Wie eine ukrainische NGO hunderte US-Kriegskritiker an den Pranger stellt

Seite 2: Das gängige Verfahren der Verunglimpfung

Was die Studie und die Liste von Texty.org.ua tatsächlich unternimmt, ist also nicht, das Abstimmungsverhalten einer Gruppe von Republikanern zu analysieren oder gar zu erklären, sondern es ist ein ziemlich durchsichtiger Versuch, jegliche Kritik an der US-Politik in der Ukraine und im Ukraine-Krieg an den Pranger zu stellen.

Dabei wird ein gängiges Verfahren der Verunglimpfung angewendet: Man wirft alles in einen Topf und suggeriert eine Querfront. So stehen Tucker Carlson und Breitbart in der Studie ohne jegliche Differenzierung neben der Friedensgruppe Code Pink, Noam Chomsky und Jeffrey D. Sachs.

Diese verschiedenen Akteure stehen natürlich in einem wechselseitig sich ausschließenden Verhältnis, als diametral verschiedene politische Kräfte. Doch es wird so getan, als ob sie in einem gemeinsamen Anti-Ukraine-Netzwerk bzw. in einer Anti-Ukraine-Front zusammenwirken würden.

Es gibt natürlich keine gemeinsamen Aktionen, Kooperationen, Netzwerke und Kampagnen zwischen ihnen. Also begibt man sich in der Studie ins Reich der Suggestion und Kontaktschuld-Konstruktionen. Das geschieht auf zwei Wegen.

Auf der Suche nach der nicht existenten Kooperation

Einmal werden Kooperationen einfach erfunden. So wird auf ein Foto der Donald-Trump-Anhängerin und ultrarechten republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Green hingewiesen, wie sie nach einem Sit-in von Code-Pink-Mitgliedern bei dem progressiven Senator Bernie Sanders auf dem Capitol Hill mit drei Aktivist:innen steht und ein "Ende des Ukraine-Krieg" einfordert. Sie hat es dann auf X (früher Twitter) gepostet.

Texty behauptet nun, dass sie an der Kundgebung teilgenommen und der von der Frauenfriedensgruppe Code Pink organisierten Kundgebungen damit "zusätzliches Gewicht" verliehen habe.

Doch Code Pink klärte unmittelbar nach dem Vorfall über X auf, wie es zu dem Foto gekommen sei, worüber auch Medien wie Newsweek berichteten.

MTG [Marjorie Taylor Green] sprach unsere Freiwilligen auf einem Parkplatz auf dem Capitol Hill an und bat sie, ein gemeinsames Foto zu machen. Unsere Freiwilligen waren sich nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollten, und haben sich sofort mit uns in Verbindung gesetzt, um zu erfahren, was im Nachhinein passiert ist. Dieses Bild wurde nicht von unserer Organisation initiiert.

Weiter hieß es im Post, dass es ein Unterschied sei, "ob man gegen den Krieg ist oder ob man die Finanzierung des Kriegs in der Ukraine ablehnt", und die Organisation fügte hinzu, dass Code Pink fordert, dass die Gelder zur Unterstützung von Wohnraum, allgemeiner Gesundheitsfürsorge und Bildung umgeleitet werden sollten.

Achtung, die Russophilen kommen!

Der zweite Weg, substanzielle, progressive Forderungen zu diskreditieren, ist, auf alle Kritik an der US-Politik in Bezug auf eine militärische Eskalation des Ukraine-Kriegs sowie dem Eintreten für ein Ende des Kriegs auf dem Verhandlungsweg den Stempel russische Propaganda zu setzen. Noam Chomsky und Jeffrey D. Sachs werden in dieser Weise als "russophile, ideologische Mentoren der Gemeinschaft" bezeichnet.

Das Friedensaktivisten-Cluster von Treaty

Die Analysen, Hintergründe und Einschätzungen der Kritiker sind laut Autor:innen der Studie schlicht russischer Propaganda entnommen, also Copy-and-paste Kreml-PR.

Sie werden an einer Stelle als "nützliche Idioten" Moskaus bezeichnet. Was macht es, dass die Inkriminierten gleichzeitig die russische Invasion als illegal und kriminell bezeichnen? Das Putin-Regime wird von vielen zudem als verrottet und autoritär bezeichnet.

Es geht den Kritiker der US-Politik auch gar nicht darum, den russischen Angriff zu rechtfertigen (worum es Putin, dem Kreml und den russischen Staatsmedien geht), sondern um realistische Lösungen für den Konflikt und den Krieg.

Bitte keine Differenzierungen

Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Inhalten findet in der Studie auch gar nicht statt. Stattdessen wird pauschal behauptet, alle Kritiker seien per se gegen Waffenlieferung. Das wird dann kontrafaktisch übersetzt in "gegen jegliche Ukraine-Hilfe" und "Anti-Ukraine-Haltung" – was falsch ist.

Denn von Code Pink über Noam Chomsky bis zum Quincy Institut for Responsible Statecraft ist man für eine zivile und ökonomische Unterstützung der Ukraine, natürlich auch für Aufbauhilfen. Zudem ist keiner von ihnen gegen die Ukraine, sondern alle sind ausdrücklich für die Ukraine und verurteilen in unmissverständlichen Worten, wie schon gesagt, die russische Invasion.

Ihre Ansicht ist jedoch, dass der Krieg hätte verhindert werden können, dass der Westen Fehler gemacht hat und Verhandlungen notwendig sind, um ein Ende des Kriegs herbeizuführen sowie die weitere Zerstörung der Ukraine mit vielen Toten zu verhindern.

Sie sind sich dabei durchaus bewusst, dass es wahrscheinlich eine ungerechte Lösung sein wird, aber halten die Folgen eines weiteren Zermürbungskriegs, inklusive einer direkten Konfrontation der Nato mit Russland sowie der atomaren Gefahren, für zu hoch, um diesen Weg nicht ernsthaft anzustreben.

Die Sache mit den Waffenlieferungen

Zudem gibt es eine Bandbreite an Haltungen in Bezug auf Waffenlieferungen. So haben viele derjenigen, die von Texty zur Anti-Ukraine-Front gezählt werden, die Bereitstellung von Waffen für die Ukraine zur Verteidigung gegen die russische Aggression in der ersten Phase des Kriegs durchaus unterstützt und für legitim erachtet. Viele sind jedoch skeptisch bis ablehnend gegenüber der Bereitstellung von offensiven schweren Waffensystemen, die den Krieg weiter verschärfen.

Die Skepsis und Ablehnung von Waffenlieferungen nahm zu, je mehr sich im Kriegsverlauf herausstellte, dass ein endloser Zermürbungskrieg droht und Russland aufgrund seiner Soldatenstärke, den Vorteilen auf dem Schlachtfeld und seines politischen Willens, auch mit noch so vielen westlichen Waffen auf absehbare Zeit nicht besiegt werden kann.

Man warnt zugleich davor, dass selbst bei einem erzwungenen (Teil-)Rückzug der russischen Armee (wonach es nicht aussieht) Putin nicht einfach "die Koffer packen" und zusehen wird, wie die Nato die Ukraine zu seinem Mitgliedsstaat erklärt und damit der Russland feindlich gesinnten Militärallianz ermöglicht wird, in einer von Moskau aus zentral erachteten Sicherheitszone Raketen direkt an der russischen Grenze zu installieren.

Aber trotz der zunehmenden Ablehnung von Waffenlieferungen bei denen, die Texty zur Anti-Ukraine-Front erhebt, gibt es weiter nicht eine einheitliche Meinung, sondern ein Spektrum. Auch das entgeht dem stereotypierenden Ansatz der Studie.

Die "Kill-List"

An einem Ende des Spektrums wird zum Beispiel gefordert, Waffen durch Waffenstillstand und Diplomatie zu ersetzen. Am anderen Ende wird erklärt, dass weitere Waffenlieferungen (die man nicht grundsätzlich ablehnt) eingebettet sein müssen in einen Friedensplan und mit einer Verhandlungsperspektive verbunden werden sollten.

Einig ist man sich allerdings, dass lediglich Waffen zu schicken der falsche Weg ist, die Gefahren erhöht und die Lage für die Ukraine auf lange Sicht verschlechtert. Man fordert die Politik daher auf, die möglichen Folgen sowie zivilen Alternativen zu berücksichtigen. Dazu sei man moralisch verpflichtet.

Die Reaktion auf die Texty-Studie und Liste kam umgehend. Auf X wurde von einer "Kill-List" gesprochen. Angegriffene Organisationen wie Antiwar bezeichnen die Studie als eine Schmutzkampagne. Darauf änderte Texty in der Liste im Anhang der Studie, wo die einzelnen Personen und Organisation vorgestellt werden, den Punkt: "Anti-Ukraine-Statements" zu "Statements".

Tatsächlich ist die Untersuchung durchsetzt von unbelegten Behauptung, Dekontextualisierungen, Diffamierungen und Falschdarstellungen. So wird Code Pink unterstellt, dass es eine Reihe von pro-chinesischen Erklärungen gemacht habe, in denen die US-Regierung angeblich aufgefordert wird, totalitäre Herrschaftssysteme stärker zu unterstützen.

Full Metal Defamation

Anderen wird unterstellt, ebenfalls ohne Belege, dass sie hoffen würden, dass Putin den Krieg gewinnt und die USA die Weltherrschaft verlieren. An anderer Stelle heißt es, dass die USA gar nicht darauf gedrängt hätten, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, was nachweislich falsch ist.

Durchgängig wird der Friedensbewegung in den USA unterstellt, dass ihr einziges Ziel sei, jegliche Ukraine-Hilfe, vor allem in Form von Waffen, zu verhindern. Doch deren Hauptforderung ist keineswegs die Schwächung der Ukraine (wie unterstellt), sondern ein Waffenstillstand, Verhandlungen und eine zivile Friedenslösung. Denn man glaubt nicht, dass der Konflikt militärisch zu lösen ist.

The American Conservative verweist zudem darauf, dass die Medien-NGO Texty in der Ukraine dem US-Außenministerium nahestehe.

Treaty sei von Anatoly Bondarenko gegründet worden. Er war Ausbilder für das "TechCamp"-Programm des Außenministeriums, das Schulungen für ausländische Journalisten, NGOs und Aktivisten anbietet.

Auf der TechCamp-Website wird Bondarenko als Ausbilder für das Programm TechForum Ukraine aufgeführt. Im Rahmen dieses Programms wurden über "60 lokale Journalisten, Vertreter der Zivilgesellschaft, führende Persönlichkeiten der Gemeinschaft und Partner aus dem Privatsektor" durch das TechCamp des Außenministeriums in verschiedenen Medienkompetenzen geschult.

Die Debatten-Einschränker

Anatol Lieven vom Quincy Institute for Responsible Statecraft erklärte:

Es ist völlig unangemessen, dass eine ausländische Institution, die an Schulungen teilnimmt, die von US-Steuergeldern finanziert werden, diese Gelder verwendet, um zu versuchen, die öffentliche Debatte in den USA in einer Angelegenheit von vitalem US-Interesse einzuschränken.

Lieven fügte hinzu, dass er erfreut sei, mit namhaften Organisationen wie The American Conservative im "gleichen Club" zu sein.

Die ukrainische Medienorganisation Texty.org.ua hat verschiedene Journalismus-Preise und Nominierungen auch in Europa erhalten. Zuletzt war es beim European Press Prize 2024 für den Innovation Award nominiert. Die Gruppe ist zudem Mitglied des Global Investigative Journalism Network (GIJN) und des European Data Journalism Network (EDJNet).

In den Redaktionsrichtlinien formuliert man den Anspruch an seine eigene Arbeit wie folgt:

Texty erwartet von den Autoren und Redakteuren, dass sie sich dem Thema, über das sie schreiben wollen, ehrlich, mit klarem Verstand und ohne Vorurteile nähern, dass sie so viel wie möglich recherchieren, mit allen Beteiligten sprechen, alle Daten prüfen und dann ihre eigene Meinung zu dem Thema schreiben.

In der Studie haben die Autor:innen nur den letzten Punkt beachtet, die anderen jedoch Lügen gestraft.