Wie ein islamistischer Milizen-Sprecher an eine europäische Universität kommt
Für den "Syrien-Fachmann von Jaish al-Islam" gab es das Erasmus-Plus-Förderprogramm zum Studium an einer französischen Universität. Für Kritiker ist das Teil einer größeren "Vergiftung"
Vergangene Woche wurde der frühere Sprecher der syrischen Miliz Jaish al-Islam in Marseille festgenommen. Erstaunlicherweise hatte er ein "Erasmus-Visum" in der Tasche. Das stellt ein paar Fragen, zum Beispiel: Wie kommt es dazu, dass ein hochrangiges Mitglied einer extremistischen, salafistisch ausgerichteten Miliz von einer französischen Universität angenommen wurde und dies allen Indizien nach im Rahmen des Erasmus-Plus-Förderprogramms?
Die kurze Antwort mit einem bitter-bizarren Beigeschmack: Das richtige Label öffnet Förderprogramme. Majdi M. Nema, aka Islam Alloush, präsentiert sich in seiner Bewerbung, die nun an die Öffentlichkeit gespielt wurde, als "Forscher, der sich auf syrische Angelegenheiten spezialisiert hat, mit Schwerpunkt auf Themen im Sicherheits- und Terrorismusbereich".
Immerhin aber war Majdi M. Nema offen genug, um in der Bewerbung auf seine "gewichtige Rolle bei der 'syrischen Revolution'", seine "revolutionäre Schlüsselrolle" und seine weiter bestehenden Verbindungen und Aktivitäten hinzuweisen. Das hätten die Adressaten der Bewerbung eigentlich aufhorchen lassen müssen. Bei einer britischen Universität ("major UK University") war dies der Fall. Sie lehnte den Bewerber ab - wegen seiner Rolle in der salafistischen Miliz Jaish al-Islam und deren Vorgeschichte.
Dass dies bei der Universität der Provence Aix-Marseille anders verlief, führt zu einer längeren Antwort, die schwieriger ist, weil politisch heikel.
Förderung der syrischen Opposition als Maxime
Denn, wie es der französische Historiker, Publizist und Syrien-Spezialist Fréderic Pichon (u.a. federführend an der Syrien-Ausgabe der Cahiers de L'Orient im Sommer 2018 beteiligt) in einem vorsichtig und zugleich bissig formulierten Tweet anspricht: Es wäre gut möglich, dass der "Syrien-Fachmann von Jaish al-Islam" an der französischen Universität auf einen Förderer traf, der auch öfter als Berater der französischen Diplomatie herangezogen wurde:
"Das würde die totale Vergiftung der französischen Amtsführung in Sachen Syrien bestätigen."
Man muss nicht lange suchen, um beim Institut der Universität der Provence für Erforschung der arabischen Welt und der Muslime (IREMAM) auf Namen zu stoßen, auf die der Verdacht Pichons verweist - Spezialisten, die die Sache der militanten syrischen Opposition mit Verve unterstützen und beispielsweise keinen Zweifel daran aufkommen ließen, dass die Giftgas-Angriffs-Vorwürfe, die sich sehr auf Angaben der Weißhelme gründeten, der Wahrheit entsprechen.
Nun ist es so, dass Pichon selbst in Frankreich heftiger Kritik ausgesetzt war, da er in seinen Artikel zu Syrien öfter der verbreiteten Darstellung, es handle sich bei den oppositionellen Milizen um "moderate Gruppen", widersprach und daher nicht selten in die polemische Ecke der "Apologeten des Assad-Regimes" gestellt wurde.
Jetzt verweist Pichon anhand des Falles Islam Alloush darauf, dass das "Toran Center for Strategic Studies" - bei dem der Mann von Jaish al-Islam laut seiner Bewerbung Vizedirektor der syrischen Abteilung war -, mit "einigen Forschern der französischen Universität" verbunden war und sich dies etwa in einem Artikel von 2016 zeigte, der die "Deradikalisierung" der Miliz Ahrar al-Sham zum Argument hatte. Diese sei zu einer "revolutionären Gruppe" geworden, ohne Verbindungen zum Dschihadismus.
Zur Erinnerung: Ahrar al-Sham war lange Zeit in einer Kampfgemeinschaft mit dem al-Qaida-Ableger al-Nusra-Front, wenn auch in eifersüchtiger Konkurrenz bei Fragen zur Scharia-Herrschaft im "Emirat" Idlib, nachdem beide Gruppen im Bündnis Jaish al-Fatah im Frühjahr 2015 Idlib erobert hatten. Auch zwischen Ahrar al-Sham und al-Qaida gibt es Verbindungen.
In der Zeit nach der Eroberung Idlibs versuchte Ahrar al-Sham sein Image aufzubessern. Man hatte sehr gute Kontakte: In der Washington Post durfte der "außenpolitische Vertreter" der Miliz im Juli 2015 in eigener Sache PR machen: "Wir betrachten uns als sunnitisch-islamische Mainstreamgruppe, die von Syrern geführt wird und für Syrer kämpft."
PR-Arbeit und systematische Gewalt
Diese PR-Strategie setzt sich bis heute in Variationen fort. Es geht ihr darum, Gräueltaten, die im Verlauf der "syrischen Revolution" begangen wurden und werden, auszublenden und westlichen Vertretern und der Öffentlichkeit gegenüber das herunterzuspielen, was intern und in Syrien sehr wohl eine Hauptrolle spielt: Dass die Revolution in Syrien intern als "Dschihad" benannt wird und eine islamistische Herrschaft will, keine Demokratie, sondern das Gesetz der Scharia als Grundordnung. Womit dann auch die Frage verbunden ist, ob Brutalitäten nicht systematisch begangen werden, nicht etwa nur im "Exzess des Krieges".
Man kann davon ausgehen, dass auch Hayat al-Tahrir al-Sham (HTS), der Nachfolger von al-Nusra, der sich gegenüber Ahrar al-Scham in Idlib durchgesetzt hat, in den kommenden Wochen noch einmal das Muster mit seinen Kontakten durchspielen wird und versucht, ein Image zu etablieren, das nichts mit "Terrorismus" und "Dschihad" zu tun hat, sondern sich darauf konzentriert, dass man "von Syrern geführt wird und für Syrer kämpft".
Mitarbeiter der Universität der Provence sollen angeblich früher schon dagegen argumentiert haben, die al-Nusra-Front auf die US-Liste der Terrorgruppen aufzunehmen.
Dies ist der größere politische Kontext zum Fall Islam Alloush. Die Brutalitäten, die die Miliz Jaish al-Islam zu Zeiten begangen hat, als Majdi M. Nema noch ihr Sprecher war, sind beachtlich.
Der Miliz wird das Verschwinden von vier tatsächlich politisch und nicht bewaffnet und militärisch agierenden Oppositionellen ("Douma4") vorgeworfen, die berüchtigte Exponierung von gefangenen Alewiten als "menschliche Schilde" in Käfigen, Massenentführungen und ein systematisch brutaler Umgang mit Abweichlern von ihrem Kurs, der als "totalitär" bezeichnet wird - und dies nicht von einem Medium der Assad-Regierung, sondern von einem, das der Opposition nahesteht.
Wenn der französische Syrien-Spezialist Pichon von einer "Vergiftung" der amtlichen französischen Politik im Fall Syriens spricht, so zielt er damit auf einen Umgang mit der syrischen Opposition, der weit entfernt von einer kritischen Sicht auf die tatsächlichen Verhältnisse war oder ist, und stattdessen die PR-Arbeit von Gruppen wie die White Helmets mit Empfängen im Elysée-Palast mit großem Pomp unterstützten.
Der Weg über die Türkei
Beim Erasmus-Studenten Majdi M. Nema gab es bei genauerem Hinsehen Hinweise genug - und wie eingangs erwähnt auch von ihm selbst - dass es sich um einen Mann handelt, der absolut keinen Studienplatz an einer französischen Universität bekommen sollte, um dort von seiner Mitverantwortung an Kriegsverbrechen abzutauchen und als "Fachmann für syrische Angelegenheiten auch noch finanziell gefördert zu werden.
Anscheinend machte dies der Weg über die Türkei und den türkischen Think Tank Toran-Center (mit guten Verbindungen zu islamistischen Gruppen) möglich, zudem durfte Majdi M. Nema nach eigenen Angaben noch an einer anderen europäischen Universität in Ungarn studieren. Zu seiner Festnahme in der vergangenen Woche führte übrigens keine akribische Polizei- oder Geheimdienstarbeit, sondern die Mitteilung von syrischen Aktivisten, denen die Sache nicht geheuer war.