"Wie sabotieren wir ein unsichtbares Finanzsystem?"
Seite 2: Das Wall-Street-System ändern
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Kommen wir auf den Green New Deal zurück.
Ann Pettifor: Ich bin positiv überrascht, dass die Europäische Union über den Green Deal spricht. Sie sprechen aber nicht über den Green New Deal.
Was ist der Unterschied?
Ann Pettifor: Fundamental beim New Deal 1933 war, dass die US-amerikanische Regierung die Globalisierung als Thema anging. Damals wurde es als Goldstandard bezeichnet, was von der Wall Street zusammen mit der Regierung eingerichtet wurde. Interessant ist hierbei auch die Rolle von Deutschland im Jahr 1919. 1919 war Deutschland zerstört und ganz Europa war sehr schwach nach dem 1. Weltkrieg. In Versailles fand die große Konferenz statt.
Keynes ging zu dieser Konferenz und sagte: Deutschland hat ein Problem – es benötigt Geld. Wir können uns als Alliierte darüber verständigen, einen Fonds einzurichten. Ein Fonds ist das Versprechen, in Zukunft zu bezahlen.
Dieser Fonds kann Deutschland beim Wiederaufbau helfen. Ihr müsst nur dafür sorgen, dass Großbritannien, die Vereinigten Staaten und Frankreich für den Fonds bürgen. Dann wird Geld vorhanden sein. Ihr löst den Fonds aus und generiert eine Milliarde britisches Pfund.
An diesem Punkt mischte sich die Wall Street ein und sagte: Nein! Wir werden Deutschland das Geld leihen. Das geschah dann auch, aber die Wall Street berechnete sehr hohe Zinsen. Sie beuteten Deutschland finanziell aus und es konnte sich von den Kriegsschäden des 1. Weltkriegs nie erholen.
Es endete dann wie bekannt im Faschismus. Darüber habe ich ausführlich geschrieben und ich wünschte mir, die deutsche Bevölkerung verstünde besser, was damals in Versailles passiert ist.
Keynes verließ dann die Versailler Konferenz und schrieb das Buch "The Economic Consequences of the Peace". In diesem Buch griff er sehr scharf die westlichen Regierungschefs an, dass sie Deutschland nicht helfen wollten. Er prophezeite ihnen: Dafür bekommt ihr einen weiteren Krieg. Dafür wurde er sehr heftig kritisiert, aber er hatte Recht.
Und sehen Sie Parallelen zu heute?
Ann Pettifor: In der Pandemie kamen die Regierungen zusammen, um einen Fonds für die Länder des globalen Südens zu verabschieden und zu garantieren. Damit diese durch die Pandemie kommen. Das nenne ich kooperatives Handeln.
Die Wall Street wollte stattdessen Fonds mit hohen Zinsen für Italien, Spanien und Portugal vergeben. Die Länder häuften dann Schulden auf sich und kämen in größere Abhängigkeiten. Die Wall Street würde sicher gut daran verdienen.
"Der Green Deal geht nicht weit genug"
Die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen spricht momentan ja viel über den Green Deal. Was hat es damit auf sich?
Ann Pettifor: Die Europäische Kommission spricht über den Green Deal und nicht über den Green New Deal aus dem schlichten Grund, dass sie nicht das Finanzsystem ändern möchten. Während der Pandemie gingen wir aber genau in diese Richtung.
Es wurden öffentlich garantierte Fonds ausgelöst, die für die südlichen Länder nachhaltiger sind. Der US-amerikanische Green Deal beinhaltet ähnliches: Sie möchten nicht darüber nachdenken, wie wir das Wall-Street-System ändern könnten. Aus diesem Grund geht dieser Green Deal nicht weit genug.
"Ohne den Staat können sie aber nicht agieren"
Der Green New Deal geht weiter?
Ann Pettifor: Viel weiter! Es ist ein sehr radikaler Vorschlag. Er wurde aber verwässert, weil über alles Mögliche gesprochen und der Wandel des Finanzsystems ausgespart wurde. Als wir diesen Green New Deal 2007 und 2008 entwickelten, gab es auf der einen Seite eine Vielzahl von Geldtheoretikern und auf der anderen Seite eine Vielzahl an Ökologen und Umweltschützern.
Die Verständigung untereinander fiel uns schwer, denn wir sprachen jeweils andere Sprachen. Wir mussten große Schlachten kämpfen. Es hat uns ein Jahr gekostet, den Text gemeinsam schreiben zu können. Am Ende fanden wir aber einen systemoffenen Zugang, der die finanziellen und ökonomischen Probleme mit den Herausforderungen der Ökologie verbinden konnte.
Man kann sich nur schlecht um die Wälder kümmern, während die Wall-Street-Ökonomen Kohlenstoffdioxidhandel ermöglichen. Es geht hierbei um die Angst vor der Macht des Finanzwesens.
Sie haben durch uns so viel Macht erlangt. Ohne den Staat können sie aber nicht agieren. Die Finanzkrise war vorhersehbar. Als die Krise dann tatsächlich kam, dachte ich: Nun, da die Wall Street die Weltwirtschaft ruiniert hatte, hätten wir doch einiges von diesem Beispiel lernen können. Die Wall-Street-Ökonomen dachten schon, sie würden ins Gefängnis gehen.
Aber nein, ins Gefängnis mussten sie nicht. Die Zentralbanken gaben ihnen sogar noch mehr Macht. Sie erhielten noch mehr Geld. Die Bürger atmeten auf und meinten: Gott sei Dank ist alles wieder ganz normal! Wir fragten nicht: Warum passierte das denn? Kann es sich wiederholen?
Die Unfähigkeit, dieses Bankensystem zu durchschauen
Und kann es?
Ann Pettifor: In Europa sehe ich das Problem, dass wir kaum etwas von diesen Bankern im Gegenzug für den Zugang zum europäischen Finanzmarkt verlangen. Stattdessen empfangen wir sie mit offenen Armen und bieten ihnen Notfallprogramme für ihren möglichen Zusammenbruch und Exzess.
Die Öffentlichkeit reagiert darauf mit der Unfähigkeit, dieses Bankensystem zu durchschauen. Aber das müssen wir, wenn wir unsere Macht nicht abgeben möchten!
Mich erinnert das an eine Art von Schneeblindheit – hier wohl eher: Geldblindheit.
Ann Pettifor: Ja, Schneeblindheit. So könnte man das umschreiben.