Wie man mit Corona gegen Seenotretter vorgeht
Seite 2: Unterschiede zwischen beiden NGOs waren nicht zu überbrücken
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Die Flüchtlinge begeben sich weiterhin aufs Meer und ertrinken, man muss sie retten, egal, welche Umstände herrschten, so die Position von MsF (Médecins sans Frontières). Für geschlossen erklärte Häfen habe es auch schon vor Corona gegeben, man müsse die EU-Staaten zur Aufnahme und zur Schaffung einer Lösung zwingen, jetzt wie bisher. Sie wollten die Missionen ungeachtet von Corona fortsetzen.
Diese Unterschiede zwischen beiden NGOs waren nicht zu überbrücken, MsF zog sich zurück und ist derzeit nicht in der Seenotrettung engagiert. Seit 2016 waren beide Initiativen gemeinsam auf zwei Schiffen im Einsatz. Über 30 000 Menschen haben sie zusammen gerettet.
SOS Méditerranée musste ein neues medizinisches Team zusammenstellen und bedauert den Rückzug des einstigen Partners auch deshalb, weil die international bekannten und anerkannten Ärzte ohne Grenzen der Seenotrettung eine besondere "Legitimität" gegeben haben.
Seit Juni war die Ocean Viking wieder auf Suche vor der libyschen Küste und hat viermal Schiffbrüchige an Bord genommen. Dabei zeigte sich, dass auch die sonstigen allgemeinen Hygiene- und Coronaregeln mit Rettungseinsätzen nicht zusammenpassen. Abstand halten und gleichzeitig jemanden aus dem Wasser fischen, ist nicht kompatibel.
Aber auch Maßnahmen wie das Tragen von Schutzanzügen und Masken, oder physisches Distanzhalten erwiesen sich an Bord als problematisch. Infektionsschutzmaßnahmen, die zu einer Entpersönlichung führen und zwischenmenschliche Nähe verhinderten. Das sorgte, so sagen es Verantwortliche von SOS Méditerranée, für Misstrauen der Geretteten gegenüber der Crew. Gerade Nähe, Berührungen, Umarmungen, Anteilnahme brauchen die Traumatisierten besonders.
Als die Ocean Viking wieder tagelang vor der italienischen Küste kreuzen musste, weil die Häfen immer noch als "unsicher" deklariert sind, stieg der Stress unter den Geretteten. An Bord kam es zu Situationen, wie in all den Jahren bisher nicht. Zwei Menschen sprangen in ihrer Verzweiflung ins Meer und mussten erneut gerettet werden. Mehrere Gerettete äußerten Selbstmordgedanken und drohten sich und andere zu verletzten. Innerhalb von 24 Stunden habe es sechs Suizidversuche gegeben. Daraufhin rief der Kapitän den Notstand aus.
Darufhin erst jetzt reagierten die italienischen Behörden. Ein Psychologe der Gesundheitsbehörde überprüfte die Lage an Bord und bestätigte den Notstand. Ein Team von Medizinern testete die Geretteten auf Corona, alle waren negativ. Anschließend wurden sie zunächst auf ein Quarantäneschiff überstellt.
Die Crew der Ocean Viking wurde nicht getestet. Das Schiff durfte weder in den Hafen von Porto Empedocle einfahren noch die italienischen Hoheitsgewässer verlassen. Es musste zwei Quarantänewochen lang in Sichtweite vor der Küste hin- und herfahren.
Am 22. Juli wurde das Schiff in den Hafen beordert. Zur "Port State Control", einer technische Überprüfung, wie es hieß. Die werden regelmäßig vorgenommen, bei der Ocean Viking im vergangenen Jahr bereits vier Mal, eigentlich eine Routinemaßnahme, die nur wenige Stunden dauert. Doch diesmal war alles anders: Das Schiff wurde festgesetzt und hat keine Ausfahrtserlaubnis. Damit ist zur Zeit kein einziges privates Seenotrettungsschiff mehr auf dem Mittelmeer im Einsatz.
Dennoch machen sich weiterhin täglich Migranten in seeuntüchtigen Booten auf den Weg Richtung Norden. Das weiß man unter anderem durch die Aufklärungsflüge eines Kleinflugzeuges der Organisation Sea-Watch.