Wie sieht die Megacity des 21. Jahrhunderts aus?
In Berlin diskutierten Vertreter der Millionenstädte über die Zukunft der Metropolen
Vom 11. - 15. Mai 2005 fand der 8. Weltkongress des Netzwerkes Metropolis - World Association of Major Metropolises in Berlin statt. Die Organisation, in der mittlerweile über 80 Millionenstädte aus der ganzen Welt zusammengeschlossen sind, feiert dieses Jahr ihr 20. Jubiläum. Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler diskutierten Hunderte Teilnehmer aus mehreren Dutzend Ländern die Probleme, vor denen Megacities, Agglomerationen mit mehr als 10 Millionen Einwohnern, als die am stärksten wachsenden Regionen der Welt stehen. Präsentiert wurden unter anderem die Ergebnisse von sechs Fachkommissionen, die drei Jahre lang Themen wie Stadtverwaltung und -management, Abfallmanagement, Mobilität, Wassermanagement, Armut und Umwelt sowie technische Unterstützung und Fortbildung bearbeiteten. Das Ziel von Metropolis, die Verbesserung der Lebensqualität von Bürgern in Millionenstädten, soll unter anderem durch die politische und fachliche Repräsentanz von Metropolen in internationalen Foren verwirklicht werden.
"Durch die ungebrochene Anziehungskraft der Urbanität muss sich auch die Entwicklungspolitik mehr den Städten zuwenden", so der Appell von Erich Stather, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zu Beginn der Veranstaltung. Bis zum Jahr 2030 wird es rund 500 Millionenstädte geben. Von den für das Jahr 2015 vorhergesagten 27 Megacities werden allein 18 auf dem asiatischen Kontinent liegen. Für UN-Generalsekretär Kofi Annan hat mit dem Eintritt ins 21. Jahrhundert das "Jahrtausend der Städte" begonnen, was die künftige Relevanz von urbanen Agglomerationen deutlich macht.
Um die Probleme, die mit der städtischen Entwicklung zu tun haben, lösen zu können, ist Metropolis eng mit Initiativen wie der "Cities Alliance" verbunden, zu der Kommunalverwaltungen, die Weltbank, zahlreiche Nationale Regierungen und das Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen (UN-Habitat) gehören, das auf dem diesjährigen Kongress durch ihre Exekutivdirektorin, Anna Tibaijuka, vertreten war. Das Hauptziel von Metropolis, die Bekämpfung der Armut in den Städten, fügt sich in die "Milleniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen" ein, nach denen bis zum Jahr 2020 für 100 Millionen Menschen der Lebensstandard erheblich verbessert werden soll.
Das Hochgeschwindigkeitswachstum der Megacities
Europa hatte es bislang gut mit seinen Großstädten: Organisch über viele Jahrzehnte gewachsen, ist man im 19. und 20. Jahrhundert mit Infrastruktur und Hygieneproblemen relativ schnell fertig geworden. Das Wachstum konnte so gesteuert ablaufen, die Armut hielt sich im Vergleich in Grenzen. Ganz anders die urbanen Wachstumskerne von heute, die sich vor allem durch ihr rasantes und unkontrolliertes Wuchern von Berlin, London oder Paris unterscheiden. Ließ sich London für das Anwachsen von einer auf acht Millionen Bewohner immerhin 130 Jahre Zeit, benötigte Seoul, die heute drittgrößte Agglomeration der Welt, dazu nur 25 Jahre. Ob der Prozess des schnellen Wachstums überhaupt kontrolliert werden kann, ist auch in der Urbanitätsforschung umstritten.
Täglich strömen zusätzlich 180 000 Menschen in die Großstädte dieser Welt hinein, deren Infrastrukturen für diese Kapazitäten überhaupt nicht ausgelegt sind. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Antananarivo, deren Bürgermeister Patrick Ramiaramanana den Metropolis Award 2005 für die Rekultivierung eines Slumviertels in der Hauptstadt Madagaskars entgegennehmen konnte. Die Infrastruktur dieser Stadt wurde seiner Zeit für 350.000 Menschen ausgelegt, muss aber schon heute mehr als 1,2 Millionen Einwohner verkraften, und ein Ende des Zustromes ist nicht abzusehen. "Wir stehen erst am Anfang der Problemlösungskette, nicht am Ende", so Ramiaramanana bei der Verleihungszeremonie.
Krebsgeschwüre oder Chance? Die zwei Gesichter der Mega-Metropolen
Vor allem in den Boomtowns von Asien und Südamerika hat das Wachstum zwei Gesichter. Unwiderstehlich werden die Menschen mit der Hoffnung auf bessere Arbeitschancen, größeren Wohlstand und eine bessere Lebensqualität von den kulturellen und wirtschaftlichen Zentren, eben den Megacities, angezogen. Dass auf diese Hoffnungen schnell die Ernüchterung folgt, hat auch mit den sich verändernden Rahmenbedingungen zu tun. Noch vor einigen Jahren kamen die meisten Menschen mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche. Sie hatten so ihr Auskommen und wenigstens den Ansatz einer Chance, berichtet Joan Clos, Präsident von Metropolis. Heute aber strömen ganze Heere von Arbeitssuchenden in die Ballungszentren und stranden nicht selten in den Slums in einer noch schlimmeren Lage als zuvor.
In Mumbai (deutsch: Bombay, um die 20 Millionen Einwohner) ducken sich die Slumgebiete nicht mehr nur an den Stadtrand, sondern erstrecken sich über große Teile des Stadtgebietes, und auf den Bürgersteigen gegenüber den Glaspalästen bauen sich die Ärmsten der Armen ihre Hütten. Eine andere Seite ist die ökonomische Bilanz der Städte: In Asien werden 80 Prozent des Wirtschaftswachstums von Stadtregionen erbracht und so manches nationale Bruttosozialprodukt hängt zum Großteil an einer einzigen Metropole, was weltweit für mehr als die Hälfte der gesamten Wirtschaftskraft zutrifft. Sao Paulo (Brasilien), im Jahr 1900 ganze 100.000 Einwohner groß, gilt heute mit annähernd 20 Millionen Bewohnern als der größte Binnenmarkt der südlichen Hemisphäre. Die Rolle der Städte als Zentrum von Kulturen hat sich dagegen gewandelt: Heute prägt nicht mehr zwangläufig die Kultur eines Landes die Stadt, sondern umgekehrt, die Megacities tragen eine internationale Multikulturalität in sich, die etwas Einzigartiges darstellt, gleichzeitig aber nicht ohne Probleme ist.
Strategien gegen den Kollaps der Monsterstädte
Wie kann man die schwierige Situation der Megacities in den Griff bekommen? Einer der klassischen Ansätze in der Stadtentwicklung, die Infrastrukturfinanzierung, wird heute von Experten als überdenkenswert erachtet. Aus dem Sachverhalt, dass die Stadt der wirtschaftliche Motor einer Region ist, zu schließen, dass "je größer desto besser" ist, wird heute mehr in Zweifel gezogen, als weiter verfolgt. Jahrzehntelang wurde nach dieser Prämisse Raumplanung gestaltet, die sich daraus entwickelnden Probleme aber erst sehr spät erkannt.
"Die letzten Jahre auf die Karte Megacities zu setzen war falsch", so Michael A. Cohen, Professor an der New School University in New York. Manche Ballungszentren wie Mexico-Stadt mit über 22 Millionen Menschen wachsen heute überhaupt nicht mehr. Statt auf die Kräfte der "Zentralen der Zivilisation" zu setzen, sollte man lieber eine Strategie der Dezentralisierung einschlagen. Dies nicht zuletzt, weil gerade die mittelgroßen Städte ein oft stärkeres Wachstum haben als die größten. Deshalb ziehen viele Menschen, bevor sie sich in eine Megacity begeben, heute eine kleinere vor. Werden die politischen und finanziellen Strukturen dezentralisiert, wäre dies auch ein großer Schritt zur Förderung der Demokratie.
Oftmals sind die Städte in ihren Handlungsmöglichkeiten durch die finanzielle Abhängigkeit von einer Zentralregierung gehemmt. Um die Slums zu bekämpfen, die Stadt und die Stadtteile "in Funktion" zu setzen, wie es Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des UNEP (United Nations Environment Programme) ausdrückte, sei eine größere finanzielle Autonomie unerlässlich. Mit der gleichen Energie müssten die betroffenen Menschen endlich in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Zu oft haben Politik und Institutionen bislang Kopfgeburten hervorgebracht, weit entfernt von den wirklichen Bedürfnissen, genauso wie die Wissenschaft sich zu lange mit einzelnen Aspekten beschäftigt habe und nun zu einer Interdisziplinarität gelangen müsse, um wirkliche Lösungen anbieten zu können.
Neue globale Herausforderungen für Wissenschaft und Institutionen
Die bessere und intensivere Zusammenarbeit mit den eigentlich Betroffenen gilt als die wichtigste Erkenntnis der letzten Jahre. Institutionen wie die Weltbank haben diese Probleme zu lange ignoriert. "Die Bank hatte ein Lernproblem", zitierte Professor Cohen den scheidenden Weltbankchef James Wolfensohn und schloss sich dieser Aussage selbstkritisch an. Cohen, der von 1972-99 bei der Weltbank Spezialist für Stadtentwicklung war, mahnte die bessere Zusammenarbeit von globaler und regionaler Ebene an, ja bezeichnete viele makroökonomische Strategien sogar als kontraproduktiv für die eingeleiteten Städteprojekte.
Die Forscher vor Ort, die Bevölkerung, sowie die lokal Verantwortlichen zusammen zu bringen, ist eine unabdingbare Vorrausetzung zum Gelingen und eine der größten intellektuellen Herausforderungen. Es sei nötig, die praktischen Erfahrungen vor Ort in die ursprüngliche Theorie des Lösungsansatzes einzubringen: "Von der Theorie zur Praxis und zurück", lautete sein Beitrag zum Workshop "Megacities of Tomorrow: Research for Sustainable Development". Die neue Zusammenarbeit mit den Bürgern müsse auch für die Theoretiker in der Forschung in einen Lernprozess münden.
Die größten geplanten Forschungsprojekte, die zum Thema in Deutschland angesiedelt sind, stammen von der Helmholtz-Gemeinschaft ("Risk Habitat Megacity") sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG ("Megacities - Megachallange: Informal Dynamics of Global Chance"), und wurden von Prof. Dr. Eckard Ehlers, vom Geographischen Institut der Universität Bonn, vorgestellt. Auch er forderte eine neue akademische Kultur in Deutschland, die allerdings "erst wieder lernen müsse, interdisziplinär zu denken". "Es muss eine neue Dialogkultur zwischen Gesellschaften und unterschiedlichen gewachsenen Kulturen geben." So sei es nicht nur eine intellektuelle Herausforderung eine verständliche Kommunikation mit den Betroffenen zustande zu bringen, die dadurch entstehende Rückkopplungsschleife könne auch als Instrument gegen das Abkoppeln der jeweiligen Projekte vom betroffenen Menschen genutzt werden.