Wie die Bahn verhackstückt wird
Nach einer konsequent betriebenen Abbaustrategie ist die deutsche Bahn nur noch ein loses Bündel an Unternehmen unter dem Dach einer Holding, eben der Bahn AG
Nun wird es ernst mit dem Börsengang dieses staatsgestützten, "privatwirtschaftlichen" Etikettenschwindels; der letzte Akt des Trauerspiels um die Zerschlagung der Bahn beginnt.
In der Zeitschrift Stern erschien vor etwa einem Monat ein bemerkenswertes Interview. Die Stern-Autoren Norbert Höfler und Jan Boris Winzenburg befragten den Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG, Hartmut Mehdorn zu der Zukunft der Bahn an der Börse. Hätte das Publikum ein wenig Aufmerksamkeit übrig, würde dieses Interview Massendemonstrationen vor dem Bahn-Tower in Berlin hervorrufen, bei denen Mehdorn, "seine Mannschaft", wie er es nennt, und die ganze Politik, für die er steht, nicht allzu gut weg kämen.
Aber das Publikum interessiert sich nicht für die Bahn. Viel zu viele reden in dem Zusammenhang immer noch von der "Bundesbahn" und haben nicht mitbekommen, dass die seit zwölf Jahren nicht mehr existiert. Was hat Herr Mehdorn zu verkünden?
"Gute Gaben"
Die frohe Botschaft, dass nahezu die Hälfte der Bahn in Form von Aktien für lächerliche 9 Milliarden Euro an "institutionelle Anleger" verscheuert werden soll. Bedauerlicherweise legen die Interviewer viel zu viel Gewicht darauf, dass diese institutionellen Investoren aus dem Ausland kommen sollen, weil das nicht die geringste Rolle spielt; auch der erzdumme Begriff von den "Heuschrecken" muss natürlich fallen. Aber manche der richtigen Fragen stellen Höfler und Winzenburg schon.
So zum Beispiel möchten sie von Mehdorn gern wissen, wo denn angesichts einer Bewertung der Bahn bei 18 Mrd. Euro die 90 Mrd. Euro Investitionen seit 1994 geblieben sind, von denen allein 40% aus Bundesmitteln stammten. Die Antwort Mehdorns darauf begeistert: Die öffentlichen Mittel, die in den letzten zwölf Jahren in den Erhalt der Bahn geflossen sind, müssten als Subventionen betrachtet werden, die in der Bilanz der Bahn nichts zu suchen hätten. Bei anderen Unternehmen, die in gleicher Weise öffentlich gefördert würden, sei das ja auch nicht anders.
Die Zuwendungen des Bundes stehen im Bundeshaushalt, nicht in unserer Bilanz.
Die freie Wirtschaft ist halt nur so richtig frei, wenn sie sich mit vollen Händen aus Steuergeldern bedienen kann. Die Hälfte eines Unternehmens, das in den letzten Jahren für 90 Milliarden investiert hat, für 9 Milliarden zu verscherbeln, hält Mehdorn nicht für ein schlechtes Geschäft.
Der Hinweis auf die Ankündigung des Bundesverkehrsministers Tiefensee, in den nächsten zehn Jahre auch einer börsennotierten Bahn 25 Milliarden Euro zuzustecken macht ihn unwirsch. Diese Summe ist, aufs Jahr und den prozentuellen Anteil umgerechnet, nicht wesentlich kleiner als die, die der Bund schon in den letzten zwölf Jahren p.a. überwiesen hat. Insgesamt beziffert Minister Tiefensee die jährlichen Zuwendungen des Bundes derzeit sogar auf 3,4 Milliarden Euro.
Aber erst die Interpretation, dass Tiefensees gute Gaben nichts anderes als eine staatliche Garantie für die kommenden Renditen der "institutionellen Anleger" sind, macht den Vorsitzenden der Bahn AG so richtig pampig. Er zeiht dann die Interviewer des Schlimmsten, was er sich denken kann, des "Sozialismus". Weil es nämlich waschechte Sozialisten braucht, um aufzudecken: Hier wird eine "privatwirtschaftliche" AG aufgezogen, die morgen dicht machen kann, wenn Bund, Länder und Kommunen heute ihre Investitionszuschüsse streichen. Wird denn wenigstens das Kleingeld, das Mehdorn mit dem Börsengang locker machen will, der Bahn in vollem Umfang zugute kommen? Aber nein. Originalton Mehdorn:
Es ist ja nicht mein Geld. Es ist das Geld des Bundes. Und der bekommt einen großen Brocken, um damit in der Bildung oder in welchem Etat auch immer etwas Ordentliches zu bewegen.
Das heißt, Mehdorn weiß nicht, wieviel Quadratzentimeter des Trostpflasters ihm überhaupt zustehen. Aber er will damit eine Menge ausrichten:
Der Kunde bekommt einen besseren Service und fährt pünktlicher, sauberer und noch sicherer.
Gewinne werden privatisiert und Verluste sozialisiert
Wer in den letzten Jahren als Fahrgast an den enormen Fortschritten der Bahn in diesen Bereichen teilhaben durfte, der könnte an dieser Stelle geneigt sein, Herrn Mehdorn doch für eine Art Satiriker zu halten. Oder er könnte sich darauf gefasst machen, dass er in Zukunft zwei Verbindungen früher fahren muss als der Fahrplan empfiehlt, um mit einiger Sicherheit pünktlich anzukommen.
Der Bund erhält also für den Verlust einer Häfte der Bahn einen Anteil an den 9 Milliarden Euro, mit dem er "was Ordentliches bewegen kann", während er für die ganze Bahn Infrastrukturkosten von mindestens jährlich 2,5 Milliarden Euro zu begleichen hat. Für die nächsten zehn Jahre - und natürlich darüber hinaus, denn das letzte Jahr, in dem die Bahn einen echten Überschuss erzielt hat, war 1951, und dass diese Zeiten je wiederkehren, glaubt nicht einmal Herr Mehdorn. Ich weiß nicht, wen die Finanzmathematik des geplanten Bahn-Börsengangs beeindruckt, aber ich vermute, dass ein Einzelhandelskaufmann im ersten Lehrjahr große Probleme mit seinem Ausbilder bekäme, wenn er er einen Kuhhandel wie diesen gutheißen würde.
Sieht man sich den ganzen Salat im Überblick an, kommt man zu dem Schluss, dass es nur einen Grund gibt, aus dem die Bahn an die Börse geht: man will Großinvestoren den Zugriff auf ein Verkehrsunternehmen ermöglichen, das wegen seiner strategischen Wichtigkeit niemals pleite gehen kann. Ein brillianter Schachzug (für die Investoren) und ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie in unserem Wirtschaftssystem Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Richtig bange wird einem dann, wenn Mehdorn mit hochgetunter Vehemenz leugnet, dass die Investoren je die volle Kontrolle über die Bahn gewinnen könnten.
"Von der Kette lassen"
Er begründet das mit den einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes. Aber das Grundgesetz ist geduldig, wenn die Politik es will, und wenn es zu sehr nervt, wird es eben geändert - das geht wie's Brezelbacken, wenn's sein muss. Zum guten Schluss wartet Mehdorn noch mit einem besonderen Bonbon auf:
Die Politiker sollen uns von der Kette lassen, dann lassen wir sie auch schrittweise aus ihren Investitionen raus.
"Von der Kette lassen" - was mag das wohl heißen? Sieht Mehdorn die verfassungsrechtlichen Garantien, deren Ewigkeit er eben noch beschworen hat, als abzuwerfende Kette an? Ein von der Kette gelassenes ehemaliges Staatsunternehmen kann man sich derzeit bei den Tank- und Raststätten anschauen, die vor einigen Jahren an Investoren vertickt wurden.
Vielleicht sollte man sich die Behauptung Mehdorns merken, dass wegen des Börsengangs kein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz verloren gehen wird. Natürlich, wie der billige Jakob will Mehdorn bei all dem nicht erscheinen, er tut's im Dienst des großen Ganzen.
Deshalb sagen wir: Hey, Bund, verkauf einen Teil deines Vermögens, damit wir uns frisches Kapital aus dem Markt holen können - zum Wohle von Kunden und Steuerzahlern.
Dieser Selbstdarstellung würde man gern entgegenhalten: "Hey Bund! Hey Kunden! Hey Steuerzahler! Lasst euch nicht veralbern!" Wenn denn dieser Aufruf noch irgend einen Adressaten hätte. Ist es doch gerade die Politik, die diesen Schwindel will. Und deswegen hat Mehdorn in einer einzigen Sache recht: Es geht nicht um ihn. Unter den vorherrschenden politischen Zuständen würde niemand zu seiner Position aufrücken, der die Zerschlagung der Bahn nicht unterstützt.
Die Utopie der Bahn ist ein technisches Großunternehmen, das seinen Mitarbeitern und Nutzern nicht nur gehört, sondern von ihnen auch effektiv kontrolliert wird und zu den niedrigst möglichen Preisen Menschen und Güter auf die sicherst denkbare Weise von A nach B bringt. Wie das zu organisieren wäre, weiß niemand. Aber angesichts der einzigen Alternativen, die den Verhackstückern bekannt sind, würde es sich sehr lohnen, darüber nachzudenken.