Wie das Leben so spielt

Der große Spieltheoretiker und Unterhaltungsmathematiker John H. Conway wird 75

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Versuche, Mathematik nicht nur anschaulich, sondern auch unterhaltsam zu gestalten und zu präsentieren, gibt es zahlreiche: von mit historischen Anekdoten geschmückten Lehrveranstaltungen ("Wie der kleine Gauß die arithmetischen Reihen entdeckte …") über skurril-praktische Anwendungsfälle ("Differenzialgleichungen für den Bierschaumkronenzerfall") bis hin zu Witzen ("Sei ɛ < 0!" oder "Treffen sich zwei Geraden im Unendlichen ..."). Ihren wirklich spielerischen Charakter beweist die Mathematik jedoch besonders deutlich in der Spieltheorie. Und dass auch diese nicht so trocken präsentiert werden muss, wie dereinst bei John von Neumann und Oscar Morgenstern, hat der englische Mathematiker John Horton Conway vorgeführt, der heute seinen 75. Geburtstag feiert.

Bekannter als die in seinem Wikipedia-Eintrag aufgezählten, humoresken Mathematik-Entdeckungen (Monster-Gruppe, Doomsday-Methode oder surreale Zahlen) ist ein von ihm entwickeltes Spiel, das seit den frühen 1970er-Jahren vor allem Computerbegeisterte immer wieder zu neuen Implementierungen inspiriert hat: "Conway‘s Game of Life" - oder schlicht: Das Spiel des Lebens. Die Regeln für das Spiel sind so einfach, wie die Spielverläufe komplex und verblüffend sind: In ein möglichst unendlich großes, zweidimensionales Raster (sei es aus Papier oder Software) werden so genannte zelluläre Automaten eingetragen. Diese verbleiben dort, vermehren sich mit der Zeit oder sterben ab auf Basis dezidierter Regeln.

John Horton Convay 2005. Foto: Thane Plambeck. Lizenz: CC BY-2.0.

Die Urversion des Spiels schreibt drei Regeln vor: Befinden sich irgendwo genau drei Zellen in direkter Nachbarschaft, entsteht eine neue, vierte. Sind von einer Zelle jedoch weniger als zwei der möglichen acht Nachbarn lebendig, stirbt sie (vor Vereinsamung) ab, ebenso, wie wenn mehr als drei lebende Nachbarn vorhanden sind (dann tritt ihr Tod aufgrund von Überbevölkerung ein). Aus diesen drei Regeln in Verbindung mit der Frage, was darüber hinaus so alles in der weiteren Nachbarschaft so vor sich geht, entstehen komplexe Prozesse, die zu Mustern, Chaos, Starre, zu Wachstumsexplosion oder totaler Auslöschung führen.

Regeln und Folgen

Conways Spiel spielt sich also in der Zeit ab, kennt und benötigt die direkt vergangene Vergangenheit für seine Gegenwart und Zukunft. Für alle Zellen wird Zug um Zug ermittelt, wie sie sich aufgrund ihrer Nachbarschaftsverhältnisse weiterentwickeln. Nach Veröffentlichung der Spielregeln entstanden schnell Wettbewerbe verschiedenster Couleur: Gibt es Ausgangskonstellationen, die vorhersagbare Endeffekte zeitigen? Lassen sich (über Generationen hinweg) selbst-regenerierende Muster bauen? Welche und wie viele mögliche Animationstypen (Gleiter, Schwimmer, …) gibt es - also Zellverbände, die in sich stabil bleiben, sich aber über das Raster bewegen? Und so weiter.

Doch nicht nur solch spielerische Anwendungen wurden erprobt und diskutiert: Das Regelset wurde ebenso schnell als Modell für verschiedene realweltliche Phänomene gelesen: Sei es nun ein stark vereinfachtes biologisches (Ökologie) oder soziales (Segregation) System, ein Beispiel für Emergenzphänomene, die auftauchen, wenn einfache Grundbedingungen zu komplexen Interaktionssystemen führen (Ursuppe), wirtschafts- und militärwissenschaftliche Fragen (Operation Research) oder schlicht die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum u. d. g. R.

Spiel und Ernst

Dass hinter diesem wie auch jedem anderen Spiel natürlich immer der Ernst steht, wird schnell klar, wenn man sich die Implementierungen anschaut oder selbst einmal eine vornehmen möchte und die Regeln modifiziert. Conways Spiel entstammt der Automatentheorie und ist damit sowohl ein sehr interessantes Beispiel angewandter Spieltheorie (auch wenn es hier einmal nicht um Strategiefragen geht) als auch von Automatentheorie, die für die theoretische Information von allgemeiner oder besonderer Bedeutung ist.

Ein Durchlauf des Spiels. Bild: Stefan Höltgen.

Vielleicht ist es genau deshalb so populär geworden: Weil es vor allem diejenigen zum Spielen einlädt, die mehr tun wollen und können als nur seine Regeln anzuwenden - nämlich sie auch programmierend zu verändern: die so genannten "Nerds". Denn sie sind ja immer schon diejenigen gewesen, die abstrakte Computerthemen anschaulich gemacht haben. Und zu ihren Säulenheiligen gehört deshalb auch ganz zu Recht John Horton Conway. Der hat ihnen nicht nur "das Spiel" gegeben, sondern auch die erweiterte Nerdperspektive: dass nämlich "das Ganze" eben doch auch bloß ein Computerspiel, gespielt vielleicht vom fliegenden Spaghettimonster, sein könnte.

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