Wie uns Misstrauen und Aggression in Deutschland bestimmen
Dies ist nicht mehr mein Land. Ein Notruf in drei Teilen. (Teil 3 und Schluss)
Eine resiliente Gesellschaft kann eine fehlgeleitete Regierung – ja sogar mehrere – überstehen, wenn ihre Korrekturkräfte funktionieren. Vehement habe ich im Ausland immer wieder die These vertreten, dass die deutsche Gesellschaft besonders wirksam gegen Propaganda, Repression und die fatale Liebe zum Autoritären immunisiert sei. Die Geschichte als Impfung sozusagen.
Seit einigen Jahren bin ich mir nicht mehr sicher. Im Gegenteil: Vieles sagt mir, dass diese Gesellschaft krankt. So sinkt das Vertrauen in sämtliche Institutionen seit Längerem ebenso stark wie das Gefühl, einer guten Zukunft in Deutschland entgegenzusehen.
Mehr als die Hälfte der Bürger ist zutiefst unzufrieden mit dem System. In allen Lebensbereichen nehmen Aggressionen massiv zu. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich in ihrem Staat nicht mehr wiederfindet und in der es immer stärker gärt.
Teil 1: Wie Deutschland den Glauben an seine Zukunft verliert
Teil 2: Wie uns Misstrauen und Aggression in Deutschland bestimmen
Doch während sich andernorts in solchen Situationen die Menschen wieder stärker politisieren, durch öffentlichen Druck Veränderung bewirken und neue Bewegungen formieren, gibt es hierzulande wenig Aussicht auf eine konstruktive Entladung der angestauten Wut. Was über Fridays for Future und Extinction Rebellion von links sowie AfD & Co von rechts an Unruhe ins System gelangt war, kam unter Corona beinahe vollends zum Erliegen. Auf Impulse aus der Mitte der Gesellschaft wartet man ohnehin vergebens.
Die Corona-Pandemie und die destruktive Kommunikation der Bundesregierung hat der ohnehin brisanten Situation eine endgültig pathologische Wendung gegeben: Die gezielte Instrumentalisierung von Ängsten, Hand in Hand mit dem Appell an maximale Folgsamkeit und dem Narrativ des gemeinsamen Feindes haben unselige Reflexe reaktiviert.
In der Psychologie ist es ein wohlgesicherter Befund, dass Menschen in Angst- und Bedrohungssituationen ihren Fokus auf das unmittelbare Lebensumfeld verengen, weniger Widerstand gegen strukturelle Gewalt leisten und aggressiver auf leicht greifbare Bedrohungen reagieren.
Unter solchen Bedingungen wenden sich Misstrauen und Aggression wider einander, Bürger gegen Bürger, nicht mehr gegen "das System".
Nicht nur Historiker, Bürgerrechtler und Juristen sind beunruhigt, wie wenig kritische Haltung und bürgerlicher Widerstand sich gegen in der Bundesrepublik beispiellose Einschränkungen fast sämtlicher Freiheiten und Bürgerrechte regt.
Wo andernorts mit großer Vehemenz und Ausdauer protestiert wurde – auch dort, wo es verboten war – und Regierungen um ihre Macht bangen mussten, setzte sich eine Mehrheit der Deutschen an die Spitze der Bewegung und machte Gehorsam zum Gebot der Stunde. Ist die Angst ausreichend groß, wird der eigentlich seit Jahren verhasste Staat zum Zufluchtsort.
Befeuert wurde diese Entwicklung von einer lustvollen Angst- und Schreckensberichterstattung, der meisten Medien, von denen etliche gerade zu Beginn der Pandemie weder willens noch fähig waren, unabhängige Analysen der Lage zu erstellen.
Zudem flutete die Bundesregierung die sozialen Medien mit massiven Werbebutgets und setzte Betreiber unter Druck, abweichende Botschaften als "Fake News" zu depriorisieren. So sank die Zufriedenheit mit Medien im Pandemieverlauf deutlich, zugleich jedoch waren die Bürger mehr denn je auf mediale Information angewiesen, da sich Fakten und Verbote von Tag zu Tag änderten.
Der Widerspruch zwischen dem tiefen Misstrauen gegenüber Staat und Medien und einer Situation, in der man beiden ausgeliefert ist wie noch nie, scheint eine Art Stockholm-Syndrom zu bewirken: Wir erleben ein massives Erstarken des Autoritarismus. Die Deutschen klammern sich an den Staat und richten sich gegeneinander – nicht zuletzt befeuert durch die Regierung.
So wurde öffentlich dazu aufgerufen, Verstöße gegen Corona-Auflagen unter Bruch aller rechtsstaatlicher Prinzipien anonym zu melden (in ähnlicher Weise soll nun mit vermeintlichen Steuersündern verfahren werden).
Und ehe man sich versah, führte der rege Gebrauch, den "ganz normale Mitmenschen" von der Möglichkeit machten, ihre Nachbarn anzuschwärzen, zu einer derartigen Anzeigeschwemme, dass die staatlichen Organe kaum noch hinterherkamen.
Der Ton untereinander kippt immer mehr. Wir wurden aus fahrenden Autos angebrüllt, weil man uns unterstellte, unsere vier Kinder könnten gar nicht aus einem Haushalt kommen. In Gesprächen bislang solider Bürger – und zunehmend auch im Journalismus – werden Menschen mit anderer Meinung oder Handlung immer häufiger mit Begriffen wie "Spinner", "Idioten", "Pack", "Parasiten" und ähnlicher verbaler Gewalt belegt, die bislang sozialen Medien vorbehalten war.
Unter führenden Politikern und Intellektuellen steigt die Lust an "unverhältnismäßigen" Maßnahmen, "Diktatur" und Härte jeder Art. Verbale Gewalt und die Abwertung des Anderen – auch dies ist bestens erforscht und hierzulande besonders unselig verbürgt – senkt jedoch die Hemmschwelle für politischen Extremismus und körperliche Gewalt.
Ehrverletzendes Vokabular, Listen mit den Namen von Gegnern, die Forderung nach öffentlicher Kennzeichnung und Ausgrenzung vermeintlicher Regelbrecher – das ist Inventar rechts- und linksextremer Bewegungen.
Achtzehn Monate Corona haben ausgereicht, um einen erheblichen Teil der gesellschaftlichen Mitte zu aktiven Befürwortern solcher Instrumente zu machen, wenn es um Kritiker an Lockdown-Maßnahmen oder Impf-Zögerer geht. Eingeübt haben Viele solch demokratiezersetzendes Verhalten bereits in den Vorjahren, bei der Reaktion auf Fridays for Future und Pegida.
So wird ein gesellschaftliches Miteinander in diesem Land immer unwahrscheinlicher. Die Fronten verhärten sich und die Reflexe, den "Gegner" zu "bestrafen", statt sich mit ihm auseinanderzusetzen, werden stärker.
Mit dem Blick auf die gewaltigen Herausforderungen und Einschränkungen, die der demografische Wandel über die Sozialsysteme und der Klimawandel über uns alle bringt, beunruhigt mich das immer wahrscheinliche Szenario, dass Deutschland unter Druck in den Autoritarismus flüchtet – und in den Reflex, Andersdenkende mit Drohung und Zwang statt mit demokratischen Mitteln "auf Linie zu bringen".
Die Gefahr des schönen Scheins
Liegt es nur an meiner Optik, dass ich mein Land kaum wiedererkenne? Die Frage ist berechtigt, denn auf den ersten Blick steht es um Deutschland nach wie vor gut: Führende Industrienation, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Lebensqualität und wirtschaftlich besser als andere selbst durch Corona gekommen.
Genau in diesem Wohlstandsüberhang liegt jedoch das Problem:
Einerseits leben wir lange schon von der Substanz. Da diese so massiv ist, reicht es noch eine Weile, womit nur Wenigen auffällt, wie das Haus unter der frisch getünchten Fassade aussieht. Doch Infrastruktur, Staat oder Wirtschaft sind erschreckend morsch. Durch jede weitere Krise wird das Land so schlechter kommen – und die großen Prüfungen stehen erst noch an.
Anderseits führen der hohe Wohlstand und die relative Sicherheit von Arbeitsplatz und Vermögen zu einer großen Scheu davor, Konflikte zu riskieren oder Neues zu probieren, um den Besitzstand nicht zu riskieren.
Sobald aber der Nachschub aus der Küche stockt – und auf Pump lässt sich nicht ewig weitermachen, zumal der Gelddruckwahn bereits jetzt in die Inflation führt – wird diese Beruhigungspille auf einen Schlag abgesetzt.
Die Schock- und Schmerzsymptome eines kalten Entzugs treffen dann auf seit Jahrzehnten angestaute Unzufriedenheit, Wut, Orientierungslosigkeit. Man möchte nicht in der Nähe sein, wenn es knallt.
Als politischer Mensch bin ich gerne bereit, mit Gleichgesinnten für ein Deutschland zu streiten, das noch einmal die Kurve kriegt. Ich wünsche mir das innig. Doch das Interesse daran scheint kaum existent – die Abwärtsspirale dreht sich, und weder aus der Wirtschaft noch aus der Zivilgesellschaft kommt ernstzunehmende Gegenwehr.
Wollen wir wirklich zu einem zukunftsvergessenen, obrigkeitsstaatlichen, einander belauernden Land werden? Aus Rechenschaft gegenüber meinen vier Kindern und meinem Unternehmen lautet für mich die Bilanz langsam, aber sicher: Zukunft gibt es, doch nicht hier.
Zügig auszuwandern erscheint mir nicht als wünschenswert – doch zunehmend als geboten. Muss es so weit kommen? Die Bundestagswahl ist meine letzte Hoffnung. Ein Strohhalm fühlt sich solider an.