Wie aus einem Elefanten eine Mücke wurde

Aus der Reform des Sexualstrafrechtes wurde ein Reförmchen

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Es war als großer und schneller Wurf geplant, wurde dann immer kleiner und kam im Schneckengang daher - die Reform des Sexualstrafrechtes. Als neu ernannte Ministerin wollte Frau Zypries ihre Stärke demonstrieren und suchte sich dabei ein Thema heraus das sich als Fallgrube erwies.

Im Januar legte die Ministerin ihren Gesetzesentwurf zur Reform des Sexualstrafrechtes vor. Die wichtigsten Eckpunkte finden sich in der Erhöhung von Strafen, die Möglichkeit der DNA-Analyse bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und der Anzeigepflicht bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch eines Kindes.

Erhöhung von Strafen:

Ursprünglich sollten die "minder schweren" Fälle bei sexuellem Missbrauch von einem Vergehen zu einem Verbrechen hochgestuft werden. Damit würde sich das Strafmass erhöhen und es wäre Richtern nicht mehr möglich gewesen adäquat darauf einzugehen, dass zum Beispiel ein 18jähriger mit einer 13jährigen eine sexuelle Beziehung hat. Daher wurde diese Überlegung schon im Vorfeld wieder fallen gelassen, da sie auf heftige Kritik stieß. Die Praktiker bei den Gerichten wiesen zu Recht auch darauf hin, dass es dann wahrscheinlich zu einer vermehrten Einstellung von Verfahren gegen eine Geldbusse kommen würde. Zudem wurde befürchtet, dass die Bereitschaft ein Geständnis abzulegen dadurch beim Täter sinken würde. Dies hätte dann aber bedeutet, dass die Opfer gehört werden müssen. Diese Bedenken wurden in dem Gesetz aufgenommen und es wird lediglich auf die Möglichkeit einen "minder schweren" Fall anzunehmen, reduziert. Damit hat man versucht den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Besser wäre es allerdings gewesen nichts an der alten Rechtsprechung zu ändern. Die Nachteile wiegen die Vorteile nicht auf.

Auch bei der Kinderpornographie werden sich die Strafmasse erhöhen. Der Besitz von Kinderpornographie wird zukünftig mit bis zu zwei Jahren bestraft werden können, und wer Kinderpornogarfie verbreitet muss mit drei Monaten bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Bisher war es höchstens ein Jahr. Die untere Grenze des Strafmasses ist wohl unter anderem darauf zurückzuführen, dass mancher meint, er würde Kinderpornographie unverlangt zugesandt bekommen.

DNA-Analyse bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung:

Nach der bisherigen Rechtsprechung kann eine DNA-Analyse nur angeordnet werden, wenn eine erhebliche Straftat vorliegt. Dies wird nun gelockert. Zwar geht man nicht ganz so weit wie die CDU in ihrem Antrag, aber im Einzelfall kann auch bei geringfügigeren Taten der genetische Fingerabdruck gespeichert werden, wenn eine schlechte Prognose bei dem Täter vorliegt.

Mit dieser Erweiterung der Erhebung von persönlichen Daten wird der Datenschutz weiter unterhöhlt. Aber offensichtlich ist es inzwischen nicht mehr möglich diesen Trend aufzuhalten. Dabei sollten doch die Persönlichkeitsrechte auch den Politikern inzwischen einiges Wert sein. Auch wenn sie glauben, dass sie nicht betroffen wären.

Anzeigepflicht bei Verdacht auf sexuellem Missbrauch:

Mit dieser Regelung sollten Personen, die den Verdacht hegen, dass sexueller Missbrauch vorliegt, mit Strafen bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden können.

Schon bald nach der Vorstellung des Reformpaketes setzte ein Sturm der Entrüstung über die Anzeigepflicht bei sexuellem Kindesmissbrauch ein. Kinder- und Jugendschützer, Psychologen und der Anwaltsverein wiesen darauf hin, dass die negativen Folgen größer als der Nutzen sein können. Der Geheimhaltungsdruck auf das Kind würde sich noch mehr erhöhen, da es nicht weiß, wie die Vertrauensperson mit der Information umgehen wird. Und auch die Vertrauensperson gerät in Gewissenskonflikte. Wahrt sie das Vertrauen und versucht planvoll und einfühlsam der Situation zu begegnen, macht sie sich strafbar. Die Folge wäre, dass noch weniger Menschen bereit sind hinzuschauen - eine fatale Folge.

Die Kritiker aus der Praxis waren zur Anhörung des Rechtsausschusses erst gar nicht geladen. Politisches Fingerspitzengefühl konnte man bei diesem wichtigen Thema nicht finden. Eine gross angelegte Pressekonferenz, um zu zeigen, dass die Problematik wichtig und ernst ist, kann solche Unzulänglichkeiten nicht überdecken. Aber auch die geladenen Sachverständigen lehnten diese Regelung mehrheitlich ab. Zum Teil wurde die Reform gänzlich abgelehnt, da die letzte erst 97/98 gewesen ist und eine Auswertung der Ergebnisse noch gar nicht erfolgen konnte (vgl. "Anflug von schlechtem Gewissen")

Die Ministerin versuchte noch etwas zu retten indem sie in einem überarbeitetem Entwurf nur noch eine Mitteilungspflicht aufnahm. Aber auch dies stieß auf Ablehnung bei den Verbänden, da es sich dabei lediglich um Kosmetik handelte.

Nachdem der Druck der Kinderschützer immer größer wurde, lehnte die Konferenz der Landesjustizminister Mitte Juni die geplante Anzeigepflicht ab. Damit war klar, dass die Regelung nicht länger zu halten war. Trotzig zog die Ministerin nun diese Regelung zurück. Sie hielte die Anzeigepflicht nach wie vor für richtig, aber sie gegen den Widerstand der Opferverbände durchzusetzen wäre angeblich sinnlos gewesen. Nach längerer Debatte einigte sich die rot-grüne Koalition nun auf einen Gesetzesentwurf. Die umstrittene Anzeigepflicht bei Verdacht von Sexualstraftaten ist aus dem Strafgesetz herausgenommen worden.

Sinnvoller wäre es allerdings gewesen erst einmal das Aktionsprogramm anlaufen zu lassen und nach der Auswertung Änderungen im Sexualstrafrecht vorzunehmen, bevor diese Reform ohne fachliche Beratung auf den Weg gebracht wurde und als Reförmchen am 3.7.2003 im Bundestag endete.