Wie die AfD um die Macht im Osten kämpft – und was sie dort stark macht

Seite 2: Verkauf einer Volkswirtschaft zum Schleuderpreis

Und er schreibt: "Je stärker betont wird, das Land sei Schrott gewesen, desto stärker identifizieren sich viele Ostdeutsche aus Trotz mit der alten DDR. Die Ostdeutschen haben ein Anrecht darauf, dass ihnen erklärt wird, warum die Treuhand mit dem Verkauf der gesamten ostdeutschen Volkswirtschaft nur 34 Milliarden Euro erzielt hat. Etwas mehr als 50 Milliarden Euro hat die Versteigerung einer Mobilfunklizenz erbracht." (Ebd.: 341; zur Treuhand und der Wahrnehmung durch die Betroffenen siehe auch Vinke 2021)

Die Gefahr der politischen Entfremdung und Radikalisierung

Autoritäre Dynamiken gegen Demokratie und Minderheiten sind in den ostdeutschen Bundesländern relativ stabil und damit die Chancen einer Stärkung demokratischer Kultur und Parteien im entscheidenden Wahljahr 2024 prekär. Jedenfalls zeigt das die vielleicht wichtigste Studie zur Wahrnehmung der Ostdeutschen, die das Else Fraenkel Brunswick Institut der Universität Leipzig in einer repräsentativen Befragung von 3.546 Menschen durchgeführt hat. (Decker/Kiess/Brähler 2023).

Danach gab die große Mehrheit der Befragten in einer Umfrage aus dem Jahr 2022 an, sich ohne politischen Einfluss zu sehen. Dem entspricht, dass die Identifizierung als Ostdeutsche hoch und die Bilanz der Wende durchwachsen ist. Zwei Drittel halten es für sinnlos, sich politisch zu engagieren, da kaum jemand glaubt, einen Einfluss auf die Regierung zu haben.

Die doppelte Enttäuschung aus der Wendezeit

Nicht einmal die Hälfte möchte sich als Gewinner bezeichnen, ein Viertel ausdrücklich als Verlierer der Wende. Es ist eine aus der Wendezeit herrührende doppelte Enttäuschung über die ökonomische Entwicklung und die Chancen demokratischer Beteiligung, die zu einer Entfremdung gegenüber der Demokratie und zur autoritären Identifizierung mit einer starken Partei einerseits und einer entschiedenen Abwehr von dem führt, was als fremd gilt.

Nach der Studie werden chauvinistische und ausländerfeindliche Aussagen nur von einer Minderheit der Befragten abgelehnt. Antisemitische und sozialdarwinistischen Statements stimmen ein Drittel der Bevölkerung vollständig oder teilweise zu.

Wo sich jeder zweite eine starke Partei der Volksgemeinschaft wünscht

Besonders ausgeprägt sei diese Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Jeder zweite wünscht sich eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.

Statt pluralistischer Interessenvielfalt wird eine völkische Gemeinschaft gewünscht, so der Mitverfasser Elmar Brähler. Extrem rechte Parteien haben daher mit ihren ideologischen Angeboten zahlreiche Anknüpfungspunkte. Das zentrale Thema der AfD ist die Zuwanderung (Detje 2024).

Es geht um Migration, um in einer Art Zeitenwende in den Landtagswahlen weitere Geländegewinne durchzusetzen. Die Allparteien-Koalition in Sachen Asyl und Migration signalisiert gerade den Wählerinnen der extremen Rechten, dass ihre Partei die richtigen Themen zur Sprache bringt.

AfD im Aufwind: Ausblick auf die bevorstehenden Wahlen

Die absehbaren Verschiebungen in den ostdeutschen Ländern sind so gravierend, dass sich eine linksliberale ökologische Mehrheitsposition nicht abzeichnet, ebenso wenig ein Regierungsbündnis von SPD, Grünen und FDP oder eine große Koalition. Angesichts der Stärke der AfD müssten SPD und CDU die Grünen und oder Die Linke mit ins Boot nehmen.

Richard Detje hat recht: Der Bürgerblock steht unter Druck – im Herbst wird sich zeigen, wie weit er sich nach rechts öffnet. Der Druck, sich selbst populistischer Ansprachen zu bedienen, ist längst gegeben. Halboffen wird darüber nachgedacht, ob man eben doch die AfD als Bündnispartner akzeptiert. Richard Detje verweist auf die Kontrollverluste und ihre lange Entstehungsgeschichte, die zu fortschreitenden Spaltungen der Gesellschaften in den neoliberalen Systemen führt.

Mit den Kontrollverlusten wachsen erfahrene oder wahrgenommene Widersprüche. Es kommt zu der Einbuße an Gewissheiten und klaren Zukunftsentwicklungen, erst recht unter dem Druck von Krisen, die ins Autoritäre führen, welches zur Reduzierung von ökonomischer, sozialer und politischer Komplexität beitragen.

Immerhin hat "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland bereits seit langem einen Resonanzboden in einem Fünftel der Bevölkerung, der erst spät einen parteipolitischen Ausdruck in der AfD gefunden hat.

Von schwachen Leistungen der Ampel profitiert die AfD

Kontrollverluste führten zur Infragestellung der zunächst für vertrauenswürdig erklärten institutionellen Ordnung, gewissermaßen eines impliziten Gesellschaftsvertrags. Dies mag so lange gut gehen, wie die Untertanen sich mit sozialer Ungleichheit abfinden, wenn sie Gegenleistungen erhalten, die der Gewährleistung von Sicherheit zu dienen scheinen.

Mit den schwachen Leistungen der Ampel-Koalition, dem fast vollständigen Verlust an Glaubwürdigkeit, verliert aber die vorherrschende Legitimation rapide an Kraft. Stattdessen wächst die Polarisierung in wir gegen die, gegenwärtig noch am Beispiel der Migration als erstem Schritt einer völkischen Radikalisierung nach rechts.

Der Verlust an Glaubwürdigkeit und dem Glauben, dass Versprechen gehalten werden, erodiert aufgrund der sozialökonomischen Krisen und der institutionellen Schwächen der Demokratie auf allen Ebenen. Dies ist besonders klar in den ostdeutschen Bundesländern.

Prof. Hajo Funke ist Politikwissenschaftler und Autor mehrerer Bücher. Dieser Artikel ist ein Auszug aus Teil 2 seiner Flugschrift "AfD-Masterpläne: Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie", diesen Monat erschienen im VSA-Verlag. Um online die Lesbarkeit zu verbessern, wurden redaktionell Zwischenüberschriften eingefügt.

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