Wie gefährlich Fake News wirklich sind
Seite 2: Vorbild USA
Die Vereinigten Staaten galten und gelten in vielen Bereichen als Vorbild. Noch heute gehen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dorthin, um Karriere zu machen (wegen der Coronapandemie aktuell vielleicht etwas weniger). Wenn sie zurückkommen, haben sie aufgrund ihrer Kontakte oft einen Wettbewerbsvorteil.
Wir sollten uns aber bewusst machen, dass die Sonnenseite der USA mit ihren vielen Elite-Universitäten, die die Weltranglisten (übrigens nach amerikanisch-britischen Regeln) anführen, eine Schattenseite hat: Die USA sind wohl die westliche Demokratie mit dem größten religiösen Fanatismus (nach der Bestätigung der Wahlergebnisse am Donnerstag wurde im Parlament übrigens erst einmal gemeinsam gebetet: "…und Gott segne Amerika. Wir beten in deinem herrschenden Namen. Amen."), mit dem größten Anteil an Evolutionsleugnern, an Abtreibungsgegnern und mit krassen Bildungs-, Gesundheits-, Einkommens- und Vermögensunterschieden.
Die USA investieren mehr in Verteidigung und nationale Sicherheit als alle anderen Länder der Welt, sie führen einen außer Kontrolle geratenen "War on Drugs" oder "War on Terrorismus" und wahrscheinlich viele andere Kriege mehr - und können doch noch nicht einmal ihr Innerstes beschützen, ihr Kapitol in ihrer Hauptstadt Washington DC.
Bei den Live-Aufnahmen des Einbruchs vom Mittwoch sah ich viele weiße, bärtige Männer in ihrer zweiten Lebenshälfte. Schon seit Jahren werden solche Anhänger bestimmter "populistischer" Bewegungen als "angry white men" bezeichnet und auch jetzt gibt es Deutungsversuche, die Aufrührer als Verlierer ihres "white privilege" zu deuten.
Dabei würde man das "weiße Privileg" doch viel deutlicher sehen, würde man sich anschauen, wer auf den Sitzen der Volksvertreterinnen und -Vertreter sitzt, übrigens in einem Wahlkampf zwischen zwei weißen, männlichen und beinahe achtzigjährigen Präsidentschaftskandidaten.
Einheit
Donald Trumps Präsidentschaft mag den Schatten der USA vergrößert haben. Sie hat die Schattenseite dieser "Great Nation" meiner Meinung nach aber vor allem deutlicher ins Bewusstsein gerückt. Da wir nun hinreichend wissen, dass "Fakten-Checks" das Problem nicht lösen, sollten wir uns über Alternativen Gedanken machen. Das Ziel sollte dabei sein, uns auf eine gemeinsame, menschliche Realität zu verständigen.
Dafür ist es nicht ausreichend, ein paar Gruppen per Gesetz Privilegien zuzusichern, weil das gerade für Medienaktionen opportun ist. Denn gleichzeitig werden immer mehr Menschen wegen ungleicher Bildungs-, Teilhabe- und Wohlstandschancen ausgegrenzt. Die gesellschaftliche Spaltung ist nicht eingebildet, sondern für immer mehr völlig real. Und jede solche Spaltung in Frauen und Männer, Ausländer und Inländer, Arme und Reiche, Braune, Schwarze und Weiße, Dumme und Intelligente, Atheisten, Christen, Muslime und so weiter - all diese Spaltungen machen Menschen anfällig für die Manipulationen eines Spalters wie Donald Trump.
Dabei müssen wir, "die Guten und Rechtschaffenen", uns auch einmal an die eigene Nase fassen und überlegen, wie unterschiedlich wir Menschen- und Völkerrechtsverletzungen östlicher und westlicher Länder beurteilen, wie unterschiedlich wir pragmatische PR-Aktionen des eigenen und des anderen Lagers einordnen.
Viele Formen von interessengeleiteter, strategischer Kommunikation im Interesse der "bürgerlichen Mitte" könnte man wahrscheinlich ebenso gut als "Fake News" bezeichnen. Bloß gibt es hier keinen "Fakten-Check" - und wenn doch, dann ist es eben ein Nazi, Querdenker, Troll oder Verschwörungstheoretiker, mit dem man sich nicht auseinandersetzen muss. Ja, die "Cancel Culture" lässt grüßen.
Der Einbruch ins Kapitol der USA hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, wie verwundbar selbst Demokratien trotz immenser technologischer Entwicklungen, trotz Wirtschaftswachstum und Investitionen in Verteidigung und Sicherheit sind. Die radikalen Gruppen mögen aus den großen sozialen Netzwerken verbannt worden sein - sie haben danach aber schlicht ihre eigenen gegründet.
Hassäußerungen kann man zwar verbieten und solche Verbote können auch ihren Sinn haben, um ein allgemeines Klima der Volksverhetzung oder Diskriminierung zu verhindern; per Verbot lässt sich aber der Hass nicht aus den Köpfen entfernen. Dafür hilft meiner Meinung nach nur, die Hand zueinander auszustrecken und aktiv interessiert miteinander zu reden.
Toleranz heißt nicht zwingend, dass man die Überzeugung des anderen annimmt. Aktive Toleranz bedeutet aber, dass man sich für die Meinung des anderen zumindest interessiert und wenigstens hin und wieder überprüft, ob etwas dran ist.
Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.