Wie ein Brexit ablaufen könnte
Sehr unterschiedliche Umfrageergebnisse in Schottland, Nordirland, England und Wales
Am 23. Juni stimmen die Briten über einen Verbleib oder einen Austritt aus der EU ab. In Umfragen liegen die beiden Lager seit dem letzten Herbst relativ nah beieinander. Immer mehr britische Medien und Analysten wie Global Counsel fragen sich deshalb, was für einen Austieg außer einer Mehrheit beim Referendum noch notwendig ist und wie der Vorgang konkret ablaufen könnte.
Vorbild Grönland
Ein Brexit wäre nicht das erste Mal, dass sich nach einer Volksabstimmung ein Gebiet aus der EU verabschiedet: Am 23. Februar 1982 stimmten die Grönländer für diesen Schritt - bis er am 1. Januar 1985 vollzogen wurde, dauerte es fast drei Jahre. Heute besteht zwischen der halbsouveränen halbdänischen Insel und der EU ein Assoziationsabkommen, das eine Zollunion beinhaltet. Dadurch haben die Grönländer alle Markzugangsvorteile, ohne allzu viele fremde Schiffe in ihren Gewässern dulden zu müssen.
Artikel 50 des 2007 verabschiedeten EU-Vertrages sieht vor, dass ein Austritt innerhalb von zwei Jahren verhandelt wird. Danach müsste Großbritannien theoretisch die EU bis 2019 verlassen, auch wenn sich London und Brüssel noch nicht über die Modalitäten einig wurden. Ob man die Vorschrift in diesem Fall auch tatsächlich ihrem Wortlaut nach anwenden wird, ist jedoch fraglich. Immerhin wurden auch andere EU-Vorschriften wie das Verbot der Haftung für Schulden anderer Staaten im Maastricht -Abkommen und die Dublin-Verträge zur Handhabe von Asylbewerbern im Bedarfsfall einfach ignoriert.
Derzeit stammen 14 bis 17 Prozent der Vorschriften in Großbritannien aus Brüssel. Einen Teil davon, wird man wahrscheinlich schadlos wegfallen lassen - ist die sprichwörtliche Regulierungswut doch ein wichtiger Grund dafür, warum viele Briten gegen den Verbleib in der EU sind. Besteht in einzelnen Bereichen tatsächlich massiver Regulierungsbedarf, könnte man diese EU-Vorschriften pauschal in britisches Recht übertragen und damit weiter gelten lassen, bis Westminster oder die britischen Regionalparlamente besser passende Gesetze gezimmert haben. Britische Hersteller, Händler und Dienstleister, die weiter in EU-Länder exportieren wollen, werden sich unabhängig von der Entwicklung in ihrer Heimat weiter an Brüsseler Standards halten oder neue Märkte suchen müssen.
Wer die Austrittsverhandlungen auf britischer Seite führen wird, steht noch nicht fest: Premierminister David Cameron wird nach einer Niederlage im Referendum seinen Platz möglicherweise für den innerparteilichen Austrittsbefürworter Boris Johnson räumen. Bringt der die Tories nicht geschlossen hinter sich, könnte es vorgezogene Neuwahlen geben (vgl. Boris Johnson für Brexit).
Schotten und Nordiren für Verbleib in der EU, Engländer und Waliser für Austritt
Die schottische Regionalpartei SNP hat zudem angekündigt, einen Brexit zum Anlass zu nehmen, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. In Schottland und Nordirland weicht die Stimmung stark von der im restlichen Vereinigten Konigreich ab: Während in den beiden keltischen Regionen klare Mehrheiten für einen Verbleib in der EU sind, wollen die Bürger in den anderen Teilen Großbritanniens für einen Austritt stimmen:
In Schottland sind der jüngsten Survation-Umfrage vom 20. April nach 54 % der Stimmberechtigten für einen Verbleib in und nur 28 Prozent für einen Austritt aus der EU. Weitere 17 Prozent geben sich unentschlossen. In Nordirland ist die Mehrheit für einen Verbleib mit 77 zu 23 Prozent noch klarer, was auch an der geografischen Lage der von Irland und der irischen See umschlossenen Exklave und an Wiedervereinigungshoffnungen eines Teils der katholischen Nordiren liegen dürfte.
In England waren dagegen in der letzten Einzelumfrage nur 40 Prozent für einen Verbleib, während sich 43 Prozent für einen Austritt aussprachen. Rechnet man die von der Finanzindustrie geprägte Hauptstadt London heraus, wo die Mehrheitsverhältnisse mit 39 zu 34 Prozent umgekehrt sind, ergibt sich eine noch deutlich stärkere Ablehnung der EU. Das keltische Wales ähnelt in der Haltung zur EU eher den EU-skeptischen angelsächsischen Nachbarn als den schottischen Stammesverwandten im Norden der Insel: Hier tendieren die Bürger YouGov zufolge mit 39 zu 38 Prozent knapp für eine Trennung von Brüssel.
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