscheidungsbereich. Konflikte treten dort auf, wo die Selbstbestimmungsrechte verschiedener Völker kollidieren, wie dies beispielsweise im Naturschutzbereich der Fall ist.
Aber die Nation wird nicht mehr zur Identitätsformel, so wenig wie in jenen europäischen Ländern, die zwar ohne historische Hypothek leichter von ihrer Nation schwärmen, aber auch sukzessive und wohl unwiderruflich ihre Souveränität an Europa abtreten.
In den konzertanten Machtverhältnissen Europas und der Welt hat der Nationalismus dauerhaft keinen echten Platz, obwohl die gegenwärtigen Einigungsanstrengungen gerade mit massiven nationalen Interessen und Egoismen zu kämpfen haben. Die Idee der Macht hat sich von ihren vormaligen nationalen Wirten verabschiedet und bestimmt nun ein Europa, das weniger von seiner Identitätssuche als von handfesten Interessenpolitiken bestimmt wird, die von der Europäischen Union überformt und unter Schwierigkeiten gesteuert werden - so wenig das die Warner und Mahner vor europäisch-türkischen Beitrittsverhandlungen wahr haben wollen.
Das zukünftige globale Machtgeflecht entscheiden "Global Players" und es gibt keine europäische Nation, die diesen Anspruch aus eigener Macht erheben könnte. Günther Verheugen, EU-Kommissar für die europäische Erweiterung, charakterisiert Europa als einen politischen Interessenverband, der sich gerade nicht auf homogene Kulturen, Christentum oder Sprachwurzeln, sondern auf eine mehr oder minder homogene Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und knallharte ökonomische Interessen verlässt. Das macht freilich Angst, weil die politischen und ökonomischen Kalkulationen supranationaler Macht in einer offenen Zukunft und im Blick auf die Komplexität der Probleme neue Sieger wie Verlierer zeitigen könnte.
So wird von den Rechten reichlich geschichtsvergessen die Nation als Heimstätte verlorener Seelen beschworen, als sei die Nation je etwas anderes als eine Machtkonstruktion gewesen und eben nicht die von der NPD und ihren Ahnen beschworene Volksgemeinschaft. Nationen waren propagandistisch verbrämte Zwangszusammenschlüsse mit vielen Gemeinschaften und zahlreichen heterogenen Interessen, die unter der Machtglocke künstlich zusammengeschlossen wurden.
Europa aber ist ein Moloch anderer Bauart, der weiter demokratisiert und kontrolliert werden muss, wenn er nicht seine eigenen, neuen Katastrophen kreiert. Allein das entscheidet über Wohl und Wehe der Menschen. Die nationalistischen Regressionen kommen auch diesmal zu spät, so gefährlich ihre politischen Ambitionen, ihr Geschichtsrevisionismus gegenwärtig auch erscheinen mögen. Deshalb mag man die rechten Extremisten fürchten, etwas anderes als eine nationale Restpostenverwaltung wird daraus nicht werden, weil die wahren Leitmotive der Macht längst einer anderen Melodie folgen.