Wie der "Geldflut" begegnet wird

Seite 3: Lohn-Preis-Spirale

Klarheit bei der Inflationsbekämpfung herrscht jedenfalls über die dienende Rolle des Proletariats. Dieses ist in der EZB zwar unterrepräsentiert, sie geht aber trotzdem mit gutem Beispiel voran:

"Die EZB-Chefin soll Forderungen von Mitarbeitern zurückgewiesen haben, (die) ihre Gehaltserhöhungen an die Inflationsraten gekoppelt sehen (wollten). Lagarde … bestand darauf, dass künftige Anpassungen 'angemessen' sein müssten. Eine Indexierung der Gehälter an die Inflation (sei) nicht wünschenswert und nicht beabsichtigt."

Wirtschaft und Währung gelten schließlich als die maßgeblich Leidtragenden der Geldentwertung, und eine "Scala mobile" wie im linken Italien der 1970er Jahre, selbst ein Anklang daran, passt definitiv nicht in die heutige Zeit. Deshalb warnt der Bundesfinanzminister:

Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist real, die Inflationsentwicklung würde dann zusätzlich verstärkt.

Auch 89 Prozent der Familien-Unternehmen bezeichnen die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale als "groß" oder "sehr groß". Außerdem, so hört man, würden auch die abhängig Beschäftigten durch die neuen Mindestlöhne und den Fachkräftemangel die Teuerung antreiben.

Sogar zur Idee der Ampel-Regierung, eine eventuelle Einmalzahlung an die Arbeitnehmer von der Lohnsteuer zu befreien, vermerkt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm:

Das kann auch nach hinten losgehen … und unmittelbar die Nachfrage und somit wieder die Inflation anheizen.

Ausgerechnet der Klasse von Leuten also, die demnächst wählen dürfen, ob sie in Urlaub fahren oder lieber heizen, wird das abgesprochen, was im Fall ihrer Arbeitgeber auf Verständnis trifft. Dass Baufirmen, Energieversorger, Supermärkte oder Reiseunternehmen ihre gestiegenen Kosten weitergeben müssen, um wirtschaftlich zu bleiben, leuchtet dem bürgerlichen Sachverstand ein und wird nicht als "Preis-Preis-Spirale" geschmäht.

Bei Arbeitnehmern aber soll es gefährlich werden, für das Wachstum auf der Gegenseite nämlich, wenn sie die erhöhten Produktionskosten ihrer Ware Arbeitskraft beim Lohn in Rechnung stellen wollen. Die haben sich damit abzufinden, dass der Staat mit seinen Entlastungspaketen sozusagen als ökonomischer Stimmungsaufheller "den gefühlten Inflationsdruck beim Netto-Einkommen abmildert" (Lindner).

Das soll zudem dysfunktionale Entwicklungen wie den Verlust der Wohnung, frierende Rentner u. Ä. in Grenzen halten und hat die offizielle Inflationsrate im Juni leicht gedrückt.

Auch die Gewerkschaften wissen, wie wichtig "stabilitätskonforme Tarifrunden" sind, und kriegen das vom Kanzler bei der "konzertierten Aktion" im Juli noch dreimal gesagt – auch wegen der Opfer, die im Krieg für die europäische Friedensordnung anstehen (Konzertierte Aktion gegen Preissteigerungen: "Unterhaken" für höhere Löhne?).

Arbeitnehmer-nahe Ökonomen wie Sebastian Dullien plädieren derzeit für "mindestens drei Prozent", weil die Arbeitsleute nicht nur die Ihren, sondern anteilig auch die "Volkswirtschaft" ernähren.

Deshalb seien "gerade in Inflationszeiten steigende Reallöhne notwendig, damit (diese) nicht in eine Rezession abstürzt". Kollege Marcel Fratzscher ergänzt besorgt:

Ein Schrumpfen der Reallöhne bedeutet, dass die Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten und somit auch die Nachfrage schrumpft. Unternehmen machen dann weniger Umsatz.

Die Unternehmerinnen und Unternehmer hätten zwar nichts dagegen, wenn die liebe Konkurrenz den Arbeitern die Bezüge erhöht, die sie dann bei ihnen ausgeben. In Bezug auf die eigenen Lohnkosten, die stets einen Abzug vom Gewinn darstellen, sind aber sie die Profis, kennen die Prioritäten und sitzen bei deren Durchsetzung am längeren Hebel. Das ist staatlich anerkannt und gewollt.

Und wenn sie mehr Lohn zahlen würden, damit ihnen ihr Krempel abgekauft wird, könnten sie den auch verschenken. Aber Marktwirtschaft geht anders und Inflation gehört zum System.