Wie ein Layouter die journalistische Ehre des Spiegels rettete

Schützengraben bei Charkiw: Wohin führt dieser Weg? Bild: Jose HERNANDEZ Camera 55, Shutterstock.com

Der Spiegel spricht sich für Verhandlungen mit Russland aus? Ein Kommentar am Wochenende überraschte. Dahinter stecken spannende Details und Fragen.

"Wir müssen verhandeln", titelte der Spiegel online am Wochenende – und das war aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen brach der Kommentar, in dessen Mittelpunkt die politische Diffamierung von Verhandlungsforderungen stand, mit den meisten anderen Artikeln zum Thema.

Zum anderen ist die Autorenschaft ungewöhnlich. Es war ein Layouter des renommierten Nachrichtenmagazins, der die Haltung namhafter Sicherheitspolitiker und auch einer Mehrheit der Ukrainer und Deutschen ausformulierte. Nicht der Politikchef oder gar ein Mitglied der Chefredaktion.

Denn nach einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) Mitte des Jahres ist die Zahl derer, die neben militärischen Mitteln auch Verhandlungen befürworten, auf 72 Prozent gestiegen – im Mai 2022 waren es noch 59 Prozent.

Was also Ralf Geilhufe, der im Impressum des Spiegels als Mitglied der Abteilung "Design" ausgewiesen wird, schreibt, widerspiegelt also nicht nur die Haltung eines erheblichen Teils der Ukrainer, sondern auch von 77 Prozent der Deutschen, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RTL/ntv-"Trendbarometer".

Brisant auch: Geilhufe setzt sich kritisch mit einem Kolumnisten des eigenen Magazins auseinander: dem ehemaligen grünen Politiker und heutigen Politiklobbyisten Ralf Fücks. Im Schatten der Thüringen-Wahl habe Fücks im Deutschlandfunk gefordert, die Ukraine müsse militärisch die Oberhand gewinnen – im nationalen Interesse Deutschlands.

In der Tat plädierte Fücks dafür, die Bundesregierung solle keine Konzessionen an Kriegsskeptiker machen. Diese Äußerungen werfen ein Schlaglicht auf die emotional aufgeladene Debatte in Deutschland, die sich zwischen Solidarität mit der Ukraine und der Angst vor einer Eskalation bewegt, so Geilhufe.

Kritik an Kommentierung des Krieges

Der Spiegel-Mitarbeiter kommentierte, ein offener Diskurs über ein Kriegsende in der Ukraine sei nötig und kritisierte zugleich die einheitliche Kommentierung des Konflikts als "verbrecherischen Angriffskrieg" Russlands. Er beklagt eine Rhetorik, die keine Verhandlungen mit Russland zulasse und stattdessen auf Stärke und Führung poche.

Geilhufe thematisiert die persönliche Dimension des Krieges durch die Erinnerung an seinen Onkel Rudi, der als junger Mann im Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion kämpfte und dabei beide Arme verlor.

Die Skepsis gegenüber einer militärischen Lösung des Konflikts wird damit begründet, dass der Ukraine nicht nur an Waffen, sondern auch an Soldaten mangele, um besetzte Gebiete zurückzuerobern. Geilhufe weist darauf hin, dass viele Ukrainer, die in Deutschland Schutz suchen, keine Bereitschaft zeigen, für ihr Vaterland zu kämpfen.

In diesem Zusammenhang stellt er die Frage nach der Bereitschaft Deutschlands, sich militärisch stärker zu engagieren, und erinnert daran, dass es in Deutschland weder ausreichend Soldaten noch ausreichend funktionierende Waffen gebe.

Verbale Abrüstung gefordert

In seinem Kommentar fordert Geilhufe zur verbalen Abrüstung auf und betont die Notwendigkeit von Verhandlungen. Er kritisiert die moralisierende Haltung des Westens und plädiert für eine diplomatischere Außenpolitik, die auch in der Lage ist, mit schwierigen Gesprächspartnern umzugehen. Die Entspannungspolitik, die von der Kriegsgeneration und dem SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein befürwortet wurde, sei kein Irrweg gewesen, sondern ein Ausweg.

In einem Umfeld, in dem die Unterstützung für die Ukraine mit der Angst vor einer direkten Konfrontation mit Russland kollidiert, ruft Geilhufe zu einem offenen Diskurs auf. Er äußert Zweifel an der Strategie des Westens und hinterfragt die Expansion der Nato bis an die Grenzen Russlands.

Kritische Perspektive von der Seitenlinie

Geilhufe sieht eine Notwendigkeit, ohne Verdächtigungen und Herabsetzungen nach Lösungen zu suchen und betont, dass es legitim für Deutschland sei, nicht tiefer in den Krieg hineingezogen zu werden.

So hat sie dann doch noch Einzug gefunden in den Spiegel, die kritische Perspektive Der Artikel von Ralf Geilhufe stellt eine kritische Perspektive dar, die auf die Komplexität des Konflikts hinweist und die Notwendigkeit eines breiten und offenen Dialogs über die Zukunft der Ukraine und den Umgang mit Russland betont. Er hinterfragt den militärischen Ansatz und die Rhetorik der Stärke und fordert eine Rückkehr zu diplomatischen Bemühungen, um das Blutvergießen zu beenden.

Um es klar zu sagen: In einer offenen Debatte haben alle Seiten Berechtigung, Gehör zu finden. Fakt ist aber, und da ist Geilhufes Text Gegenstand der Debatte und ihrer Analyse zugleich, dass Kritiker einer militärischen Strategie bisher hart im Gegenwind stehen.

Redaktionell wären so kontroverse Themen in der Regel auf gleicher Ebene abgehandelt. Sucht mal einen gewichtigen Autor für die eine Seite, sollte eine namhafte Person auch der anderen Seite zu Wort kommen. Behandelt werden kann das in unterschiedlichen Genres, vom Gastkommentar bis zum Interview.

Vielleicht hatte Ralf Geilhufe diesen Kommentar der Redaktion angeboten, weil es ihm ein Anliegen war. Das wäre die naheliegende Vermutung, die gleichwohl Fragen aufwirft: Wieso gab es in einer großen Redaktion wie dem Spiegel keinen Redakteur, der solche Position derart explizit selbst aufgeschrieben hat oder einen entsprechenden Gastautor zu Wort hat kommen lassen?

Und sei es nur, wie im vorliegenden Fall, hinter der Bezahlschranke.