Wie steht es wirklich um das deutsche Jobwunder?
Seite 2: Das angebliche Jobwunder ist ein Teilzeitbeschäftigungswunder
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Was für die Älteren gilt, gilt, wenn auch in etwas geringerem Maße, auch für die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter insgesamt. Zweifellos ist die Beschäftigungsquote, auch unter den Älteren, gestiegen. Doch geht das vorgebliche Beschäftigungswunder allein auf den Anstieg der Teilzeitbeschäftigung zurück. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten lag 2016 mit rund 22,9 Millionen zwar über den 21,8 Millionen im Jahr 2006, jedoch immer noch niedriger als 2000, als es in Deutschland noch 23,9 Millionen Vollzeitbeschäftigte gab. Steil angestiegen ist hingegen die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, von 3,9 Millionen im Jahr 2000 auf 4,5 Millionen im Jahr 2006 und 8,7 Millionen im Jahr 2016.
Zudem ist der für die letzten Jahre ausgewiesene Anstieg der Beschäftigungsquote zum Teil ein statistisches Artefakt. Nach Angaben der BA fallen die Zahlen ab 2011 unter anderem deshalb höher aus, da sie auf Grundlage des Zensus 2011 erstellt wurden. Da die Bevölkerungszahl zuvor zu hoch angesetzt worden war, fielen die für die Jahre vor 2011 berechneten Beschäftigungsquoten zu niedrig aus.
Trifft denn wenigstens der von Politik und Medien vermittelte Eindruck zu, dass es in Deutschland immer mehr Arbeit gibt? Die Antwort lautet: nicht wirklich. Seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 ist zwar die Zahl der Erwerbstätigen und der Beschäftigten gestiegen, die Arbeit verteilt sich jedoch nur auf mehr Schultern. Wie die folgende Grafik zeigt, liegt das Arbeitsvolumen aller Erwerbstätigen heute zwar über dem Stand von 2005, aber immer noch unter dem Stand von 1991.
So entpuppt sich das angebliche Beschäftigungswunder als Teilzeitbeschäftigungswunder. Da in dem hier dargestellten Zeitraum die Zahl der Erwerbstätigen deutlich angestiegen ist, ist klar, dass das Arbeitsvolumen pro Kopf entsprechend deutlich gesunken sein muss. In welchem Maße dies geschehen ist, verdeutlicht die folgende Grafik. Damit setzt sich ein langfristiger Trend fort, wie eine bis 1960 zurückreichende Aufstellung des IAQ beweist.
Zu erklären sein dürfte diese Entwicklung zum Teil mit Produktivitätsfortschritten, wachsender Automatisierung und dem durch Hartz IV ausgelösten Druck, auch geringfügige Beschäftigungen aufzunehmen. Dazu kommt die unter anderem durch das Ehegattensplitting geförderte klassische Rollenverteilung. Zwar ist die Frauenerwerbstätigkeit stark angestiegen und liegt inzwischen in der europäischen Spitzengruppe, doch in keinem anderen europäischen OECD-Land tragen Frauen im Durchschnitt so wenig zum Haushaltseinkommen bei wie in Deutschland, wie eine OECD-Studie ergab.
Vor diesem Hintergrund entpuppen sich im Übrigen die Standardaussagen arbeitgebernaher Wirtschaftsexperten, Arbeitszeitverkürzung sei des Teufels und eine Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit führe zu mehr Beschäftigung, als leeres Geschwätz. Arbeitszeitverkürzung ist seit langem Realität, nur weitestgehend ohne Lohnausgleich. Ohne die stetige Verkürzung der realen durchschnittlichen Arbeitszeiten läge die Arbeitslosenquote, bei stagnierendem Arbeitsvolumen, heute weitaus höher. Doch mit solch defätistischem Zahlenwerk behelligen die Medien ihre Konsumenten hierzulande nur selten. So wird es wohl auch künftig, weitgehend unwidersprochen, heißen: Wir müssen alle nur mehr und länger arbeiten, dann steigt die Beschäftigung und die Rente ist sicher. Und die Arbeitslosenquote wird weiter sinken, zumindest auf dem Papier.
Die zunehmende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen ist dazu kein Widerspruch, sondern im Gegenteil die Voraussetzung dafür. So erklärt es sich wohl auch, warum die sozialdemokratische Arbeitsministerin Andrea Nahles partout nichts dabei finden kann, wenn immer mehr Teilzeitverträge mit fester Stundenzahl in Verträge mit flexiblen Einsatzzeiten umgewandelt werden, die ständige Verfügbarkeit mit schmalem Einkommen kombinieren.
Doch was ist mit den vielen Flüchtlingen, die auf den Arbeitsmarkt drängen? Für sie gibt es Ein-Euro-Jobs und die bewährten arbeitsmarktpolitischen "Maßnahmen". Sollte das wider Erwarten nicht reichen, um einen Anstieg der offiziellen Arbeitslosenquote zu verhindern, so können sich die Regierenden auf willfährige Journalisten verlassen, die dieses Problem mittels kreativer Statistikauslegung aus der Welt schaffen.
Wie das geht, hat einmal mehr Spiegel Online unter Beweis gestellt. Da berichtet das IAB, dass vielleicht, wenn alles optimal läuft, in fünf Jahren die Hälfte der Flüchtlinge einer Erwerbstätigkeit nachgehen wird, also beispielsweise einem Ein-Euro-Job oder einem bezahlten Praktikum. Und der Online-Ableger des Hamburger Nachrichtenmagazin macht daraus: "Jeder zweite Flüchtling hat nach fünf Jahren einen Job."